1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Hetze gegen Rohingya

24. August 2018

Die gewaltsame Eskalation des Rohingya-Konflikts in Myanmar im vergangenen Jahr mit Hunderttausenden Flüchtlingen war auch Folge einer radikalisierten Kommunikation, die sich vor allem in den sozialen Medien abspielt.

Bangladesch Rohingya Flüchtlinge Solarenergie bei Cox’s Bazar
Bild: Reuters/A. Abidi

Seit letztem Sommer sind fast 700.000 Rohingya aus Myanmar geflohen. Das Militär Myanmars hatte auf den Überfall der "Arakan Rohingya Salvation Army" (ARSA) am 25. August mit massiven Militäroperationen reagiert. Dabei wurden nach Schätzungen der Organisation Ärzte ohne Grenzen 6700 Rohingya getötet. Die Vereinten Nationen sprachen von "ethnischen Säuberungen". In Bangladesch befinden sich derzeit das größte Flüchtlingslager der Welt. Zwischen Bangladesch und Myanmar wurde zwar ein Rückführungsabkommen geschlossen, aber wann und wie eine Rückkehr beginnen könnte, ist völlig offen.

Begleitet wurde die Krise von Anfang an in den internationalen Medien und in den sozialen Medien. In Myanmar ist Facebook (FB) so dominant, dass manche sagen, für viele Birmanen sei FB das Internet. Selbst die Regierung veröffentlicht wichtige Entscheidungen, wie etwa den Rücktritt des Präsidenten im März 2018, zuerst auf FB.

Hassbotschaften und Verschwörungstheorien

Hetze und Verschwörungstheorien, die auf die Rohingya und Muslime im Land zielen, sind auf FB weit verbreitet, wie Steve Stecklow in einem ausführlichen Bericht für Reuters gezeigt hat. Rohingyas werden als Hunde, Maden und Vergewaltiger diffamiert, die erschossen gehören und deren Überreste an Schweine verfüttert werden sollen. Angeblich bekämen Muslime zehnmal mehr Kinder als Buddhisten; es existierten geheime Pläne, um Myanmar, das zu fast 90 Prozent von Buddhisten bevölkert wird, zu islamisieren.

Anti-Rohingya Demonstration in Yangon im Mai 2015Bild: Getty Images/J. Gratzer

Als der Dauerkonflikt im Rakhine-Staat im August 2017 erneut gewaltsam ausbrach (bereits 1978 und 1991/92 gab es Massenfluchten), warnte die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Myanmar, Yanghee Lee, dass die Hetze gegen Rohingya in dem sozialen Netzwerk massiv zugenommen habe und damit den Konflikt befeuere. "Facebook ist eine Bestie", sagte Lee. Der Datenanalytiker Raymond Serrato von der Berliner NGO "Democracy Reporting International", der FB-Postings im Umfeld der Krise untersucht hat, ist überzeugt, dass FB die Stimmung im Land angeheizt hat. Und der Historiker Jacques Leider vom französischen Institut für Asien-Studien in Bangkok sagt im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Bezüglich der Hasskommentare auf Facebook hätte die Regierung aktiv werden müssen. Das wurde sie aber nicht."

Facebook unternimmt zu wenig

FB selbst habe im letzten Jahr ebenfalls wenig gegen Hasskommentare unternommen, wie Stecklow schreibt. Nach wie vor finden sich auf FB Hunderte Posts, die Hass schüren und zum Mord an Rohingya aufrufen. Das Unternehmen räumt gegenüber Reuters ein, dass es Schwierigkeiten hat, die birmanische Sprache technisch so in den Griff zu bekommen, dass Hetze blockiert wird. David Madden, ein Tech-Unternehmer, der in Myanmar gearbeitet hat, sagte Reuters: "Das zentrale Problem ist, dass die Mechanismen, die Facebook hat, um Hetze zu blockieren, bevor sie Schaden anrichtet, schlicht nicht funktionieren."

Zugleich behauptet das Militär beharrlich, dass es das Land vor Terroristen schütze und dass die Berichte von übermäßiger Gewalt und massenhaften Vergewaltigungen "fake news" seien. U Zaw Htay, ein Regierungssprecher, erklärte im Oktober 2017, dass die Massenflucht der Rohingya inszeniert sei, um die internationale Gemeinschaft in die irre zu führen. Die Botschaft fand in den Sozialen Medien innerhalb Myanmars weite Verbreitung.

Begrenzte Informationsmöglichkeiten für Flüchtlinge

Auf der anderen Seite sind auch die Rohingya in den Flüchtlingslagern von vielen Informationen abgeschnitten. Das liegt unter anderem daran, dass etwa 70 Prozent der Rohingya Analphabeten sind, aber auch daran, dass Smartphones in den Flüchtlingslagern offiziell verboten sind. Natürlich gibt es trotzdem Smartphones und es werden auch Nachrichten und Videos, etwa über WhatsApp, geteilt. Dabei interessieren sich viele Rohingya für Nachrichten über die Region, die sie verlassen mussten und praktische Informationen rund um das Leben im Lager. Über das Leben im Lager und in der Umgebung berichten unter anderem das Bürgerradio Naf mit Unterstützung des staatlichen Senders Bangladesh Betar, der BBC Media Action und der DW Akademie.

Unterstützer der Rohingya in Indonesisens Hauptstadt Jakarta im Jahr 2017Bild: Getty Images/G.Chai Hin

Auf die Lage der Rohingya machen international vor allem Exil-Rohingya und Aktivisten aufmerksam. "Rohingya Vision" mit Hauptsitz in Saudi-Arabien etwa berichtet in vier Sprachen (Rohingya, Birmanisch, Englisch und Arabisch). Der YouTube Kanal hat 115.000 Abonnenten. Manche Videos zeigen minutenlang brennende Dörfer, Rohingya auf der Flucht und blutüberströmte Leichen, untermalt von spirituellem Gesang. Die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus ist hier fließend. Der Selbstbeschreibung zufolge ist "Rohingya Vision" der erste Satelliten-Sender, der "die Sache der Rohingya vertritt und auf den Schmerz der am meisten verfolgten Minderheit der Welt aufmerksam macht."

Die Rolle der selbsternannten Sprecher der Rohingya sieht Myanmar-Experte Leider kritisch. "Die Rohingya sind, auch wenn sie in der Frage der Menschenrechte und im Kampf gegen die Verfolgung einig sind, politisch zersplittert. Diejenigen, die im Internet sagen, sie vertreten die Sache der Rohingya, sind natürlich nicht demokratisch gewählt oder anderweitig legitimiert." Dass die Rohingya keine institutionalisierten Vertreter haben, ist auch eine Folge ihrer Staatenlosigkeit.

NGOs und UN unter Druck

Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben seit Beginn der Massenflucht, aber auch schon davor, über antimuslimische Gewalt in Myanmar und die Diskriminierung der Rohingya berichtet. Dabei stießen und stoßen sie an Grenzen. Die Regierung in Myanmar verwehrt Journalisten und unabhängigen Organisationen die Einreise. Die Berichte stützen sich demnach in erster Linie auf Berichte von Geflüchteten in Bangladesch, auf die Auswertung von Satellitenfotos, die belegen, dass Hunderte Dörfer zerstört wurden, und vereinzelte Einlassungen von nicht-muslimischen Bewohnern des Rakhine-Staats und seltene anonyme Aussagen von Angehörigen der Sicherheitskräfte Myanmars.

Als Amnesty International auf Grundlage von Interviews und der Auswertung von Fotos im Mai 2018 publik machte, dass es Hinweise darauf gebe, dass ARSA bis zu 99 Hindus ermordet  haben könnte, führte das bei manchen Rohingya-Aktivisten zu einem Aufschrei der Empörung. Der Bericht sei unlogisch und unterstütze das Militär Myanmars, so die Aktivisten.

Es ist fast unmöglich, sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen. Jedes Bemühen neutral und objektiv zu berichten, geht schnell in einem Sturm der Entrüstung unter.

Neue Ansätze nötig

Jacques Leider, der die Berichterstattung in und über Myanmar seit Jahren verfolgt, kommt zu dem Schluss, dass eine Einengung der Debatte auf Menschenrechte und Staatsbürgerschaft, die auf beiden Seiten mit Maximalforderungen verbunden werde, auf die Dauer nicht hilfreich ist. "Natürlich sind die Menschenrechte und die Frage der Staatsbürgerschaft wichtig. Aber wenn man Ansätze für eine Lösung finden will, dann muss man auch andere Wege in Erwägung ziehen." Um den Konflikt zu lösen, müsse man Probleme identifizieren, mit denen Buddhisten und Muslime in der Region gleichermaßen konfrontiert sind, etwa Arbeitslosigkeit. Über eine Anstrengung zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage aller Menschen in der Region könne man dann vielleicht Erfolge erzielen. Aber: "In den Diskussionen im Internet, da geht es nie um Fragen der Wirtschaft, sondern immer nur um Politik."

Dennoch ist Leider nicht nur skeptisch. "Es findet in Myanmar eine Art intellektueller Gärungsprozess statt." Es gäbe durchaus Akademiker und Journalisten in der jüngeren Generation, die sich in Myanmar kritisch mit der Lage der Rohingya befassten. Und zwar nicht nur die beiden Reuters-Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oe, die 2017 zur Ermordung von zehn Rohingya recherchierten. "Es bewegt sich etwas. Der Prozess ist langsam, aber ich bin optimistisch, dass sich da auf lange Sicht etwas ändert", sagt Leider. Wie schwierig das ist, belegt der Fall der Reuters-Journalisten. Inzwischen hat die Regierung die Ermordung der zehn Rohingya auf Facebook bestätigt. Die Täter wurden bestraft. Den Journalisten droht am kommenden Montag allerdings ebenfalls eine Verurteilung wegen Geheimnisverrats.