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Glaube

Heute lege ich euch vor: Segen und Fluch

5. August 2022

Beim Übergang ins Gelobte Land Kanaan legte Moses dem Volk Israel die Wahl zwischen Segen und Fluch vor. Ähnliches gilt in den Krisen unserer Zeit für unseren Umgang mit der Technik. Ist sie heute Fluch oder Segen?

Zweiter Weltkrieg l Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe
Bild: Reinhard Schultz/imago images

Wissenschaft und Technik sind ein Fluch. Kaum ein Tag verdeutlicht das so sehr wie der heutige, an dem immer wieder an den Abwurf der Atombombe über Hiroshima vor 77 Jahren erinnert wird.

Wissenschaft und Technik sind ein Segen. Auch das lässt sich am heutigen Tag feiern, dem Geburtstag von Alexander Fleming, der in den 1920er- und 1930er-Jahren die Wirkung von Penicillin entdeckte und daraus das Antibiotikum entwickelte.

Fluch oder Segen? Heute vor 90 Jahren wurde von Kölns damaligem Oberbürgermeister Konrad Adenauer die erste deutsche Autobahn zwischen Köln und Bonn freigegeben. Kaum etwas steht heute so sehr für die Licht- und Schattenseite der Technik wie das Auto. Einerseits ein Segen, wie schnell und individuell es Menschen an jeden Ort bringen kann. Auf der anderen Seite hat es großen Anteil an unserem ökologischen Desaster: produziert massenhaft CO2, verbraucht ungehemmt Ressourcen der gesamten Welt, produziert haufenweise Schrott und ist nebenbei für die meisten Verkehrstoten verantwortlich. Also: Segen oder Fluch?

Überhaupt: Klimawandel und Pandemie zeigen uns, dass die gesamte Menschheit längst an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter steht. Und dass sich jetzt entscheiden wird, wie es jenseits dieser Schwelle sein wird.

„Seht, ich stelle euch vor die Wahl zwischen Fluch und Segen!“ So verkündet es Mose dem ganzen Volk Gottes an der Schwelle zum Land Kanaan, dem Land, in dem angeblich ja Milch und Honig fließen sollten. Aber dieses paradiesische Leben, was da auf das Volk Israel zu warten schien, hing eben von dieser Wahl ab, der Wahl zwischen Fluch und Segen. Segen bedeutete in diesem Fall, dass keine Feinde ins Land einfallen würden, dass es keinen Krieg geben würde, dass der Regen zur rechten Zeit fiele und es somit genug für alle zu ernten und zu essen gäbe. Frieden und Wohlstand für alle also. Für all das würde Gott, der Schöpfer dieser Welt, Sorge tragen. So prophezeite es Mose dem Volk Israel. Woran dieser Segen hing? Das Volk sollte diesen Schöpfer der Welt lieben und seine Regeln befolgen. Das war alles. Klingt verdächtig nach dem, was Jesus als wichtigste Regel mitgegeben hat: „Du sollst Gott und deine Mitmenschen lieben.“ Soweit die Regel für den Eintritt in ein neues Land. Aber reicht das auch für den Eintritt in ein neues Zeitalter in unserem Umgang mit der Technik?

Die Regeln von Gottesliebe und Menschenliebe klingen für die einen sicher ein wenig zu simpel, um unserer komplexen Wirklichkeit gerecht zu werden. Und für die anderen sind sie dann doch ein wenig zu religiös. Gottesliebe – was soll man sich da denn konkret drunter vorstellen?

Sich unter Gott überhaupt etwas vorzustellen ist ja ohnehin eher ein Holzweg der Religion. Sein größtes Produkt aber kennen alle: die Schöpfung, unsere Welt in all ihrer Größe und Herrlichkeit, ihren komplexen Bedingungen und vielfältigen Lebensformen. Und um dieses  Leben ging es eben schon immer. „Seid fruchtbar, schafft einen Garten Eden“, das ist der Auftrag. Heißt konkret: Die Bedingungen unserer Welt, unter denen alles Leben existieren kann, zu erhalten und sogar zu verbessern. Glücklicherweise scheint ja immer mehr Einigkeit darüber zu herrschen, was für das Leben in unserer Welt förderlich ist – und was nicht. Es geht darum, alle diese Lebensformen zu erhalten, ihr Leben zu fördern, allen möglichst gerecht zu werden, Lebensraum, Nahrung und Entwicklungsmöglichkeiten zuzugestehen. Da geht es dann auch schon um Menschenliebe. Und in unserer zusammengewachsenen Welt sind es tatsächlich nicht nur unsere Familie, unsere Firma, unsere Gesellschaft und unser Kontinent, für die wir im technischen Fortschritt Sorge tragen müssen. Es geht um alle Menschen, letztlich alle Wesen dieser Welt. Das ist ein enormer Anspruch an uns, aber es gibt tatsächlich keinen Weg mehr zurück.

An der Schwelle zu einer hoffnungsvollen Zukunft für unsere Welt sind es Gottes- und Nächstenliebe, die Sorge um die Schöpfung wie um alle Mitmenschen, die zum Maßstab unseres Handelns als Menschen taugen, damit wissenschaftlicher Fortschritt und technische Entwicklung für alle in ein besseres Morgen führen. Denn Fortschritt und Technik sind an sich weder Fluch noch Segen. Je nachdem, mit welchem Maßstab wir sie nutzen, machen wir sie zu dem einen oder dem anderen.

 

Christoph Buysch