Hilfe für Betroffene, ökumenischer Dialog
24. September 2011Nach dem zuvor nicht angekündigten und als privat bezeichneten Treffen mit den Opfern teilte die Pressestelle des Vatikans lediglich schriftlich mit, Papst Benedikt XVI. sei von dem Schicksal der Menschen, die von Priestern oder Mitarbeitern kirchlicher Heime und Schulen sexuell missbraucht wurden, zutiefst erschüttert.
Bei dem rund 30 Minuten dauernden Gespräch waren auch Helfer und Therapeuten anwesend, die sich um die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle kümmern. Deren Zahl geht allein in der Reihen der katholischen Kirche in die Hunderte, wobei die Fälle teilweise schon mehrere Jahrzehnte zurück liegen.
Auch die fünf Gesprächspartner des Papstes äußerten sich bislang nicht öffentlich. Der Sprecher der Deutschen Bishofskonferenz, Matthias Kopp, sagte am Samstagmorgen, er habe den Eindruck gehabt, die Missbrauchsopfer seien dankbar für die Worte und das Verständnis des Papstes gewesen.
Der Beauftragte für die Aufklärung der Missbrauchsfälle, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, sagte nach dem Gespräch vor Reportern, der Papst habe ausdrücklich seine Scham über die Verbrechen und Verfehlungen ausgedrückt. Auch auf anderen Auslandsreisen hatte sich Benedikt XVI. mit Opfern von Verbrechen an katholischen Einrichtungen getroffen.
Das Treffen im Priesterseminar in Erfurt war geheim gehalten worden, um eine private Gesprächsatmosphäre zwischen Papst und den Betroffenen zu gewährleisten, hieß es von der Deutschen Bischofskonferenz.
Die katholische Kirche hat Unterstützung bei der strafrechtlichen Verfolgung der Fälle und interne Disziplinarverfahren gegen die mutmaßlichen Täter zugesichert. Die Personalakten von Tausenden kirchlicher Mitarbeiter werden derzeit überprüft. Aktuell laufen rund 50 interne Ermittlungsverfahren gegen katholische Priester.
Die angebotene finanzielle Entschädigung von bis zu 10.000 Euro im Einzelfall hatten Opferverbände als zu niedrig kritisiert. Mißbrauchsfälle gab es in Deutschland allerdings nicht nur in katholischen Einrichtungen, betroffen sind auch die evangelische Kirche und staatliche Einrichtungen.
Papst als Popstar im Eichsfeld
Vor dem Gespräch hatte der Papst im Eichsfeld, einer katholischen Region im ansonsten protestantischen Bundesland Thrüngen, mit 90.000 begeisterten Gläubigen eine Marien-Vesper mitten auf einem Feld gefeiert. Zunächst waren nur 60.000 Menschen im abgelegenen Eichsfeld erwartet worden, dann nahmen aber wesentlich mehr Leute den teils beschwerlichen Weg auf sich.
Die Marienkapelle von Etzelsbach erreichten die meisten erst nach einem längeren Fußmarsch. Mit der Bahn und rund 1000 Bussen waren die Gläubigen angereist, dann galt es, mindestens sechs Kilometer weit zu laufen. Die besucher stimmten sich den ganzen Tag über mit Chormusik, Picknick und Rosenkranz-Gebeten ein. Der gut gelaunte, aber müde wirkende Papst schwebte mit dem Hubschrauber ein und ließ sich mit tosendem Applaus und einer Ehrenrunde im verglasten Papamobil feiern.
In seiner Predigt dankte er den wackeren Katholiken im Eichsfeld. Rundum von Protestanten oder Heiden umgeben, hätten sie während der Nazi-Diktatur und der kommunistischen Diktatur in der DDR widerstanden, sagte der Papst.
Peter Kittel vom Organisationskomitee Etzelsbach ist sicher: "Die Vesper in der Dämmerung und die anschließende Wanderung der Pilger war sicherlich der Höhepunkt des Deutschlandbesuches des Heiligen Vaters." Das Eichsfeld blieb auch zu DDR-Zeiten eine geschlossene katholische Insel in der ansonsten traditionell evangelischen und politisch atheistischen DDR.
Ins Eichsfeld eingeladen hatte den Papst der heutige CDU-Landrat Werner Henning. Er schrieb 2005 einen Brief an den "hochverehrten Papst". Die korrekte Anrede "Eure Heiligkeit" kam ihm damals nicht in den Sinn. Werner Henning gehörte zu den wichtigsten Köpfen der Wendezeit in der DDR im Jahr 1989. Er sprach auf den Montags-Demonstrationen und half mit, das Regime zu Fall zu bringen.
"Religion ist bei uns im Eichsfeld unsere eigene Sache, die muss nicht groß von der Kirche vorangetrieben werden", sagt Werner Henning über das etwas eigenbrötlerische Lebensgefühl der Eichsfelder. Von den sieben Prozent der Menschen im Bundesland Thüringen, die sich heute zum katholischen Glauben bekennen, leben die meisten im Eichsfeld.
Ökumene kommt nicht recht voran
Vor dem Glaubensfest in Etzelsbach hatte der Papst in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt einen eher kirchenpolitischen Termin absolviert: Als Ort der Begegnung mit den Spitzen der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde das Augustinerkloster gewählt, in dem Martin Luther als Mönch lebte, bevor er zum Reformator wurde. Schon allein das ist für Kirchenfachleute spektakulär.
Papst Benedikt XVI. sagte dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, man müsse in Zukunft die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede betonen:
"Es war ein Fehler des konfessionellen Zeitalters, dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existentiell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist." In einer Welt, die sich mehr und mehr vom Glauben abwende, müsse man gemeinsam für das Christentum eintreten.
Der oberste Vertreter der evangelischen Kirche, Präses Nikolaus Schneider, sagte dem Papst, die Kirchen sollten "ihren Eigensinn überwinden können und getrennt gewachsene Traditionen als gemeinsame Gaben verstehen." Danach sehnten sich viele Menschen in allen Regionen Deutschlands, vor allem die Gläubigen, die mit einem Partner der jeweils anderen Konfession verheiratet seien.
"Für uns alle wäre es ein Segen, ihnen in absehbarer Zeit eine von Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen", sagte Schneider mit Blick auf das gemeinsame Abendmahl während des Gottesdienstes. Daran dürfen in der katholischen Kirche evangelische Christen nicht teilnehmen.
Wenig Konkretes
In einer anschließenden Predigt erteilte Benedikt XVI. allen Hoffnungen auf konkrete Ergebnisse der ökumenischen Gespräche eine Absage: Er habe keine ökumenischen Gastgeschenke im Gepäck. Wer das erwarte, unterliege einem Missverständnis. In Glaubensfragen könne es keine politisch verstandenen Kompromisse geben, so der Papst: "Der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung von Vor- und Nachteilen. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos."
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte der Deutschen Welle, der Papst habe den Reformator Martin Luther weit mehr gewürdigt, als er das erwartet habe. Der Papst habe Luthers zentrale theologische Frage, wie man Gott findet, aufgegriffen und zum gemeinsamen Fundament von Katholiken und Evangelischen gemacht.
Auch der evangelische Präses Schneider gab sich im Gespräch mit der Presse auch zufrieden. Man mache sich jetzt gemeinsam auf den Weg, das sei durchaus auch anstrengend. Beide Seiten müssten aufeinander zugehen. "Mein Herz brennt für mehr", bekräftigte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Der wesentliche Unterschied zwischen den Konfessionen besteht im unterschiedlichen Amtsverständnis der Priester. Die katholische Kirche sieht ihre Geistlichen in der direkten Nachfolge der Apostel mit dem Papst, dem Bischof von Rom, als Stellvertreter Christi an der Spitze. In der evangelischen Kirche gibt es keine Weihe der Priester, sie werden von den Gemeinden beauftragt. Zudem ist die Kirche weniger hierarchisch gegliedert.
Weitere Stationen: Erfurt und Freiburg
Ein weiterer Höhepunkt am Sonnabend (24.09.2011): Die Papstmesse als festlicher Gotteesdienst auf dem Erfurter Domplatz mit mindestens 30.000 Teilnehmern. Es herrscht die höchste Sicherheitsstufe. Die gesamte Innenstadt von Erfurt ist von Tausenden Polizisten abgeriegelt, Anwohner brauchen Passierscheine.
Auf großen Plakaten warnen die Behörden, dass Flaschen, Fahnen, Hunde und Waffen auf dem Platz verboten sind. Die Gully-Deckel wurden versiegelt.
Die Andenken-Läden haben sich mit speziellen Bierseideln und Halstüchern mit dem päpstlichen Logo eingedeckt und hoffen nun auf Absatz. Auch die Wurstbude am Marktplatz habe aufgerüstet, sagt der Wirt: 5.000 Thüringer Würste hat er für die hungrigen Pilger eingelagert. Die mussten früh aufstehen. Die Tore zum Domplatz öffneten bereits um vier Uhr in der Früh. Die Messe begann fünf Stunden später.
Am Mittag fliegt der 84-jährige Papst dann zu seiner letzten Station auf der Deutschlandreise, nach Freiburg in Baden-Württemberg. Dieses Reiseziel hat angeblich der Privatsekretär Georg Gänswein mit vorgeschlagen. Georg Gänswein, der "Schatten des Papstes", stammt nämlich aus dem nahe gelegenen Schwarzwald.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Hartmut Lüning