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PolitikNiger

Hilfsorganisationen warnen vor Lebensmittelkrise im Niger

Veröffentlicht 10. August 2023Zuletzt aktualisiert 10. August 2023

Nach dem Putsch vor zwei Wochen sind die Preise im Niger für manche Lebensmittel bereits drastisch gestiegen. Die Welthungerhilfe warnt vor einer Versorgungskrise. Die politische Lage ist weiter höchst fragil.

Marktstand in Niamey (am Dienstag)
Marktstand in Niamey (am Dienstag)Bild: AFP/Getty Images

"Die Lebensmittelpreise auf den lokalen Märkten steigen", sagte Welthungerhilfe-Programmleiter Jameson Gadzirai dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Der Bedarf an humanitärer Hilfe wird wahrscheinlich steigen und die Gefährdung der Bevölkerung wird ein bedrohliches Ausmaß erreichen", fügte er hinzu.

Der Preis für einen 50-Kilo-Sack Reis sei um fast 50 Prozent gestiegen, Öl um 20 Prozent teurer geworden. Die Vorräte und Nahrungsmittelreserven aus dem vergangenen Jahr seien fast aufgebraucht und die neue Ernte stehe noch bevor.

Niger sei derzeit ohnehin in einer schwierigen Phase, da sich das Land zwischen zwei Ernten befinde. Aufgrund der aktuellen Grenzschließungen habe sich die Situation "noch weiter verschärft", betonte Gadzirai.

Wasser, Medizin, Unterkünfte - es fehlt an allem

Der Putsch vor zwei Wochen bedeute für die Menschen noch mehr Ungewissheit als ohnehin schon in dem Land, das zu den ärmsten Staaten der Welt gehört, sagte Gadzirai. Die Ernährungsunsicherheit nehme weiter zu. Die Not sei besonders in den Grenzregionen groß: "Die Gemeinschaften, insbesondere in den Grenzgebieten, die derzeit die Hauptlast der Bevölkerungsbewegungen tragen, brauchen Zugang zu Wasser, medizinischer Versorgung, Unterkunft und Schutz."

ECOWAS-Gipfel nach Ultimatum

Nach dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum am 26. Juli haben die Streitkräfte im Niger die Macht übernommen. Alle Land- und Luftgrenzen des Landes waren am Abend des Putsches geschlossen worden. Eine Woche später wurden die Grenzen zu fünf Nachbarstaaten wieder geöffnet.

Am Sonntagabend war das Ultimatum der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS abgelaufen, binnen einer Woche die "verfassungsgemäße Ordnung" wiederherzustellen - sonst komme es zu einer militärischen Intervention. Die Frist verstrich allerdings, ohne dass es zunächst zu einem Militäreinsatz kam.

Die ECOWAS-Staaten beraten an diesem Donnerstag bei einem Sondergipfel über die Lage im Niger und ihr weiteres Vorgehen. Die nigerianische Präsidentschaft des Treffens erklärte im Vorfeld der Zusammenkunft in Nigerias Hauptstadt Abuja, dass die ECOWAS-Staaten "eine Lösung auf diplomatischem Wege, mit friedlichen Mitteln, jeder anderen Lösung vorziehen". An dem Treffen nimmt der Afrika-Beauftragte des Auswärtigen Amts, Christoph Retzlaff, als Beobachter teil.

Neues Kabinett berufen

Stunden vor den ECOWAS-Beratungen bildete die Putschführung eine neue Regierung aus Militärs und Zivilisten. Nach Angaben eines Sprechers der Machthaber wurden 21 Ministerposten neu besetzt. Die Bereiche Verteidigung und Sicherheit blieben in militärischer Hand. 

Aufruf zu Protesten, Sorge um den Präsidenten

Die Partei des gestürzten Präsidenten Bazoum rief unterdessen zur Befreiung des Staatsoberhauptes auf. Das ganze Land müsse mobilisiert werden, heißt es in einer Erklärung der Partei PNDS-Tarayya. Bazoum und seine Familie würden unter unmenschlichen Bedingungen in ihrer Residenz festgehalten. Es gebe kein fließendes Wasser und keinen Strom. Außerdem würden dem Präsidenten eine ärztliche Betreuung und frische Lebensmittel verweigert. Zuvor hatte bereits ein ehemaliger Rebellenführer zu Widerstand gegen die Militärregierung aufgerufen.

Der gestürzte nigrische Präsident Mohamed Bazoum (im März im Präsidentenpalast)Bild: Boureima Hama/AFP/AP/dpa/picture allaince

Auch UN-Generalsekretär António Guterres und die USA haben sich besorgt über die Gesundheit von Mohamed Bazoum geäußert. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, sagte nach einem Telefonat von Außenminister Antony Blinken mit Bazoum, die Sorge um dessen Gesundheit sei einer der Gründe gewesen, warum die geschäftsführende stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland bei einem unangekündigten Besuch im Niger zu Wochenbeginn vergeblich versucht habe, den gestürzten Präsidenten zu treffen. Guterres forderte in einer Erklärung die sofortige Freilassung des 63-Jährigen.

Bazoum war der erste Staatschef des seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft im Jahr 1960 unabhängigen Niger, der durch eine friedliche Machtübergabe ins Amt gelangt war.

Frankreich weist Vorwürfe zurück

Die französische Regierung hat die Vorwürfe der Machthaber im Niger zurückgewiesen, wonach Frankreich den Luftraum über dem westafrikanischen Land verletzt und "Terroristen" freigelassen haben soll. Der Flug am Morgen sei mit der nigrischen Armee vereinbart und "schriftlich bestätigt" worden, hieß es am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung von Verteidigungs- und Außenministerium in Paris. Zudem sei "kein Terrorist durch französische Streitkräfte befreit worden".

Die rund 1500 im Niger stationierten französischen Soldaten kämpften auf Bitten der "legitimen nigrischen Behörden" gegen die Gruppen von Terroristen, die die Sahel-Zone destabilisierten, hieß es weiter. Die Ministerien betonten, die Vorwürfe der nigrischen Machthaber seien ein neuer Ablenkungsversuch, während die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS versuche, die verfassungsmäßige Ordnung im Niger wiederherzustellen.

General Abdourahmane Tchiani, neuer Machthaber im Niger, bei einer TV-Ansprache (28.07.2023)Bild: ORTN/Télé Sahel/AFP/Getty Images

Der Nationale Rat für den Schutz des Vaterlandes (CNSP) hatte den französischen Streitkräften am Mittwoch im nigrischen Staatsfernsehen vorgeworfen, den geschlossenen Luftraum verletzt zu haben. Ein französisches Militärflugzeug sei im benachbarten Tschad aufgebrochen und habe beim Eintritt in den nigrischen Luftraum "absichtlich allen Kontakt zur Flugverkehrskontrolle" abgebrochen.

Der CNSP erklärte überdies, dass Frankreich "gefangene Terroristen einseitig befreit" habe. "Terroristen" bezeichnet in diesem Fall bewaffnete Dschihadisten, die seit Jahren in dem Land einen blutigen Aufstand führen.

Seit dem Staatsstreich Ende Juli hat Frankreich seine Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit dem Land ausgesetzt. Das in Niamey regierende Militär kündigte diese Abkommen in der vergangenen Woche auf, was Paris mit der Begründung zurückwies, dass sie von den rechtmäßigen nigrischen Behörden unterzeichnet worden seien.

mak/AR (afp, KNA, dpa, rtr)