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Backpacker statt Mörder

Alexander Budde25. Februar 2009

In Stockholm verbringen Menschen freiwillig die Nacht im Gefängnis – weil sie eine günstige Schlafmöglichkeit im Grünen suchen. Und hinter den dicken Mauern hört man garantiert nichts vom Schnarchen der Nachbarn.

Eine Zellentür mit einer Lampe daneben (Foto: Langholmen's Youth Hostel)
Wo früher Mörder schliefen, schlafen heute BackpackerBild: Långholmen's Youth Hostel
"Das hier ist die so genannte 'Spinnglocke'. Darauf steht: 'Die Zeit vergeht, die Glocke schlägt, und die Ewigkeit erwartet uns'. Mit dieser Botschaft sollten die zweifelhaften Damen, die hier einsaßen und Strafarbeit leisteten, über ihre Dummheiten nachdenken", erzählt Gefängnis-Hotel-Betreiber Ola Nyman. 1975 wurden die letzten Häftlinge aus dem Gefängnis auf Långholmen, einer Insel im Westen Stockholms, entlassen.

Sträflingsatmosphäre inbegriffen

102 Zellen gibt es im Hostel - hauptsächlich für RucksacktouristenBild: Långholmen's Youth Hostel

Heute kommen die Insassen freiwillig in den Knast - als Gäste, die eine ruhige und preiswerte Bleibe suchen. 260 Kronen, rund 25 Euro, kostet die Übernachtung in der Standardzelle. Und die Sträflingsatmosphäre gibt es noch gratis dazu, wenn Nyman auf Wunsch mit ganz schwerem Schlüssel den Kerker aufschließt. "Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Wir haben also nicht sehr viel verändern dürfen. Aber das gilt nur für die etwas schlichteren Unterkünfte im Zellentrakt", sagt der Betreiber. Die übrigen Hotelzimmer bieten Annehmlichkeiten wie Telefon, Fernseher und drahtloses Internet. "Und die Wände sind so dick, dass man garantiert keine schnarchenden Nachbarn hört", ergänzt er.

Rund 25 Euro kostet die Übernachtung in der StandardzelleBild: Långholmen's Youth Hostel

Heute sind auf Långholmen manchmal sogar Geschäftsleute anzutreffen - vor allem aber Rucksacktouristen wie der 24 Jahre alte Matt Padinson aus Australien, der in eine Zwei-Mann-Zelle eingerückt ist: "Wir fühlen uns wohl. Es ist vielleicht ein wenig eng. Wir haben ein Etagenbett übereinander, eine Dusche und sogar eine Toilette. Aber unser Gepäck müssen wir zum Teil auf dem Boden verteilen."

Frühgebet, Bibelstunden und Strafarbeit

Das Hostel erzählt auch heute noch von seiner aufregenden Vergangenheit als GefängnisBild: Långholmen's Youth Hostel

Für die Luxus-Variante im Zweibettzimmer mit Bad muss man rund 80 Euro zahlen. Komfort, von dem die früheren Insassen nur träumen konnten. "Mehr als 700 Menschen saßen hier ein: Kleinkriminelle und Landstreicher, aber auch Schläger, Mörder und politische Gefangene. Der Schriftsteller Jan Guillou war einer der letzten, den man hier festhielt - wegen Geheimnisverrats", erzählt Ola Nyman.

Aufstehen um 5.30 Uhr, Frühgebet, Bibelstunden und Strafarbeit im Steinbruch: Allerhand vergilbte Fotos, Handschellen, Ketten und Sträflingskleider zeugen im hauseigenen Museum vom Elend des Knastalltags. Ein Stammgast der Anstalt war Per Vilhelm Lundgren, genannt "Snuffe". "Er stellte einen traurigen Rekord auf: 'Snuffe' saß wegen Diebstahls ein, versuchte zu fliehen und schlug einen Wächter tot. 50 Jahre brummte er daraufhin hier ab. Und als er im Jahr 1900 endlich entlassen wurde, kehrte er auf der 'Brücke der Seufzer', dem früheren Eingang zum Gefängnis, gleich wieder um. Denn da draußen gab es keine Zukunft für ihn", sagt Nyman.

Über die "Brücke der Seufzer" ins Nachtleben Stockholms

Wer seinen Abend nicht im Hostel verbringen will, hat es nicht weit ins ZentrumBild: Långholmen's Youth Hostel

Schauriger Höhepunkt der Gefängnis-Geschichte war die Enthauptung des Raubmörders Johan Alfred Andersson im Jahre 1910, die einzige Hinrichtung auf Långholmen und die letzte in Schweden überhaupt. Danach wurde die Todesstrafe abgeschafft. Dass heutige Hotelgäste deswegen schlecht träumen, ist aber unwahrscheinlich. Ola Nyman empfiehlt seinen Insassen ausgedehnte Wanderungen über die idyllische Felseninsel mit ihren stillen Badebuchten.

Und wer über die "Brücke der Seufzer" in den nahen Szene-Kiez Södermalm hinüberschlendere, könne auch dort seinen Freigang genießen, versichert Matt, der weit gereiste Australier: "Eigentlich sind wir wegen der schönen Frauen hier und weil es weit weg von zu Hause ist. Jetzt gehen wir erst einmal ans Wasser, trinken ein paar Bier und dann schauen wir uns das Venedig des Nordens an."

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