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Hetze auf Syrer in Ankara

Diego Cupolo, Ankara / js22. Juli 2016

Nach dem gescheiterten Putschversuch haben Anhänger von Präsident Erdogan in Ankara syrische Geschäfte geplündert. Die Flüchtlinge in der Stadt fürchten Hass und Gewalt und sind fassungslos. Aus Ankara Diego Cupolo.

Türkei syrische Nachbarschaft in Ankara wurde angegriffen (Foto: DW/Diego Cupolo)
Bild: DW/Diego Cupolo

Bei den von Präsident Recep Tayyip Erdogan so bezeichneten "Säuberungen" nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei sind mehr als 50.000 Menschen festgenommen, verhaftet und entlassen worden. Regierungskritische Türken sind nicht die einzigen, die sich fürchten müssen. Auch die bisher treuesten Anhänger Erdogans müssen sich Sorgen machen: syrische Flüchtlinge.

Als klar wurde, dass die Regierungspartei AKP an der Macht bleibt, stürmte eine gewalttätige Menschenmenge Ankaras syrisches Viertel, und schlug dort Fenster ein, zerstörte Schaufenster und plünderte fast ausnahmslos alle von Syrern geführten Geschäfte entlang der Haupteinkaufsstraße des Viertels.

"Sie waren so aufgebracht, dass wir sie nicht stoppen konnten", erzählt Faiz Abed-Al-Kreem aus Syrien. In seinem Obst- und-Gemüse-Laden wurden alle Fenster eingeschlagen. "Sie haben versucht, uns zu provozieren, damit wir auf die Straße gehen und mit ihnen kämpfen. Aber wir sind zu Hause geblieben und haben gebetet, dass die Nacht vorübergeht", sagt er der DW.

Triumphgefühle und Gewaltorgien

Kurz nach Mitternacht am Sonntag im Morgengrauen kamen die randalierenden AKP-Anhänger nach Önder, eine Gegend in Ankara, in der viele syrische Flüchtlinge leben und die mittlerweile als Slum gilt. Nach dem gescheiterten Putsch-Versuch hatte Erdogan seine Anhänger aufgerufen, gegen den Coup zu protestieren.

Einige von ihnen ließen sich von ihren Triumphgefühlen hinreißen und verwandelten sich in einen gewalttätigen Mob. Rund 200 Leute gingen die Selcuk Straße hinunter und griffen syrische Geschäfte an. Mindestens 30 Läden wurden stark beschädigt, bevor die Polizei schließlich die Menschenmenge auflöste.

Welle der Gewalt: Im Morgengrauen nach dem Putsch wurden die Geschäfte syrischer Flüchtlinge in Ankara geplündertBild: DW/Diego Cupolo

In der Türkei leben rund 2,5 Millionen Syrer, die Erdogan größtenteils dafür dankbar sind, dass er ihnen nach dem syrischen Bürgerkrieg in der Türkei Zuflucht gewährte. Aber nach den Ausschreitungen in Önder machen sich die rund 40.000 Bewohner in diesem Stadtteil ernsthafte Sorgen um ihre Zukunft in der Türkei.

Erst Freunde, jetzt Feinde?

"Die Geschäfte von türkischen Besitzern wurden verschont", erzählt Faiz Abed Al-Kareem, während er in den Trümmern seines Ladens steht. "Die Randalier sind von einem syrischen Geschäft zum nächsten gezogen und haben alles mitgenommen."

"Ich habe große Angst", sagt Al-Kareem. "Es kann sein, dass die Leute jetzt Türken belästigen, die Läden an uns Syrer vermieten. Ladenbesitzer werden dann keine Geschäfte mehr mit uns machen. Sie könnten uns die Läden wegnehmen. Es ist zurzeit wirklich gefährlich für uns."

Viele Syrer meldeten die Schäden nicht bei der Polizei, sondern reparierten sie selbst – aus Angst vor ihrer eigenen Sicherheit. Viele betreiben ihre Geschäfte nur auf einer halblegalen Basis und fürchten Probleme mit den türkischen Nachbarn, wenn die Ereignisse nach dem Putsch erneut Aufmerksamkeit erführen.

Die Polizei schaut weg

Der Syrer Sadeq Mohammad besitzt einen Laden für gebrauchte Haushaltsgeräte an der Selcuk Straße und erzählt, dass Waschmaschinen und Kühlschränke in seinem Geschäft zerstört wurden. Er schätzt den Schaden auf rund 2000 Dollar (ca. 1813 Euro). "Sie kamen, um zu stehlen und zu zerstören, und die Polizei ließ sie einfach gewähren", sagt Mohammad der DW. "Ich weiß nicht, warum sie das getan haben."

Die Gitter von Sadeq Mohammads Laden wurden weggerissen. Mohammad schätzt den Schaden auf über 1800 Euro.Bild: DW/Diego Cupolo

Mohammad berichtet, dass er von Türken in seinem Viertel bisher noch nie Feindseligkeiten erlebt hätte und ist geschockt von deren Verhaltensumschwung. Auch andere syrische Ladenbesitzer in der Selcuk Straße sehen das so und erzählen von ihren türkischen Freunden, die sie immer willkommen hießen - bis zum Wochenende des Putschversuches.

Doch nicht alle stimmen dem zu: Imad Haddad aus Aleppo, der schon seit drei Jahren in Ankara lebt, erzählt, dass er während seiner Zeit in der Türkei immer wieder gemobbt wurde. "Zuerst hat Assad uns Probleme in Syrien bereitet, jetzt sind wir hier, und nun machen es uns die Türken schwer", sagt Haddad der DW. "Sie behandeln uns nicht gut. Sie wollen uns zeigen, dass dies ihr Land ist und nicht unseres."

Drohungen für unverhüllte Frauen

In Istanbul gab es bisher keine Attacken wie in Ankara. Stattdessen sollen sich dort AKP-Anhänger auf dem Taksim-Platz im Zentrum versammelt und unverhüllte Frauen mit abfälligen Bemerkungen beschimpft haben. Unverholen sollten sie gedroht haben: "Eure Zeit wird kommen."

Videoaufnahmen aus dem Viertel Kadikoy zeigen zudem, wie ein Mob auf den Straßen trinkende Menschen angreift. Kadikoy ist Istanbuls säkularste Gegend, die vor allem bei jungen Türken und Ausländern beliebt ist. Wegen solcher Übergriffe blieben dort am Wochenende viele Bars geschlossen, um weitere Konfrontationen zu verhindern.

So sah Imad Haddads Geschäft nach der Plünderung ausBild: DW/Imad Haddad

Seit dem gescheiterten Putschversuch Freitagnacht sind die Straßen in Ankara und Istanbul von AKP-Anhängern besetzt. Sie versammeln sich zu den "Demokratie-Kundgebungen", zu denen Erdogan aufgerufen hat, schwenken türkische Fahnen und rufen "Allahu Akbar" ("Allah ist groß"). Der Fokus dieser Kundgebungen liegt auf der AKP sowie der Verteidigung eines konservativen Islams.

"Ich weiß nicht, was als nächstes kommt", sagt Ammar Assaf, ein 20-jähriger Chemiestudent aus Aleppo, der in Ankaras Armenviertel Önder wohnt. Er könne Türken in seinem Stadtteil nicht mehr vertrauen.

Eine Tür weiter reparieren Freunde von ihm die zerborstenen Schaufenster einer syrischen Bäckerei und eines Lebensmittelgeschäfts. "Die Regierung hat uns gesagt, wir würden hier in Freiheit leben", erzählt Assaf. "Unsere ganze Straße wurde zerstört. Ist das Freiheit?"

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