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Herta Müller erhielt Ehrenpreis „Die schärfste Klinge“.

Medana Weident4. Dezember 2014

Präzise und geschliffen wie eine Klinge ist die Sprache von Herta Müller. Dafür erhielt die Literatur-Nobelpreisträgerin den Preis "Die schärfste Klinge". Anlass für sie, an die vielen Exilschriftsteller zu erinnern.

Herta Müller Hay Festival in Cartagena Kolumbien
Bild: Getty Images

In seiner Laudatio würdigte Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert Herta Müller als eine "hochpolitische Schriftstellerin", deren Bücher ein "grandioses Zeugnis für Würde und Freiheit und den Wert der Demokratie" sind. Der Oberbürgermeister von Solingen, Norbert Feith, fügte anerkennend hinzu: "Ihre Sprachbilder fassen in Worte, was mit Menschen geschieht, denen das freie Denken verboten, die freie Rede unmöglich gemacht wird."

Herta Müller gehört der deutschen Minderheit der Banater Schwaben in Rumänien an. Als Schriftstellerin schreibt sie immer wieder über ihre Wurzeln, ihre Heimat, die Konflikte mit dem Geheimdienst. Ihre Kindheit verbrachte sie auf dem Land, als Schülerin zog sie "in die Stadt" nach Temeswar. Dort lebte sie bis zu ihrer Übersiedlung 1987 in die Bundesrepublik Deutschland.

Wörter-Sammlung

Ihr erstes Buch "Niederungen" erschien 1982 noch in Rumänien - in einer zensierter Fassung. Zwei Jahre später kam es in Deutschland raus, aber auch da nicht vollständig. Erst 2010 wurde die ungekürzte Originalversion dann als Buch publiziert. Herta Müller schreibt Erzählungen, sprachlich dichte Romane und gern Lyrik. Ganz besonders am Herzen liegen ihr die künstlerischen Wörter-Collagen, ursprünglich gedacht als Grußkarten für Freunde aus dem Urlaub. Im Laufe ihrer Karriere wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2009 krönte der Literatur-Nobelpreis ihr schriftstellerisches Schaffen.

Ihr jüngstes Buch "Mein Vaterland war ein Apfelkern" ist keine klassische Erzählung, sondern ein Gespräch mit der Lektorin Angelika Klammer. Eine sehr persönliche Begegnung. Herta Müller erzählt in diesem Buch von ihrer Kindheit im "fingerhutkleinen" Nitzkydorf. Dort wuchs sie auf - überschattet von der Nazi-Vergangenheit des Vaters, dem Putzwahn ihrer Mutter und der Monotonie des Alltags. Wenn sie als Kind die Kühe hüten musste, machte sie sich Gedanken über das Dasein und den Tod. "Ich dachte, man isst in seinem Leben das Mehl von vielleicht dreißig Sack Weizenkörnern oder fünfzig oder hundert. Der Weizen ernährt dich so lange, bis die Erde dich frisst. Der Tod hat für mich immer bedeutet, dass die Erde einen frisst." Den Alltag in Bildern zu denken, war nicht nur Zeitvertreib: "Ich hatte mir angewöhnt zu beobachten, um mich zu schützen."

Ihr neustes Buches: "Mein Vaterland war ein Apfelkern" (Hanser-Verlag/2014)

Im Schreiben die Angst bezähmen

Die Schriftstellerin spricht in ihrem aktuellen Buch auch über Krieg und Deportation. Die eigene Mutter war betroffen, wurde deportiert und kam erst nach harten Jahren im sowjetischen Arbeitslager zurück. Und sie berichtet von der allgegenwärtigen Angst, die das Leben in der Ceauşescu-Diktatur prägte - von morgens bis abends. Auch von Verfolgung, Verleumdung und Morddrohungen durch die rumänische Geheimpolizei berichtet die in Berlin lebende Autorin. Die Bespitzelung und die Diskreditierungsversuche der Securitate hörten in der Bundesrepublik nicht auf. Genauso wenig wie die Anfeindungen ihrer eigenen Landsmannschaft, der Banater Schwaben, die sie als "Nestbeschmutzerin" beschimpften.

In ihrem neuen Buch erfährt man von ihrer literarischen Arbeit an dem Roman "Atemschaukel", der 2009 die traumatischen Erfahrungen des rumänien-deutschen Dichters Oskar Pastior im sowjetischen Arbeitslager verarbeitet. Sie erzählt der Lektorin über den schmerzlichen Verlust des Freundes und die Bestürzung, als sie erfuhr, dass er ein Spitzel des Geheimdienstes war. Aber nach Sichtung seiner Securitate-Akte sei ihr klar geworden, dass Pastior "kein Täter, sondern ein Opfer war". Er sei vom Geheimdienst erpresst worden. Seine wenigen Berichte waren bewusst belanglos, sagt sie bei der Veranstaltung in Solingen.

Erinnerungsarbeit: Fotos ihrer Eltern in einer AusstellungBild: DW

Spuren der Diktatur in der Seele

Das Leben in einem totalitären System zieht wie ein roter Faden durch Herta Müllers gesamtes Werk. "Die Angst ließ sich durchs Schreiben zähmen. Ich wollte doch keine Literatur schreiben, sondern einen Halt finden", erklärt sie oft auf die Frage nach ihrer Motivation zu schreiben. "Ich habe mir mein Thema nicht ausgesucht", sagt die Nobelpreisträgerin auch in Solingen. "Es ist ein inneres Bedürfnis." Irritiert reagiert sie auf die oft gestellte Frage: Wann sie denn einen Roman über Deutschland schreibe? Das tue sie schon die ganze Zeit, auch wenn es mancher nicht merke. Über Diktaturen zu schreiben, hat nicht nur mit Rumänien zu tun. Es geht darum, wie ein diktatorisches Regime Menschen kaputt macht." Für Herta Müller hat Literatur keine Geographie, nur Themen.

Die Schriftstellerin bei der feierlichen Überreichung des Nobelpreises in Stockholm, re: der schwedische KönigBild: AP

Rumänien, beklagt Herta Müller, hat sich mit dem Thema Nachkriegsgeschichte nicht auseinandergesetzt. Die ehemaligen Geheimdienstleute der Securitate sind nie verschwunden, haben sich durch Einfluss und Funktionen am Staatseigentum bedient, wurden reiche arrogante Schein-Demokraten, betont sie. Nach der Verleihung des Literatur-Nobelpreises ließ der Geheimdienst-Mann, der Müller jahrelang bespitzelte, sie voller Zynismus wissen: Die Hälfte des Nobelpreises stehe eigentlich der Securitate zu, da Müller ihr ihre literarischen Themen zu verdanken habe.

"Ich bin in der Gegenwart, aber die Vergangenheit ist auch mit mir, ob ich das will oder nicht. Nichts verschwindet, ich kann es nicht wegdenken oder wegschreiben." Erst 20 Jahre später gelingt Müller die Einsicht in ihre Securitate-Akte, obwohl nicht vollständig, vermutlich manipuliert. So schmerzhaft es auch ist, es gibt auch Grund zur Freude: Im Freundeskreis gab es keinen Spitzel. "Der Securitate ist es nicht gelungen, auch nur einen von uns umzudrehen, unsere Freundschaft zu vergiften."

Lob für das Zentrum für verfolgte Künste

Ein "großes Glück" für Rumänien, so erklärt sie in Solingen, sei die Wahl von Klaus Johannis zum neuen, rumänischen Präsidenten. "Nicht weil er deutschstämmig, sondern weil er integer ist". Das sei ein klares Wählervotum gegen Korruption und Putins Politik. Wenn sie jetzt für "eine gewisse Haltung" geehrt werde, merkt Herta Müller in ihrer Dankesrede an, dann würde sie das freuen. Lobende Worte fand sie auch für das "Zentrum für verfolgte Künste" in der Klingenstadt. Solingen sei "der einzige Ort in Deutschland, der sich mit dem Thema Exil und Verfolgung auseinandersetzt". Da gäbe es noch viel nachzuholen, sagt sie abschließend. "Deutschland ist dies bisher seiner Geschichte schuldig geblieben."

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