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Hilbert: "Rassismus ist mehr geworden"

Thomas Klein23. September 2015

Affenlaute gegenüber Fußballspielern mit dunkler Hautfarbe, Beleidigungen gegen Ausländer aus den Fankurven: Rassismus im Sport ist für Leverkusens Roberto Hilbert ein großes Thema - denn er ist persönlich betroffen.

Leverkusen-Spieler Roberto Hilbert mit Gattin Saba (Foto: Imago)
Leverkusen-Spieler Roberto Hilbert und seine Ehefrau SabaBild: imago/E. Bopp

Deutsche Welle: Roberto Hilbert, Sie sind seit einigen Tagen Flüchtlingsbeauftragter von Bayer 04 Leverkusen. Was genau sind Ihre Aufgaben?

Roberto Hilbert: Es ist bekannt, dass wir aktuell sehr viele Flüchtlinge aufnehmen bzw. sehr viele Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kommen. Ein Verein wie Bayer Leverkusen ist bereit, diesen Menschen hundertprozentig zu helfen, es ihnen einfacher zu machen und dafür zu sorgen, dass sie sich hier wohlfühlen. Der Verein versucht, sie mit Spenden wie Kleidung oder Essen zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu geben, hier willkommen zu sein. Da ich mich gerne für solche Dinge einsetze, war ich sofort bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.

Am Wochenende gab es sehr viele Solidaritätsbekundungen der Bundesliga-Vereine im Stadion, zahlreiche Klubs haben Flüchtlinge ins Stadion eingeladen - wie haben Sie das persönlich erlebt?

Das ist natürlich ein Zeichen. Ich glaube, dass man im Fußball oder generell im Sport eine große Stimme hat und so die Menschen auch für solche Themen sensibilisieren kann. Wir sind Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und in gewissen Dingen auch eine Vorbildfunktion haben. Und wenn dann viele Leute sehen: Ach, guck mal, die Fußballer, die stehen auch dafür, dass man Flüchtlingen helfen soll, dann mach ich das auch mal. Ich hoffe, dass diese Aktionen große und positive Auswirkungen haben werden.

"Zeig Rassismus die rote Karte" heißt die Aktion, die Spieler von Hannover 96 hier vorstellenBild: picture-alliance/dpa/Julian Stratenschulte

Sie haben einen persönlichen Bezug zu diesem Thema. Ihre Frau kommt aus Eritrea. Wie beobachten Sie und Ihre Familie die Situation im Moment?

Das ist ein großes Thema zu Hause. Bei uns um die Ecke sind Flüchtlinge in einer Sporthalle untergebracht. Einer meiner Söhne, der in die Schule geht, die die Turnhalle zur Verfügung gestellt hat, bekommt das direkt mit, und wir sprechen natürlich auch darüber. Meine Frau kam damals selbst als Flüchtling und weiß, wie das ist, wenn man aus seinem eigenen Land flüchten muss, weil dort Krieg herrscht. Das sind Gefahren, die die hier in Deutschland geborene Generation gar nicht kennt.

Welche Erfahrungen hat Ihre Frau hier in Deutschland gemacht?

Leider gab es viele Menschen, die meine Frau und auch meine Kinder als "Scheiß-Neger" beschimpft haben. Zum Beispiel einmal im Flugzeug. Meine Tochter weinte und der Herr, der vor meiner Frau saß, meinte, "Neger" würden nur Alkohol trinken und Krankheiten ins Land bringen. Schreiende Kinder von "Negern" seien eine "Katastrophe". Das sind leider Erfahrungen, die meine Familie machen musste.

Hat dieser Vorfall Ihr Familienleben verändert?

Ich war sehr schockiert und fand es besonders schlimm, dass meine Frau in dieser Situation alleine gelassen wurde. Von den anderen Leuten im Flugzeug hat niemand geholfen, im Gegenteil: Der Stewart hatte meine Frau sogar gebeten, den Platz zu wechseln!

Es gibt diese Menschen leider, die Ausländer beleidigen, aber ich finde es noch schlimmer, wenn man einer Frau mit drei kleinen Kindern nicht hilft. Dass sie in diesem Fall alleine gelassen wurde, ist sehr traurig.

Auch in Dortmund sind Flüchtlinge willkommenBild: picture-alliance/G. Chai von der Laage

Stichwort Zivilcourage - fehlt die?

Ich kann natürlich auch die Menschen verstehen, die sich nicht trauen. Es sind leider genügend Negativbeispiele vorhanden, in denen Menschen Zivilcourage gezeigt haben und heute nicht mehr leben. Ich glaube aber trotzdem, dass mehrere Leute zusammen gegen eine einzelne Person eingreifen können.

Verbale Gewalt gegen Kinder ist besonders schlimm. Wie geht der Familienvater Roberto Hilbert damit um?

Das ist nicht ganz einfach. Meine Frau ist gebürtig aus Afrika. Meine Kinder haben ebenfalls eine dunkle Hautfarbe. Das ist natürlich nicht schlimm, doch für die Gesellschaft manchmal schon. Meine Kinder sind anders für viele Leute. Meine Frau muss das auf dem Parkplatz vom Supermarkt oder, wie beschrieben, im Flugzeug erfahren und auch meine Kinder haben das miterlebt.

Das ist nicht einfach, weil sie es nicht verstehen. Sie fragen dann: "Papa, warum haben die Menschen ein Problem mit uns?" Als Vater muss man das Thema dann natürlich offen angehen. Wir haben das mit unseren Kindern intensiv besprochen. Mittlerweile wissen sie, um was es geht und wie sie damit umgehen müssen, aber generell ist das kein schönes Thema.

Wie schwer ist es für einen Ausländer, in Deutschland Fuß zu fassen?

Es ist nicht ganz einfach. Ich habe viele türkische Freunde in Deutschland, die weder in der Türkei, noch hier in Deutschland komplett akzeptiert werden. Ich habe, ehrlich gesagt, meine Probleme damit, das zu verstehen. Ich denke, wenn jemand hier in Deutschland geboren wird - da spielt die Herkunft, die Haut- oder Haarfarbe überhaupt keine Rolle -, dann hier aufwächst, sich hier anpasst und die Kultur akzeptiert, dann kann es nicht sein, dass die Gesellschaft diese Menschen nicht akzeptiert.

Sie haben von 2010 bis 2013 bei Besiktas Istanbul in der Türkei Fußball gespielt. Damals waren Sie selbst Ausländer. Welche Unterschiede haben Sie festgestellt, als Sie vor zwei Jahren zurück nach Deutschland gekommen sind?

Ich muss ehrlich sagen, als ich nach drei Jahren Türkei zurückkam, war ich zum Teil echt schockiert, wie sich das Thema Rassismus hier entwickelt hat. Was Ausländerfeindlichkeit angeht, ist es zu einem großen Teil negativer geworden. Ich wurde in der Türkei nie als Ausländer beschimpft. Man muss aber dazu sagen, dass meine Frau und meine Kinder relativ schnell türkisch gesprochen haben. Wir können die Sprache zwar nicht perfekt, können uns aber sehr gut verständigen. Das haben die Menschen in der Türkei sehr geschätzt und wir wurden akzeptiert, so wie wir sind.

Roberto Hilbert im Dress von Beşiktaş IstanbulBild: JACK GUEZ/AFP/Getty Images

Eine Fußballmannschaft besteht aus vielen Menschen unterschiedlichster Nationen und unterschiedlichster Kulturen. Warum ist das Thema Rassismus trotzdem noch so groß?

Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Ich habe noch keine Antwort gefunden, weil ich es nicht nachvollziehen kann. Wenn ich zum Beispiel unsere Mannschaft sehe. Wir haben Brasilianer, Mexikaner, Türken, Griechen, Deutsche - da treffen viele Kulturen aufeinander. Die Spieler werden im Stadion bejubelt und auf der Straße dann als Ausländer beschimpft. Das passt einfach nicht zusammen.

Wenn Sie die Nachrichten verfolgen und brennende Flüchtlingsunterkünfte oder Demonstrationen gegen Flüchtlinge sehen, was macht das mit Ihnen?

Ich finde es erschütternd. Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, wie Menschen so etwas machen können. Man muss sich einfach nur vorstellen, dass in einem Haus auch Personen sein können, und wenn die dann sterben, dann hat man einen Menschen auf dem Gewissen. Da muss wirklich schon sehr viel schief in einem Leben gelaufen sein, dass man so etwas in Kauf nimmt, einen Menschen auf dem Gewissen zu haben. Bei allem Respekt, das kann ich nicht verstehen.

Wie wird sich das Thema Flüchtlinge weiterentwickeln?

Ich hoffe in erster Linie, dass es sich in eine positive Richtung entwickelt. Ich glaube, dass unsere Politiker vieles tun, um das Thema in den Griff zu bekommen. Ich glaube aber, dass es kein Problem Deutschlands ist, sondern ein Problem Europas. Meiner Meinung nach müssen die europäischen Staaten zusammenarbeiten und eine Lösung finden. Die Menschen müssen so verteilt und aufgenommen werden, dass es ihnen möglich ist, einen Neuanfang zu schaffen. Sie müssen die Möglichkeit bekommen, wieder ein normales Leben führen zu können.

Roberto Hilbert ist Fußball-Profi und steht bei Bayer 04 Leverkusen unter Vertrag. Der 30-Jährige begann seine Karriere beim VfB Stuttgart. 2010 wechselte er in die Türkei und kehrte vor zwei Jahren zurück in die Bundesliga. Hilbert engagiert sich und fördert Projekte gegen Rechtsextremismus. Er ist Teil der Initiative Zeig Rassismus die Rote Karte und ist Pate der Hannah-Stiftung, die sich gegen Gewalt gegen Kinder einsetzt.

Das Interview führte Thomas Klein.

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