1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Glaube

Hilfe am Bahnhof Zoo

9. Juni 2017

Reisende, die nicht weiterkommen und Obdachlose – sie alle finden am Bahnhof Zoo Menschlichkeit bei der Bahnhofsmission, wie der Leiter Dieter Puhl erzählt.

Suppenküche Berlin Zoo
Bild: Orlando el Mondry

Wer kriegt den Schlafsack?

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ – das Buch und der Film über Drogensucht hat dazu beigetragen, dass der Bahnhof im Berliner Stadtteil Charlottenburg berühmt und berüchtigt ist. Auf der Rückseite des Bahnhofs sieht man die aktuelle Realität. Hier liegt die Bahnhofsmission. Es gibt in Deutschland 105  dieser Einrichtungen, die Reisenden und Menschen in Not helfen. Die größte von ihnen ist diese. Sie ist in Trägerschaft der Berliner Stadtmission und gehört zum Diakonischen Werk. Hier wird jeden Tag an etwa 700 Menschen Essen ausgegeben, obwohl es nur einen einzigen Herd gibt. 15.000 Menschen im Jahr erhalten Kleidungsstücke, und das sind nur die schlimmsten Notfälle.

Der wichtigste Gegenstand in der Bahnhofsmission ist ein Tampon.  Mitten in einem Gespräch vor acht Jahren mit einer obdachlosen Frau wurde deutlich, dass es den auf der Straße nicht gibt. Seitdem sind Tampons immer vorrätig. Der Einsatz für Menschen ist mit solchen Details verbunden. Und es sind diese Details, die oft in Konfliktsituationen führen. Wenn ein dementer obdachloser Mann seinen geschenkten Schlafsack im Winter nach einer Stunde verliert, soll man ihm dann wieder einen geben, den er wahrscheinlich auch gleich wieder verliert, oder hebt man diesen Schlafsack auf für einen anderen Menschen? Es gibt in dieser Situation keine einfachen Antworten, weil es nicht genug Hilfe gibt für alle die Menschen, die Hilfe brauchen. Wie Siggi.

 

Wichtig ist, zusammen zu helfen

Siggi kam jeden Abend zur Bahnhofsmission, völlig eingekotet. Und jeden Abend hat ihn ein Ehrenamtlicher ausgezogen, gereinigt, saubere Sachen angezogen. Und keine Stunde später war Siggi wieder eingekotet. Aber das machte nichts. Denn es geht nicht darum, die Welt zu verändern. Aber die Welt ein bisschen besser zu machen, wenigstens für ein paar Augenblicke, das kann die Bahnhofsmission. Sie schafft es durch die vielen Menschen, die hier helfen. Es kommen Praktikanten aus der Schule und Ehrenamtliche. Und es kommen Menschen, die zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind und stattdessen gemeinnützige Arbeit leisten können. Durch diese verschiedenen Wege kommen Helfer aus allen Schichten zusammen. Unterschiede in den Ansichten oder Lebensstilen sind nicht so wichtig wie die Tatsache, dass sich alle gemeinsam für Menschen in Not einsetzen.

Jesus ist der Boss

Dabei ist der Glaube hier nicht unwichtig, im Gegenteil. Für mich ist klar, dass Jesus hier arbeitet, dass er unser Boss ist. Er treibt uns an, den Menschen zu helfen. Aber das bedeutet nicht, dass Menschen hier bekehrt werden sollen. Der Glaube zeigt sich hier beim Geschirrspülen und bei den Gesprächen mit den Menschen. Auch bei den Gesprächen mit den Menschen, die die Bahnhofsmission unterstützen. Wie die Deutsche Bahn. Denn die Deutsche Bahn unterstützt die Bahnhofsmission am Zoo sehr. Ganze Abteilungen helfen hier ehrenamtlich einen Tag mit. Die Bahn hat eine Toilette eingebaut, in der Frauen im Rollstuhl den Spiegel so verstellen können, dass sie sich schminken können, um so ein Stück ihrer Würde aufrecht zu halten. Und sie hat ein Hygienecenter eingerichtet, in dem einmal die Woche eine Friseurin arbeitet, und eine medizinisch ausgebildete Fußpflegerin. Die Bahn zeigt ein Interesse daran, sich zu engagieren und zu helfen. Und das gilt auch für die Menschen, die hier arbeiten. Menschen wie Gizem.

Gizem ist mit 13 hierher gekommen für ein Praktikum und immer dabei geblieben. Das ist drei Jahre her. Ihre Mutter hatte im Fernsehen einen Beitrag über die Bahnhofsmission gesehen. Sie hat auch schon Freunde mit hierher gebracht, die dabei alle möglichen Reaktionen gezeigt haben, von „Ich könnte das nicht“ bis „Ich will hier auch mitmachen.“ Gizem arbeitet auch gerne in der Bahnhofsmission, weil sie das Team mag. Nicht alle ihre Erfahrungen sind gut. Sie wurde schon bedroht und körperlich angegriffen. Aber sie hat sich danach nicht gesagt, dass sie aufhört, sondern dass sie erst recht weitermachen muss, weil manche Menschen hier so aggressiv sind, weil sie Hilfe brauchen. Nächstes Jahr macht Gizem ihr Fachabitur und will dann Sozialarbeit und Psychologie studieren, auch eine Folge ihrer Arbeit hier. So wirkt sich die Arbeit der Bahnhofsmission auch in das Leben der Ehrenamtlichen aus, die sich hier engagieren.

Bild: privat

Dieter Puhl, Leiter der Evangelischen Bahnhofsmission Berlin Bahnhof Zoo