Maskottchen als Artenschützer
3. Juni 2014 Kinder, die „Timoooooon“ vor Erdmännchen-Gehegen schreien, gibt es wohl in fast allen Zoos der Welt. Sie kennen das Tier als frechen, flauschigen Vertreter seiner Art aus dem Disney-Zeichentrickfilm “Der König der Löwen.” Das Erdmännchen ist sympathisch und witzig, singt und tanzt - und ruft so intuitiv positive Gefühle hervor, die sie auf die Zootiere übertragen. Nicht ganz zurecht allerdings, denn in Wirklichkeit sind die Timons eher zottelig und tapsig und können auch sehr aggressiv werden.
Die Übertragung von menschliche Emotionen, Eigenschaften und Fähigkeiten auf Tiere nennt man Anthropomorphismus. Dieser Begriff greift immer dann, wenn Zeichentrickfiguren durch große, runde Augen oder Kleidung ein menschlicheres Aussehen bekommen und Gefühle wie Fröhlichkeit, Wut oder Traurigkeit empfinden können. Je “menschlicher” wir Tiere wahrnehmen, desto leichter fällt es uns, eine Verbindung aufzubauen und Empathie zu entwickeln.
Empathie für Tiere wecken
Dieses Sich-Hineinversetzen in Arten ist inzwischen Bestandteil verschiedener Studien, in denen Wissenschaftler untersuchen, ob Mitgefühl tatsächlich helfen kann, Menschen für Naturschutz zu begeistern. „Anthropomorphismus ist ein Weg zu Wissen“, sagt John Fraser, Umweltschutzpsychologe und Geschäftsführer von New Knowledge, einem New Yorker Think-Tank für Bildungsthemen. „Empathie ist essentiell, um Interesse für Tiere und andere Lebewesen zu wecken. Wenn das Übertragen von menschlichen Wahrnehmungswelten dabei hilft, ist das etwas Gutes.“
Eine Studie aus der Fachzeitschrift „Biodiversity and Conservation“ auf dem Jahr 2013 zeigt, dass Anthropomorphismus Menschen dabei hilft, ihre Interaktionen mit der nicht-menschlichen Welt zu verstehen und einzuordnen. Mit einem Gefühl von Verbundenheit, so die Wissenschaftler, zeigte sich auch eine höhere Bereitschaft zum Umweltschutz. Die Studie beschäftigt sich vor allem damit, wie Menschen Vermenschlichungen bei bestimmten Arten herstellen und wie sie durch eine Vielzahl von Menchanismen mit diesen Tieren in Verbindung treten.
"Wissenschaftler waren lange Zeit sehr vorsichtig mit dem Thema Anthropomorphismus umgegangen. Es wurde als unwissenschaftlich gesehen, Hypothesen über das Verhalten der Tiere aufzustellen", sagt eine der führenden Autorinnen der Studie, Meredith Root-Bernstein von der Universität Oxford, der Website About.com. "Aber als Naturschützer haben wir die Möglichkeit, das ganze populärwissenschaftlich zu betrachten und Ähnlichkeiten zwischen Menschen und allen anderen Arten suchen. Wir sollten versuchen dieses bedeutsame Verhältnis zur Natur zu verstehen und damit zu arbeiten.”
Maskottchen helfen, Umweltschutz zu verbreiten
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch verschiedene Umweltschutz-Kampagnen, die mit Hilfe von Maskottchen die Öffentlichkeit für ihre Themen sensibiliseren wollen. „Wir wissen, dass man für jede Überzeugungsarbeit zuerst einmal Aufmerksamkeit erregen muss“, sagt Paul Butler, der Senior-Vizepräsident der internationalen Umweltschutzorganisation Rare. Er zitiert damit den Umweltpsychologen Doug McKenzie-Mohr.
Ein Paradebeispiel für eine solche Kampagne kann Fuleco sein, das bunte Maskottchen der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Fuleco ist ein Dreibinden-Kugelgürteltier, das T-Shirt und kurze Hosen trägt. Der Auftrag des Maskottchens lautet nicht nur, die Zielgruppe der 5- bis 12-Jährigen zu begeistern. Gleichzeitig soll Fuleco für mehr Umwelt-Bewusstsein sorgen - vor allem in Caatinga, der Heimatregion des Gürteltiers im Nordosten Brasiliens.
„Es ist mindestens genauso wichtig, seine Zielgruppe zu kennen, wie klare Botschaften zu setzen“, sagt Umweltforscher und Dozent Diogo Veríssimo. “Man muss ebenso verstehen, wie die Lebewesen und Maskottchen bei der Bevölkerung ankommen.“
Die Umweltschutzorganisation Rare ist ein alter Hase in Sachen Maskottchen-Einsatz. Sie hat bereits viele ihrer Kampagnen mit tierischen Helfern umgesetzt. Sie sollen mit ihrem vorbildlichen Verhalten klare Umweltbotschaften vermitteln. Laut Rare ist für den Erfolg aber auch ein umfassendes Bildungsprogramm notwendig, das die Maskottchen mit einschließt. Ein Beispiel: In Palau hat Rare das Maskottchen Armella ins Rennen geschickt, das einer nur auf Palau heimischen Sperlingsvogelart nachempfunden ist. Der Vogel ist dafür bekannt, immer dann zu singen und zu tanzen, bevor Regen einsetzt. Das Maskottchen Armella imitiert dieses Verhalten und fordert so dazu auf, Felder vor Erosion zu schützen.
Stehlen Maskottchen “hässlicheren” Tieren die Show?
Doch wie wirkt sich das Dasein als Maskottchen auf die betreffenden “echten” Tiere aus? Tatsächlich ist es ein Spagat: Einerseits sollen Maskottchen so aufregend und menschlich wirken, dass sie wahrgenommen und bewundert werden. Andererseits müssen auch die ursprünglichen Eigenschaften der Tiere erhalten bleiben. Das ist vor allem dann schwierig, wenn die Vorbilder von Natur aus gerade nicht niedlich, flauschig oder beeindruckend sind.
Außerdem geht Anthropomorphismus im Umweltschutz oft auf Kosten von “weniger attraktiven” Tieren, sagen Kritiker. Vielmehr stünden besonders soziale und intelligente Tiere, wie Schimpansen, Pandas, Eisbären und Delfine im Vordergrund. Hässlichere Arten hätten da schlechtere Karten.
Doch selbst für Maskottchen-Stars kann die besondere Beziehung zum Menschen negative Folgen haben. Vor einigen Jahren schlugen bei YouTube Videos von Faulaffen große Wellen. Millionen Zuschauer konnten den Tieren dabei zusehen, wie sie niedlich und kamerawirksam gekitzelt oder gekrault wurden, oder Cocktail-Schirmchen trugen. Das könne negative Folgen haben, warnten Tierschützer und forderten die Löschung der Filme. Gerade weil die Videos so niedlich waren, fürchteten die Aktivisten einen verstärkten illegalen Handel mit den Tieren. Faulaffen wurden ohnehin schon für die Verwendung in traditioneller asiatischer Medizin gejagt.
Wie sich plötzliche Popularität auswirken kann, mussten beispielsweise Waschbären in den 1970er Jahren in Japan erfahren. Ihre markanten Gesichter wurden durch eine Fernsehserie berühmt, in der ein Waschbär-Waise von zwei Jungen adoptiert und großgezogen wurde. Diese Rolle machte Waschbären derart populär, dass sie hundertfach importiert wurden.
Trotz der möglichen Nachteile sollten sich Marketingagenturen Anthropomorphismus zunutze machen, sagt der Umweltschutz-Psychologe John Fraser. Denn: „Wir leben in einer Welt, in der uns jeder zu manipulieren versucht.“ Deswegen müssten auch Umweltschutzorganisationen mit ihrer “guten” Botschaft zu ebenso manipulativen Mitteln greifen, wie ihre Gegenspieler - wenn sie wollen, dass die Botschaft ankomme.