1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Bröckelt das Reich der Queen?

4. August 2019

Nach dem harten Brexit à la Boris Johnson könnten sich Schottland oder Nordirland aus dem Vereinigten Königreich verabschieden wollen. Die Fliehkräfte wachsen. Steht das uneinige "Great Britain" vor der Verkleinerung?

Königin Elisabeth II. von England
Elisabeth II., Königin von Großbritannien und Nordirland. Wie lange noch? (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa

Wie verändert der harte Brexit ohne Übergangsphase, den der neue Premierminister Boris Johnson ansteuert, die Lage der Union? Gemeint ist nicht die Lage der Europäischen Union, sondern die der Union aus England, Wales, Schottland und Nordirland. Diese vier Gebiete umfasst das "Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland" heute. Doch wie lange noch? In Schottland und Wales gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen, die von der Aussicht auf die wirtschaftlichen Folgen eines harten Brexit noch befördert werden. In Nordirland, dessen Grenze zu Irland eine EU-Außengrenze würde, werden die Rufe nach einer Wiedervereinigung mit der Republik Irland lauter.

Premier Johnson hat gerade seine Antrittsreisen in die "Länder" Wales und Schottland und die "Provinz" Nordirland absolviert. Der Empfang war überall frostig.

Wie ist die Lage in den einzelnen Teilen der Union?

Nordirland

1921 schied der Süden Irlands nach einem Unabhängigkeitskrieg aus dem 120 Jahre zuvor entstandenen "Vereinigten Königreich von Großbritannien und Irland" aus. Sechs Landkreise im Norden Irlands verblieben im Vereinigten Königreich. Die knappe Mehrheit der Bevölkerung dort sind Protestanten, die sich als Briten sehen und im Königreich bleiben wollen. Die Minderheit sind Katholiken, die sich als Iren sehen. Allerdings wünschte bislang nur ein kleinerer Teil der Katholiken die Wiedervereinigung mit dem Süden Irlands.

Seit den 1960er Jahren gab es zwischen beiden Religionsgruppen immer wieder gewalttätige Übergriffe sowie Terroranschläge und bewaffnete Kämpfe gegen britische Soldaten und Polizisten. Die sogenannten "Troubles" konnten erst 1998 mit dem Karfreitagsabkommen beigelegt werden. Seither existiert die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland nicht mehr. Diese Öffnung gilt als wesentlicher Faktor für das derzeitige mehr oder wenige friedliche Zusammenleben.

Republikanische Nordiren machen vor dem Parlament in Belfast gegen den Brexit mobilBild: Getty Images/C. McQuillan

Die britische Regierung von Theresa May und die EU hatten im Austrittsabkommen vereinbart, diese Grenze so lange offen zu halten, bis eine abschließende Lösung nach dem Brexit ausgehandelt werden kann. Nordirland sollte in einer Zollunion mit Irland und damit der EU verbleiben. Diese "backstop" genannte Regelung will Boris Johnson streichen, weil der "backstop" dazu führen würde, dass Nordirland und der Rest des Vereinigten Königreiches von der EU zolltechnisch unterschiedlich behandelt würden.

In Nordirland sind die Parteien tief zerstritten. Die republikanischen Parteien wollen eine Wiedervereinigung mit Irland erreichen. Die "Unionisten" wollen die Verbindnung zu Großbritannien nicht kappen.

Das "Karfreitagsabkommen" sieht vor, dass Nordirland per mehrheitlicher Volksabstimmung aus dem Königreich ausscheiden kann. Im Falle eines harten Brexits könnte diese Klausel aktiviert werden. Der irische Premierminister Leo Varadkar kann sich eine Wiedervereinigung mit dem Nordteil der Insel und damit deren Verbleib in der EU durchaus vorstellen. Auch liberale Protestanten würden sich inzwischen fragen, ob sie sich einem nationalistischen Großbritannien noch zuhause fühlen könnten, sagt er.

Schottland

Der neue Premier Boris Johnson wurde bei seinem Besuch in Schottland am Montag ausgebuht. Nicola Sturgeon, die Regierungschefin des weitgehend autonomen Landesteils, drohte dem Premier im Falles eines No-deal-Brexit mit einem Unabhängigkeits-Referendum in Schottland. "Schottland ist während des ganzes Brexit-Prozesses ignoriert worden. Hören Sie auf, unser Land in den Untergang zu führen", sagte Sturgeon.

Premier Johnson hört die heftige Kritik der schottischen Regierungschefin Sturgeon in EdinburghBild: picture-alliance/empics/J. Barlow

2014 hatten die Schotten in einem ersten Referendum die staatliche Unabhängigkeit und den Austritt aus dem Vereinigten Königreich abgelehnt. Jetzt sei die Lage aber völlig anders, meint Nicola Sturgeon. Damals hätten viele Schotten Nein gesagt, weil sie mit der staatlichen Unabhängigkeit auch aus der EU ausgeschieden wären. Heute flöge man aber aus der EU, wenn man in Großbritannien verbleibe. Da die Schotten aber im Brexit-Referendum 2016 für die EU-Mitgliedschaft votiert hätten, müssten sie jetzt einen unabhängigen Staat gründen, um als solcher in die EU eintreten zu können.

Dieser Plan hat allerdings aus schottisch-nationaler Sicht einen Schönheitsfehler: Einem erneuten Referendum müsste die Zentralregierung von Boris Johnson in London zustimmen. Die "Sunday Times" veröffentliche im Juni ein Umfrage, nach der die Befürworter einer schottischen Unabhängigkeit mit einem Vorsprung von sechs Prozent das nächste Referendum gewinnen würden.

Wales

Auch in Wales, das seit 1282 zum Königreich England gehört, regt sich immer mal wieder Widerstand gegen die Vorherrschaft aus London. Nach einer Umfrage der BBC sind derzeit weniger als 10 Prozent der drei Millionen Waliser tatsächlich für die staatliche Unabhängigkeit zu begeistern. Seit fast 100 Jahren gibt es eine nationalistische Partei, die mal mehr mal weniger stark für die Unabhängigkeit kämpft. Die "Plaid Cymru" hat bei den letzten Unterhauswahlen immerhin 4 Sitze errungen. Ihr Parteichef, Adam Price, hat sich dafür ausgesprochen, im Falle eines harten Brexits Ende Oktober in Wales ein Unanhängigkeitsreferendum abzuhalten. "Das Parlament in Westminster in London, nicht die EU, hat das walische Volk betrogen", wettert Price über den bisherigen Kurs der konservativen Zentralregierung.

Streicheleinheiten: Premier Johnson (re.) versucht Hühner und Farmer in Wales zu besänftigenBild: picture-alliance/photoshot

Wales verfügt über einen eingeschränkten autonomen Status und eigenes Parlament. Der Regierungschef von Wales, der Labour-Politiker Mark Drakeford, kritisierte, dass der konservative Premier Johnson "keinen Plan" habe. Die Bauern in Wales würden leiden, wenn die EU ab Oktober keine Subventionen mehr zahlte. Johnsons vage Versprechen für einen besseren "Deal" fegte Drakeford als "nicht ernsthaft" vom Tisch. Kein Wunder, dass Johnson auch in Cardiff in Wales ausgebuht wurde. Eine Forderung nach Unabhängigkeit, wie seine schottische Kollegin, erhebt Drakeford allerdings nicht. Die Mehrheit der Waliser stimmte im Brexit-Referendum 2016 für den Austritt aus der EU.

Irland: Die Rückkehr der Schmuggler

05:34

This browser does not support the video element.

Wird die Queen nach einem harten Brexit einen Teil ihrer Untertanen verlieren, weil die Schotten, Nordiren oder Waliser unabhängige Staaten anstreben? Diese Frage sei im Moment schwer zu beantworten, meint Katy Hayward, Soziologin von der Queen's University in Belfast (Nordirland). "Die Mehrheiten für diese Entwicklung sind am Horizont noch nicht sichtbar, aber nach einem harten Brexit ist sicherlich alles im Fluss. Die Dynamik wächst", sagte Hayward dem französischen Sender France 24.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen