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Hilft die 6-Tage-Woche gegen Fachkräftemangel?

25. Juni 2024

Einige Länder in Europa wollen Arbeitszeiten verkürzen. Griechenland führt dagegen die Sechs-Tage-Woche ein, um Fachkräftemangel und Schwarzarbeit zu bekämpfen. Kann das funktionieren?

Griechenland Athen 2024 | Debatte Zugunglück | Ministerpräsident Mitsotakis & Misstrauensvotum
Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis will, dass die Griechen noch länger arbeitenBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Für viele Menschen ist Arbeitsrecht ein eher langweiliges Thema. Aber wenn jemand vorschlägt, einen ganzen Tag länger zu arbeiten, werden die meisten hellhörig.

In Griechenland treten am 1. Juli neue Vorschriften in Kraft, die genau das möglich machen. Ab diesem Tag können bestimmte Unternehmen von der traditionellen 5-Tage-Woche zu einer 6-Tage-Woche wechseln.

Die Regelung gelte für Industrie- und Produktionsbetriebe sowie Firmen, die rund um die Uhr Dienstleistungen erbringen, sagt Arbeitsrechtler Emmanouil Savoidakis von Politis & Partners, einer auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei mit Sitz in Athen. Tourismus und Gastronomie sind von der neuen Regelung ausgenommen.

Die Änderung bedeutet eine Ausweitung der normalen gesetzlichen Wochenarbeitszeit von bisher 40 auf dann 48 Stunden. In der Theorie können Arbeitnehmer mitentscheiden, ob sie so lange arbeiten wollen. Wer mehr arbeitet, erhält auch mehr Lohn.

Das Gesetz soll dazu beitragen, die Folgen des Fachkräftemangels zu reduzieren. Zu den Maßnahmen gehören auch der Kampf gegen Schwarzarbeit und Anreize zur Weiterbildung. Durch kostenlose Angebote soll Arbeitnehmern geholfen werden, "sich weiterzubilden und an die sich verändernden Marktanforderungen anzupassen", sagt Anwalt Savoidakis.

Wichtig sei aber, dass "die 6-Tage-Woche nicht universell gilt, sondern auf bestimmte Wirtschaftszweige beschränkt ist".

Taugt das als Vorbild für andere Länder?

Tourismus ist eine wichtige Säule der griechischen Wirtschaft. Von den neuen Regeln ist die Branche aber ausgenommenBild: Petros Giannakouris/AP/picture alliance

Mehr arbeiten oder weniger?

Zu den wirtschaftlichen Problemen Griechenlands gehören niedrige Löhne, eine hohe Arbeitslosigkeit und eine schrumpfende Bevölkerung. Damit ist das Land nicht allein. Doch die Verlängerung der Wochenarbeitszeit ist das Gegenteil dessen, was andere europäische Länder versuchen.

In Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Island experimentieren Firmen mit alternativen Arbeitszeitmodellen. Entweder wird die 40-Stunden-Woche in vier Tage mit langen 10-Stunden-Tagen gequetscht. Oder man überlegt, wie man 100 Prozent der Arbeit in nur 80 Prozent der Zeit erledigen kann - und weiterhin das volle Gehalt bekommt.

In Deutschland haben sich die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft der Lokführer im Frühjahr darauf geeinigt, die normale Wochenarbeitszeit schrittweise von 38 auf 35 Stunden zu reduzieren. Auch in anderen Branchen wird eine kürzere Wochenarbeitszeit gefordert.

Griechenlands Erholung

Griechenland geht einen anderen Weg. Und es ist nicht das erste Mal, dass das Land über die 6-Tage-Woche diskutiert. Während der Schuldenkrise, die 2009 begann und das Land fast aus der Eurozone geworfen hätte, forderten einige Gläubiger längere Arbeitszeiten für die Griechen.

Das Land akzeptierte milliardenschwere Rettungspakete, die mit strengen Sparauflagen verbunden waren. Ein sechster Arbeitstag wurde jedoch nicht eingeführt.

Nach Berechnungen der Europäischen Kommission, die Mitte Mai veröffentlicht wurden, dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,2 Prozent und im nächsten Jahr um 2,3 Prozent wachsen und damit über dem Durchschnitt der Eurozone liegen. Die Arbeitslosigkeit wird demnach von 10,3 Prozent in diesem auf 9,7 Prozent im nächsten Jahr sinken.

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Im vergangenen Jahrzehnt haben viele junge und gut ausgebildete Griechen das Land verlassen, weil sie im Ausland bessere Chancen sahen. Es wird erwartet, dass die Bevölkerung von 10,7 Millionen im Jahr 2019 auf etwa 10,4 Millionen im Jahr 2029 schrumpfen wird. Das würde den ohnehin bestehenden Fachkräftemangel in Branchen wie Landwirtschaft, Tourismus und Bauwesen noch verschärfen.

Schon heute ist die Jahresarbeitszeit in Griechenland laut OECD deutlich länger als anderswo. Die Zahlen sind manchmal schwer zu vergleichen, doch der der Trend ist eindeutig: Menschen in Griechenland arbeiten deutlich länger als ihre Kollegen in Großbritannien, in den USA und in Deutschland.

Gesetz spiegelt Griechenlands Realität wider

Immerhin wurde der monatliche Mindestlohn für Angestellte zum 1. April auf 830 Euro angehoben, 2019 lag er noch bei 650 Euro.

Der durchschnittliche Monatslohn liegt jetzt bei rund 1.250 Euro. Bis 2027 soll er auf 1.500 Euro steigen, hat Griechlands Ministerpräsident kürzlich angekündigt.

Die Lohnerhöhungen reichen jedoch nicht, um frühere Lohnkürzungen und die anhaltend hohe Inflation auszugleichen. Viele Griechen seien gezwungen, zwei Jobs anzunehmen, um über die Runden zu kommen, sagt Jens Bastian von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Die nun in Kraft tretenden Regelungen wurden nun lediglich "rückwirkend den rechtlichen Rahmen an die seit Jahren bestehende Realität auf dem griechischen Arbeitsmarkt anpassen", so Bastian. Mit anderen Worten: Schon jetzt arbeiten viele Menschen in Griechenland mehr als fünf Tage pro Woche.

Konflikte

Hinzu kommt, dass die neuen Vorschriften Arbeitgebern viel Spielraum lassen. Können Arbeitssuchende die Mehrarbeit verweigern und bei der bisherigen Fünf-Tage-Woche bleiben?

"Es kann Teil der Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein, dass der eine eine längere Arbeitszeit fordert und der andere sie ablehnt", so Bastian.

Doch wenn es um die Arbeit geht, fehlt in Griechenland oft eine gewerkschaftliche Mitbestimmung, vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Viele Beschäftigte würden sich dem Wunsch der Arbeitgeber nach längeren Arbeitszeiten beugen, um ihre Arbeitsplätze nicht zu gefährden, glaubt Bastian.

Emmanouil Savoidakis von der Anwaltskanzlei Politis & Partners in Athen sagt, mehrere Firmenkunden interessierten sich bereits für eine 6-Tage-Woche.

"Sie wollen dadurch ihre Kapazität und den Service für ihre Kunden erhöhen, besonders in Branchen, in denen Arbeitskräfte fehlen oder die Nachfrage saisonal schwankt", so der Anwalt. Er könne sich vorstellen, dass die 6-Tage-Woche in Branchen mit schwankendem Arbeitsaufkommen eingeführt wird, etwa im Einzelhandel, in der Produktion oder im Gesundheitswesen.

Mehr Arbeit ist kein Allheilmittel

Die grundlegenden wirtschaftlichen Probleme seien mit einer sechstägigen Arbeitswoche allerdings nicht zu lösen, warnt SWP-Forscher Bastian. Auch fehlende Arbeitskräfte ließen sich durch längere Arbeitszeiten nicht dauerhaft ausgleichen.

Griechenland brauche vielmehr strukturelle Veränderungen, die "Anreize schaffen", etwa "bessere Karriereaussichten, Chancengleichheit und höhere Löhne, die auch die Kompetenzen widerspiegeln", so Bastian.

"Hier hat Griechenland noch einen langen Weg vor sich, wenn es zu den anderen Ländern in Europa aufschließen will", so der Wissenschaftler. "Längere Arbeitszeiten und Samstagsarbeit führen dagegen in die entgegengesetzte Richtung."