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Politik

Hilferuf aus Kara Tepe

21. Februar 2021

Erst Moria, jetzt Kara Tepe. Eine Kältewelle in Griechenland hat erneut die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern auf Lesbos offenbart. Auch wenn es milder geworden ist - Hilfsorganisationen schlagen Alarm.

Eine Frau vor dem Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos
Eine Frau vor dem Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos. Die Aufnahme stammt vom 28. Januar dieses JahresBild: Elias Marcou/REUTERS

Und jetzt auch noch das. In dem provisorischen Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos brennen zwei Zelte. Auf dem Instragram-Account "Now_you_see_me_moria" posten Bewohner am 19. Februar, wie Rauchwolken zwischen den weißen UNHCR-Zelten aufsteigen und Frauen verzweifelt um Hilfe rufen.

"Schon wieder Feuer im zweiten Moria Camp auf Lesbos. Zwei Zelte sind abgebrannt, und es ist weder das erste noch das letzte Mal. Es ist immer so, denn die Regierung kümmert sich nicht um Flüchtlinge. Video von Ali", heißt es in dem Eintrag.

Nicht nur auf Instagram, auch auf der gleichnamigen Plattform machen die Bewohner von Moria und dem neuen Camp Kara Tepe auf ihre Situation aufmerksam. Weil Fotografen und Kamerateams keinen Zugang zu dem abgeriegelten Camp haben, sind diese Aufnahmen zur Zeit die einzige Quelle für Informationen zum Leben in den Flüchtlingsunterkünften. 

Das Lager Kara Tepe befindet sich direkt an der Küste. Die Zelte halten den Stürmböen nicht immer stand Bild: Elias Marcou/REUTERS

In den vergangenen Wochen machte den Flüchtlingen vor allem der unerwartete Wintereinbruch auf den griechischen Inseln zu schaffen. Auf Lesbos gingen Hagel und Schneeregen nieder, Sturmböen peitschten über die Insel. Zeltplanen flogen durch die Luft, auf den Lehmböden staute sich das Wasser, und die Zelte versanken im Schlamm.

"Eine Kältewelle durchquert Griechenland. Tausende Flüchtlinge und Asylsuchende, die in Zelten oder selbst errichteten Unterkünften auf Samos, Chios und Lebos leben, sind eisigen Temperaturen und Winden ausgesetzt", twitterte das UN-Flüchtlingswerk in Griechenland am 17. Februar.

Auf den griechischen Inseln leben derzeit rund 15.000 Flüchtlinge, rund die Hälfte von ihnen hält sich in dem provisorischen Camp Kara Tepe auf Lesbos auf. Das Lager wurde nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria im September 2020 hochgezogen. Es liegt direkt an der Küste, weshalb die Bewohner immer wieder Stürmen und Überschwemmungen ausgesetzt sind.

Um die Essensversorgung im Lager kümmert sich das griechische Militär, denn seit dem Brand in Moria dürfen die Bewohner sich nicht mehr selbst versorgen und kochen. Das neue Camp ist mit Stacheldraht umzäunt und wird bewacht. Außerdem gilt ein strikter Lockdown. Im Camp leben rund 2.500 Minderjährige.

Corona-Prävention: Vor dem Zutritt zum Lager wird die Körpertemperatur gemessen Bild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

"Überschwemmte Zelte, viel zu wenige Toiletten und Duschen, kaum Schutz vor Sturm und Regen: Auch das neu errichtete Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos steht für eine gescheiterte europäische Flüchtlingspolitik", lautet das Urteil von Caritas International. Die Hilfsorganisation errichtet in Kara Tepe Toiletten, verteilt Essen und Decken, und bietet Englischunterricht und psychologische Betreuung an.

Nach Einschätzung der Hilfsorganisation ist das Lager, das zukünftig bis zu 10.000 Menschen beherbergen soll, bereits mit den aktuell 7.000 Bewohnerinnen und Bewohnern überfordert. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser sei nicht ausreichend gewährleistet, es fehle an Duschen und Toiletten.

Ein von Bewohnern gedrehtes Video, das von WDR-Reporterin Isabel Schayani am 11. Februar bei Twitter gepostet wurde, lässt das Ausmaß des Elends erahnen. Inmitten strömenden Regens versucht dort ein Kind, zur Toilette zu gehen - in Kara Tepe alles andere als einfach.  

Bereits im Dezember kam es zu schweren Überschwemmungen. Die erst vor wenigen Monaten aufgebauten Zelte standen unter Wasser. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der griechischen Regierung zudem in einem am 17. Februar veröffentlichten Bericht vor, Teile des Bodens im Lager Kara Tepe seien mit Blei kontaminiert.

"Der griechischen Regierung liegen seit sieben Wochen die Ergebnisse von Bodenproben und Blutproben von Kindern aus Kara Tepe vor", heißt es in der Analyse. Doch bisher beschränkten sich die Maßnahmen auf ein Minimum, und die Risiken würden heruntergespielt.

Von Moria nach Hannover: Seit März 2020 hat Deutschland über 1600 Asylsuchende aus Moria aufgenommenBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture-alliance


Deutschland hat unterdessen weitere Flüchtlingsfamilien aus Lesbos aufgenommen. Am 17. Februar landete eine Maschine mit 26 Flüchtlingsfamilien in Hannover. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums handelt es sich dabei um insgesamt 53 Erwachsene und 63 Kinder. Seit März vergangenen Jahres sind insgesamt 1.677 Menschen aus Lesbos aufgenommen worden. 

Die EU Kommission erklärte auf ihrem Portal, sie habe ihre finanzielle Unterstützung für die Überführung von Flüchtlingsfamilien aus Lesbos bis zum April dieses Jahres auf 30 Millionen Euro erhöht. Zu den Ländern, die sich neben Deutschland zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit erklärt haben, gehören unter anderem Frankreich, Belgien, Bulgarien, Kroatien, Finnland, Irland, Portugal, Slowenien, die Niederlande und auch Norwegen und die Schweiz.

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