Er ist einer der bestbezahltesten Künstler der Welt. Das Bonner Kunstmuseum stellt nun seine frühen Werke aus - Neuland für DW-Reporter Nils Wanderer.
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Fenster, Türen, Vorhänge: Frühe Bildwelt des Gerhard Richters
Anlässlich seines 85. Geburtstages zeigt eine Bonner Ausstellung Werke aus der frühen Schaffensphase Gerhard Richters. Eine Spurensuche nach den Grundprinzipien des wandlungsfähigen Künstlers.
Bild: Gerhard Richter/R. Hansen
Vom Un-Sichtbaren
"Großer Vorhang" von 1967 illustriert ein Thema, das sich durch das gesamte Werk Richters zieht: das Spannungsfeld zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Ein Vorhang kann sowohl enthüllen, als auch verbergen. Bei Richter bleibt er verschlossen, zeigt aber dennoch eben jenen Dualismus: Die hellen Flächen betonen das Sichtbare, die dunklen verbergen das Unsichtbare.
Bild: Gerhard Richter/Städel Museum-ARTOTHEK
Fünf Türen ins Nichts
Türen sind ein wiederkehrendes Motiv seiner frühen Bilder. Das als Serie angelegte Gemälde "Fünf Türen" von 1967 lässt den Betrachter sukzessiv den verborgenen Raum dahinter erschließen. Hier eröffnet sich die karge Bildwelt des frühen Richters: Weder Lebendiges noch Gegenständliches hat der Maler dort vorgesehen.
Bild: Gerhard Richter 2016/Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
Farbiger Widerspruch
"256 Farben" ist eines von vielen Werken dieser Art in Richters Schaffensfundus. Eine dieser Kompositionen aus farbigen Rechtecken ziert etwa ein großformatiges Kirchenfenster im Kölner Dom. Die hier zu sehende Anordnung von 256 Farben aus dem Jahr 1974 legte er zunächst systematisch an und ergänzte sie dann durch zufällige Farben - ein Zusammenspiel von Struktur und Zufall.
Bild: Gerhard Richter/R. Hansen
Porträt neu gedacht
Klassische Genres wie Porträts gelten in den 1970er Jahren nicht gerade als trendy. Dem zum Trotz greift Richter diese Form wieder auf und gibt ihr einen neuen Anstrich: Das "Porträt Dieter Kreuz" von 1971 zeigt verschwommene Konturen statt genauen Details. Ein Porträt also, das seiner ursprünglich angedachten Funktion widerspricht: Es wirft mehr Fragen auf, als dass es die Person charakterisiert.
Bild: Gerhard Richter
Übermalte deutsche Geschichte
"Decke" aus dem Jahr 1988 ist eines von Richters Bildern, dessen Faszination sich erst durch die Geschichte hinter dem Gemälde erschließt. Der übermalte Hintergrund zeigte einst die tote Terroristin Gudrun Ensslin, die sich 1977 in ihrer Gefängniszelle erhängte - ursprünglich Teil seines RAF-Zyklus. Mit viel Farbe und Rakel verschwindet dieses Ereignis fast gänzlich.
Bild: DW/Max Hunger
Unscharf wie die Realität
Vorlage für dieses Gemälde war ein unscharfes Foto von vorbeirasenden Autos vor einer Waldkulisse. Daraus entstand 1964 "Zwei Fiat". Die verschwimmende Bewegung der beiden Fahrzeuge setzte Richter mit einer malerischen Verwischungstechnik um, die in vielen seiner Werke zum Einsatz kam.
Bild: Gerhard Richter
Zurück zur Landschaft
Auch Landschaftsbilder gehörten in Richters Anfangsjahren zu den eher verpönten Genres in der zeitgenössischen Kunst. Das Gemälde "Waldstück" ist erst auf den zweiten Blick als solches zu erkennen. Dunkel und verschwommen - ein Bild, das den Betrachter über dessen Inhalt rätseln lässt.
Bild: DW/Max Hunger
Kein Fenster zur Welt
Im 15. Jahrhundert beschrieb der Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti das Bild als "Fenster zur Wirklichkeit". Seitdem ist das Fenster in der Malerei immer wieder metaphorischer Rahmen für ein idealisiertes Abbild der Realität. Doch "Fenstergitter" aus dem Jahr 1968 zeigt nur den eigenen Schatten der Rahmen - ein Kommentar Richters zur Rolle der Kunst?
Bild: Gerhard Richter/J. Rostaf/Luwig Museum-MoCa, Budapest
Schicht-Arbeit
Es erweckt den Eindruck, als irrte der Pinsel wahllos über das Bild. "Gelb-Rot-Blau" aus dem Jahr 1972 gibt einen Ausblick auf Richters späteren Werke: Durch viele Schichten Ölfarbe entsteht eine facettenreiche Vermalung. Die Pinselstriche der obersten Schicht ergänzen das Bild um unwirsche Gesten.
Bild: DW/Max Hunger
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Ich betrete die Ausstellungsräume und finde mich zwischen grauen Rechtecken, großen Vorhängen und verschwommenen Stühlen wieder. Als Kunstneuling bin ich visuell ziemlich gefordert. Mir fehlt die illusionistische Tiefe, nahezu jedes Bild ist in Grautönen gehalten und wer bilderstürmische Vielfalt, handwerklichen Leistungssport oder malerische Virtuosität sucht, ist hier scheinbar falsch.
Der Kurator der Ausstellung, Dr. Christoph Schreier, öffnet mir als Kunstlaien die Augen. Er erklärt, dass Richter in diesen Bildern immer wieder die Realität der Kunst hinterfragt. Er will eben kein ungebrochenes Bild der Wirklichkeit stiften. Malerei ist für ihn ein Spiel mit der Scheinhaftigkeit von Kunst, die die Realität "hinter" einem Bild maximal erahnen lässt und mir als Betrachter keine Illusion eines tiefen Raumes bietet. So malt er zum Beispiel eine geöffnete Tür, wie Sie gegenständlicher nicht sein könnte. Dahinter befindet sich allerdings ein begrenzter Raum, welchem jegliche Bildtiefe fehlt. Ich beginne es spannend zu finden, wie Richter mit der Realität spielt. Die Farbe Grau sei laut Kurator Schreier das Werkzeug des Künstlers, um die Gestaltlosigkeit und Indifferenz der Kunst darzustellen.
Richter ist ein sehr skeptischer, kritischer Künstler, der sich definitiv nicht festlegen will. Er passt für mich weder in die Kategorie der abstrakten Maler, die sich im Sinne der modernen Kunst mit dem selbstgenügsamen Spiel von Farben und Formen begnügen, noch will er ein Abbild der Wirklichkeit schaffen und sich dadurch der gegenständlichen Malerei zuordnen.
Es geht bei ihm nicht nur um die oberflächliche Schönheit oder Ästhetik seiner Bilder. Ich erkenne, dass sie vielmehr Botschaft, Gedanke und Kritik an der Trennung der abstrakten von der gegenständlichen Kunst sind. Diese anhaltende Debatte unter Künstlern lässt Richter hinter sich - er vereint beide Stile in seinen Werken. Sich von festgelegten Konventionen zu befreien um etwas Neues zu kreieren, hat für mich mehr gesellschaftliche und politische Relevanz denn je und birgt auch ein wenig Hoffnung in sich. "What you see is not what you get" (Was du siehst ist nicht das, was du bekommst) trifft definitiv auf ihn als Künstler und Kritiker zu, dessen Karriere sich mittlerweile auf nahezu sechs Jahrzehnte beläuft.
Hinter Vorhänge blicken
Die Ausstellung im Kunstmuseum "Über Malen - Frühe Bilder" wird bis zum 1. Oktober in Bonn zu sehen sein und bietet den Besuchern ein enges und klares Motivspektrum von ungefähr 25 Werken der 1960er bis 1970er Jahre. Im Zentrum der Ausstellung stehen Richters Tür-, Vorhang- und Fensterbilder.
Mein Tipp: Sich vorher mit Gerhard Richter als Mensch und Künstler auseinandersetzen. So werden viele Fragen über ihn beantwortet, und es lässt sich anders, vielleicht sogar besser, Bezug auf seine Bildern nehmen. Bei einer Ausstellung, deren Realisierung nahezu 100 Millionen Euro kostete, wäre es schade, wenn man nur Türen, Fenster und Vorhänge sehen würde.