Teilchenbeschleuniger SESAME in Jordanien eingeweiht
Mabel Gundlach
8. Juni 2017
Am neuen Teilchenbeschleuniger in Jordanien sollen unter anderem Israelis, Palästinenser, Iraner zusammenarbeiten. Ob das gut gehen kann? Die optimistischen Antworten von SESAME-Chef Rolf Heuer machen zumindest Hoffnung.
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SESAME: Erster Teilchenbeschleuniger des Nahen Ostens
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In Jordanien wurde im Mai SESAME (kurz für Synchrotron Light for Experimental Science and Applications in the Middle East) eingeweiht, der erste Teilchenbeschleuniger in der Region. Mitglieder sind Zypern, Ägypten, Iran, Israel, Jordanien, Pakistan, die Palästinensische Autonomiebehörde und die Türkei.
DW: Herr Heuer, was verbinden Sie mit SESAME, was verbinden Sie mit der Aufgabe?
Rolf Heuer: Ich verbinde damit eine einmalige Chance für diese Region Forschung zu machen. Und zwar Forschung auf vielen unterschiedlichen Gebieten, von der Physik, zur Chemie und Biologie bis hin zur Archäologie, die ja dort in der Region auch sehr wichtig ist.
Einige Golfländer wollen nicht mitmachen - weil Israel dabei ist ...
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich werde versuchen, sie zu überzeugen. Es wäre wunderbar zu zeigen: Es geht doch! Ein Versuch ist es in jedem Fall wert.
Zur Zeit kommen viele SESAME-Mitarbeiter morgens um acht Uhr mit dem Bus an und um vier Uhr ist dann Feierabend…fehlt es noch an Forschungskultur?
Ja, deshalb brauchen wir ein Gästehaus und eine offene Caféteria. Das ist neben den technologischen Dingen wie Beschleuniger und Experimentiermöglichkeiten ganz wichtig. Denn hinter verschlossenen Türen findet kein Austausch statt. Die Mitarbeiter brauchen einen offenen Platz, wo Sie etwas essen können und wo sich ein Professor mit einem Masterstudenten oder ein Nobelpreisträger mit einer jungen Person unterhält. Das macht den Spirit eines solchen Instituts aus.
Das Gästehaus wird jetzt demnächst gebaut, dafür gibt es Gelder aus Italien. Für die Caféteria gibt es eine Stiftung, die Geld sammelt - die Sharing Knowledge Foundation - und dann glaube ich, wird diese Kultur kommen. Es geht nicht alles auf einmal. Man braucht ein bisschen Geduld. Und ich habe am CERN gelernt, dass alles länger dauert, als Heuer es sich vorstellt.
Wie optimistisch sind Sie, dass Sie mit SESAME wissenschaftlich etwas in Gang setzen?
Ich bin sehr optimistisch. So eine Aufgabe nimmt man nicht an, wenn man nicht optimistisch ist!
Beim ersten Aufruf für Projekte sind schon 55 Bewerbungen eingegangen. Das ist doch ein tolles Zeichen beim allerersten Aufruf. Im Moment haben sich nur einzelne Institute aus den Mitgliedsländern beworben. Mein Traum ist, dass wir demnächst auch Projektvorschläge bekommen, wo mehrere Institute aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten. Ich denke, das wird passieren, wenn wir Gästehaus und Cafeteria haben.
Sie meinen, dass dann der israelische mit dem iranischen oder pakistanischen Wissenschaftler zusammenarbeiten wird?
Ich sehe keinen Grund, warum das nicht passieren sollte. So etwas haben wir ja auch am CERN. Aber auch dort hat es eine Weile gedauert. Da brauchen Sie etwas Geduld. Aber Sie können auch versuchen, das ein bisschen zu anzustupsen.
Wie würden Sie das machen?
Also, alles was ich da machen würde, wären Privatgespräche. Ich würde das nicht twittern…
Sie würden eine Atmosphäre schaffen….
Ja, eine Atmosphäre schaffen, aber vielleicht braucht es das auch gar nicht, denn die Leute sind ja vor allem an einem interessiert, nämlich der Wissenschaft! Und wenn sie als Beispiel die Bodenbeschaffenheit und die Bodenverunreinigung im Jordantal nehmen, betrifft das Israel genauso wie Jordanien. Und warum sollen die Wissenschaftler aus den beiden Ländern nicht die gleichen wissenschaftlichen Fragestellungen haben und zusammenarbeiten? Da sehe ich überhaupt keinen Grund, dass das nicht passieren könnte. Sie sehen, der Optimismus ist da.
Kann ein Teilchenbeschleuniger ein Friedensbeschleuniger sein? Kann Wissenschaft zum Frieden beitragen?
Sie kann einen Teil dazu beitragen. Das denke ich schon. Wenn sie jahrelang einen ständigen Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben, die erfolgreich zusammengearbeitet haben, dann sind das doch alles Botschafterinnen und Botschafter.
Wissenschaft geht wie Musik über alle Grenzen hinweg. Und wenn ich dann Jahre lang viele dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler habe, die zu SESAME kommen und wieder weg gehen und diesen Spirit mitbekommen, dann erkennen sie, dass es keinen großen Unterschied gibt zwischen Nationalität A und Kultur B, dass man vielleicht sogar gemeinsame Wurzeln hat, wenn man miteinander redet, ohne die Politik einzubeziehen. Natürlich kann die Wissenschaft alleine keinen Frieden schaffen, aber sie kann einen kleinen Teil dazu beitragen. Zumindest sollten wir das versuchen. Ab und zu hat man so seine nicht wissenschaftlichen Träume (lacht).
Die Nobelpreisträgerin Ada Yonath hat ihre Experimente am DESY gemacht, dem Hamburger Synchrotronstrahlungslabor. Wird es in Zukunft vielleicht einen Nobelpreisträger geben, der seine Experimente bei SESAME gemacht hat?
Jetzt lassen wir das SESAME doch erstmal richtig anlaufen und vielleicht kommt dann irgendwann mal ein Nobelpreis. Mir wäre wichtig, dass es ein Nobelpreis für jemanden aus dieser Region wäre.
Professor Rolf-Dieter Heuer, bis 2015 Generaldirektor des Europäischen Großforschungslabors CERN bei Genf, hat den Vorsitz des Rates von SESAME übernommen, ist nun also Aufsichtsratschef. DW sprach mit dem Physiker über den Spirit von SESAME.
Das Gespräch führte Mabel Gundlach
Riesenkamera für kleinste Teilchen
Am LHC des CERN wurde zuerst ein Urknall simuliert, später das Higgs-Teilchen nachgewiesen: An dem Teilchenbeschleuniger prallen Ionen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Kleinste Elementarteilchen entstehen.
Bild: DW/F.Schmidt
Mini-Urknall
Am 30. März 2010 führten Teilchenphysiker am Teilchenbeschleuniger (LHC) der Europäischen Organisation für Kernforschung einen Mini-Urknall vor. Gegner des Experiments hatten versucht, das gerichtlich noch zu verhindern, weil sie einen Weltuntergang fürchteten. Der kam dann aber nicht. Anstelle dessen gab es viele weitere spannende Entdeckungen.
2013 wurde dann das Higgs-Teilchen nachgewiesen: Im ATLAS-Detektor - einer riesengroßen Digitalkamera. Sie kann die kleinsten Bausteine des Universums fotografieren: Einzelteile der Atomkerne. Das Wandgemälde zeigt, wie groß ATLAS ist. Aber nur fast - denn das Original liegt gut 90 Meter tiefer und ist noch etwas größer.
Bild: DW/F.Schmidt
Helmpflicht für Teilchen-Fotografen
Vier Detektor-Kameras liegen entlang des Large Hadron Colliders (LHC), also des CERN-Teilchenbeschleunigers. Sie heißen ALICE, ATLAS, CMS und LHCb. Wer sie sehen will, muss tief hinunter in den Fels der Schweizer und französischen Alpen. Dort unten herrscht Helmpflicht, denn überall sind Rohre und Leitungen. Leicht kann man sich den Kopf stoßen, oder es fällt ein Werkzeug von oben herab.
Bild: DW/F.Schmidt
Bilder aus der Welt des Urknalls
So sehen die Bilder aus, die die Detektoren schießen. Beim Zusammenprall von Protonen, wie hier am CMS Detektor, oder Blei-Ionen, die mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, werden die kleinsten der Elementarteilchen freigesetzt - zum Beispiel das jüngst gefundene Higgs-Boson. Es sind Teilchen, aus denen unser Universum in der ersten Billionstel Sekunde nach dem Urknall bestand.
Bild: 2011 CERN
Eisenbahn für Lichtgeschwindigkeiten
In diesem Rohr werden Blei-Ionen und Wasserstoff-Protonen beschleunigt. Sie fliegen durch eine Vakuumröhre mit der Energie eines Schnellzuges. Elektromagneten halten sie in ihrer Bahn. Das Rohr hat einen Umfang von 27 Kilometern. Es liegt unter der Schweiz und Frankreich. Zugänge zu dem Röhrensystem gibt es bei den vier großen Detektoren. Dort finden auch die Teilchenkollisionen statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Nicht eins, sondern zwei Rohre
Unter der blauen Ummantelung verbergen sich zwei Rohre, denn die Teilchenströme sollen ja gegeneinander laufen. Obwohl die Protonen und Ionen aus Sicht der Außenstehenden jeweils mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu fliegen, treffen sie nicht mit doppelter Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Aus Sicht eines fliegenden Teilchens, nähert sich das andere nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit.
Bild: DW/F.Schmidt
Eiskühlung für Supraleiter
Die Elektromagnete, die den Teilchenstrahl auf Kurs halten, bestehen aus supraleitenden Spulen. Die Kabel werden auf -271,3 Grad Celsius heruntergekühlt, dann haben sie keinen elektrischen Widerstand mehr. Dazu braucht der Teilchenbeschleuniger viel flüssiges Helium, das hier durch die Rohre fließt. Das CERN betreibt damit den größten Kühlschrank der Welt.
Bild: DW/F.Schmidt
Magneten mit höchster Präzision
Der LHC ist kein präziser Kreis, sondern besteht aus geraden Strecken, unterbrochen von Krümmungen, an denen solche Magneten den Strahl umlenken. Die Elektromagneten sind extrem präzise: Kurz vor der Kollision fokussieren sie den Strahl so genau, dass zwei Protonen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit exakt treffen. Der Zusammenprall findet dann genau in der Mitte des Detektors statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Alles musste durch dieses Loch
Die Detektoren sind so groß ist wie mehrstöckige Wohnhäuser. Aber sie mussten alle in vielen Einzelteilen in den Berg eingebracht werden, zum Beispiel durch diesen engen Schacht. Darunter liegt eine gigantische Kaverne, eine Grotte. Darin, wurde ALICE zusammengebaut - ähnlich wie ein Buddelschiff in einer Glasflasche.
Bild: DW/F.Schmidt
Digitalkamera mit 8000 Bildern pro Sekunde
Der ALICE-Detektor in geöffnetem Wartungs-Zustand: Im Betrieb treffen in seinem Zentrum die Ionenstrahlen aufeinander. Die dabei entstehenden Teilchen fliegen in verschiedene Richtungen durch mehrere Schichten von Silizium-Chips - ähnlich den Sensoren von Digitalkameras. Die Chips und andere Detektoren zeichnen die Wege der Teilchen auf. Pro Sekunde entstehen 1,25 Gigabyte an digitalen Daten.
Bild: DW/F. Schmidt
Elektromagnet macht Teilchen erkennbar
Dieser blaue Klotz ist ein riesiger Elektromagnet, ein wichtiger Teil des ALICE-Detektors. Das von ihm erzeugte Feld macht es überhaupt erst möglich, die bei der Kollision entstehenden Teilchen zu identifizieren. Je nachdem, in welche Richtung sie fliegen, können die Forscher zum Beispiel erkennen, ob sie positiv oder negativ geladen oder neutral sind.
Bild: DW/F.Schmidt
Flügel zum Einfang von Myonen
Der Atlas-Detektor hat ganz spezielle Messgeräte: Sogenannte Myon-Spektrometer. Wie große Flügel liegen sie außerhalb des Detektor-Kerns. Damit läßt sich ein schwerer Verwandter des Elektrons einfangen: Das Myon. Es ist schwer zu finden, weil es nur zwei Millionstel einer Sekunde besteht.
Bild: DW/F.Schmidt
Beobachtung aus sicherer Entfernung
Alle Detektoren haben solche Kontrollräume, wie hier ATLAS. Wenn der Teilchenbescheluniger im Betrieb ist, darf sich niemand in den unterirdischen Anlagen aufhalten. Ein außer Kontrolle geratener Protonenstrahl könnte 500 Kg Kupfer schmelzen. Durch austretendes Helium drohen Erfrierungen und Erstickungen. Außerdem kann der Teilchenstrahl Radioaktivität erzeugen.
Bild: DW/F. Schmidt
Wohin mit den vielen Bildern?
40 Millionen Mal pro Sekunde liefern die vier Detektoren Daten. Da nicht alle Kollisionen für die Wissenschaftler interessant sind, wird ausgefiltert: Am Ende bleiben gut 100 interessante Teilchenkollisionen pro Sekunde übrig. Das sind immer noch 700 Megabyte pro Sekunde - der Inhalt einer handelsüblichen CD. Alle Daten landen zunächst hier, im Rechenzentrum des CERN.
Bild: DW/F.Schmidt
Ein weltweites Computernetzwerk
Pro Jahr produziert das CERN so viele Daten, dass ein CD-Stapel von 20 Kilometern Höhe entstünde. Solche Band-Archive können zwar viele Daten aufnehmen, aber das reicht immer noch nicht aus. Die Daten werden deshalb weltweit verteilt: Über 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich mit ihren Rechenzentren zu einem weltweiten CERN-Computernetzwerk zusammengeschlossen.
Bild: DW/F.Schmidt
Daten für die Menschheit
Teilchenphysiker aus der ganzen Welt haben Zugang zu den CERN-Daten. Das CERN versteht sich als Dienstleister für Universitäten und Institute, die Grundlagenforschung betreiben - als Gemeinschaftsprojekt für die ganze Menschheit.