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Politik

Hippler: Salafismus heute in Pakistan akzeptiert

Hans Spross
20. Februar 2017

Wie lässt sich der jüngste Gewaltexzess in Pakistan erklären? Extremisten töteten beim Angriff auf einen Sufi-Schrein in Süd-Pakistan über 80 Gläubige. Antworten von Südasien-Experten Jochen Hippler im DW-Gespräch.

Pakistan verstärkte Sicherheitsmaßnahmen nach dem Anschlag in Sehwan
Bild: Getty Images/AFP/SS Mirza

DW: Woher kommen Feindschaft und Hass, die bestimmte Gruppen innerhalb der Muslime dem Sufismus entgegenbringen? 

Jochen Hippler: Es sind salafistische Gruppen, egal ob friedlich oder gewalttätig, die gegenüber Sufis eine besondere Feindschaft hegen. Denn der Sufismus ist weniger textgläubig als der "normale" Islam, er zielt stärker auf eine spirituelle Verbindung mit dem Göttlichen. Das ist eine sehr persönliche Sache und weicht theologisch ab vom salafistischen Verständnis, bei dem es um die Einhaltung von Regeln und um den wörtlichen Text geht. Deswegen betrachten viele Salafisten Sufis als eine besonders große Bedrohung und greifen auch zu Gewalt. Das kennen wir aus Mali und Nordafrika und das sehen wir jetzt auch in Afghanistan und Pakistan.

Aber diese Gewalt kommt doch nicht zwangsläufig?

Nein, mit solchen theologischen Unterschieden können Gesellschaften meistens, wenn die Situation entspannt ist und wenn sie funktionieren, ganz gut zurecht kommen. Aber solche Unterschiede in den Auffassungen können sich in Krisensituationen radikalisieren. So war der salafistische Islam lange Zeit zwar konservativ oder reaktionär, aber friedfertig und vollkommen unpolitisch. Wenn Länder wie Pakistan den Menschen gute Lebensbedingungen böten, wenn die Konflikte durch einen funktionierenden Staat geregelt werden könnten, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass solche religiösen Unterschiede sich gewaltsam äußern, relativ gering.

Wie kam es in Pakistan zum Aufstieg der rigiden Form des Islam, der meist mit dem in Saudi-Arabien angesiedelten Wahhabismus in Verbindung gebracht wird?

Als ich die ersten Male nach Pakistan gefahren bin, Ende der 80er Jahre, war das Wort Wahhabit ein Schimpfwort. Das war ungefähr so schlimm, als ob  man bei einem Gespräch die Mutter des Gesprächspartners beleidigen würde. Das hat sich geändert. Salafistisch-wahhabitisches Gedankengut ist inzwischen völlig normal und eine Strömung neben anderen. Das hat verschiedene Ursachen: Zum einen die Arbeitsmigration, Millionen von Pakistanern haben inzwischen in Saudi-Arabien als Bauarbeiter, Fahrer usw. gearbeitet. Zum anderen die massive Finanzierung von Moscheebauten und Koranschulen in Pakistan durch die Saudis.

Eigentlich ist in Pakistan der sufistische Islam vorherrschend gewesen. Bei der Missionierung des indischen Raums, also auch des heutigen Pakistans, spielten Sufis eine entscheidende Rolle, auch weil es ihnen leichter gefallen ist, diese mystische Seite des Islam mit der einheimischen Kultur zu verknüpfen, etwa mit dem Hinduismus. Dadurch haben die Sufis in der Volksreligiosität in Pakistan  eigentlich eine sehr dominierende Stellung. Das ist in den letzten Jahrzehnten durch das Vordringen von orthodoxen salafistischen Strömungen untergraben worden.

Hippler: Salafismus kommt "modernen" Bedürfnissen entgegen Bild: privat

Liegt das nur am äußeren Einfluss Saudi-Arabiens?

Nein, es hat auch damit zu tun, dass die Mittelschicht in Pakistan den Sufismus als etwas Altmodisches empfindet, als etwas Mystisches, Unwissenschaftliches, wo es darum geht, dass Gott mein Herz berührt, und sehr persönliche individuelle Empfindungen dabei eine Rolle spielen können. Hinzu kommt die Verehrung von Heiligen, die ja im Islam nicht vorgesehen ist.

Im Gegensatz dazu ist der Salafismus in gewissem Sinne etwas Modernes, eine Religion, die nach Regeln funktioniert: Das steht im Buch geschrieben, man muss es nur nachlesen, also eine eher bürokratische Form des Glaubens. Das lässt sich an moderne oder pseudo-moderne Empfindungen leichter anpassen als dieses mystische Sich-direkt-mit-Gott-in-Verbindung-setzen. Der Salafismus behandelt dagegen den Glauben weniger als eine persönliche Gefühlsangelegenheit sondern als eine Struktur von Regeln, die man einhalten muss wie beim Katasteramt.

Die Sufis am Lal-Shahbaz-Qalandar-Schrein sollten schon Stunden nach dem Attentat wieder ihre Riten vollziehen. Viel tun gegen solche  Anschläge können sie nicht. Aber welche Rolle spielt der pakistanische Staat?

Wie immer nach solchen Anschlägen, ob auf staatliche, militärische oder eben auf religiöse Ziele, gibt es Reaktionen des Staates in Wellenbewegungen. Aber die meisten dieser Reaktionen sind zu eng auf Sicherheit angelegt, da werden ein paar Leute verhaftet, einige verurteilt und einige erschossen. Aber den Sumpf trockenzulegen, aus dem solcher Radikalismus sich bildet, das ist den staatlichen Behörden in gewissem Sinne eine Nummer zu groß, weil es auch erfordern würde, sich selbst zu reformieren.

Denn die Unzufriedenheit und der Hass in Teilen der Bevölkerung auf das politische System und den Staat sind nicht auf Extremisten beschränkt. Versuchen Sie mal einen Pakistaner zu finden, der die Korruption nicht hasst und die Leute, die man für korrupt hält. Die Polizei ist aus Sicht von großen Teilen der Bevölkerung zum Teil schlimmer als die Verbrecher. Wenn Sie also wirklich den terroristischen Sumpf trockenlegen wollen, dann müssten Sie Staat und Gesellschaft Pakistans einer Generalrenovierung unterziehen. Das wäre eine sehr gute Sache, aber daran haben die Mächtigen und Staatsorgane nur ein sehr begrenztes Interesse, weil das die Möglichkeiten der Bereicherung und der eigenen Macht mit beschränken würde. Deswegen haben wir eben diese Reduzierung auf Wellenbewegungen der Repression.

Das Problem des Extremismus grundlegend anzugehen und zu schauen, wo die politischen, wirtschaftlichen und psychologischen Quellen sind und diese zu bearbeiten: Das sehe ich in Pakistan fast nicht. Außer in Teilen bestimmter Mittelschichten, die versuchen, über NGOs und Zivilgesellschaft, dem entgegenzuwirken, aber das ist insgesamt sehr schwach.

Lal-Shahbaz-Qalandar-Schrein nach dem AnschlagBild: Getty Images/AFP/Y. Nagori

Inwieweit hat der pakistanische Staat selbst den Aufstieg extremistischer Strömungen in Pakistan begünstigt?

In der Zeit der Militärdiktatur von Zia ul-Haq 1977-88 gab es im Militär und der Führung sunnitisch-extremistische, auch salafistisch angehauchte Versuche, sich nicht mehr demokratisch zu legitimieren. Wahlen wurden abgesagt, der gewählte Ministerpräsident Zulfikar Ali Bhutto wurde hingerichtet. Statt dessen hat man versucht, Gott und Religion als Legitimationsersatz zu benutzen.

Hinzu kommt zweitens, dass der Sicherheitsapparat, vor allem der mächtige Militärgeheimdienst ISI, extremistische sunnitische Gruppen benutzt hat, um in Afghanistan und Indien Druck auszuüben und um dort ein Gewaltpotential zu haben. Das hatte nichts mit Ideologie zu tun, wenn das keine Extremisten gewesen wären, hätte man das sicher auch gemacht. Es war eine opportunistische oder pragmatische Politik, diese Gruppen einfach zu benutzen, um dem wirtschaftlich und militärisch überlegenen Indien Nadelstiche zu versetzen.

Das hatte also eine außenpolitische Dimension, aber die führte dazu, dass man diese Gruppen innenpolitisch schlecht unterdrücken konnte. Wenn ich mit diesen Gruppen ein Bündnis habe, bezogen auf Afghanistan und Indien, dann muss ich sie im Inland mindestens existieren lassen. Dadurch haben sie einen Spielraum gewonnen, den sie sonst nicht gehabt hätten.

Dann gibt es drittens einen gewissen Opportunismus auch säkularer Gruppen, zum Beispiel auch Benazir Bhuttos, die mit extremistisch-sunnitischen, teilweise terroristischen Gruppen zusammengearbeitet, und sie teilweise sogar ins Kabinett geholt haben. Auch die Taliban sind 1994 mit wesentlicher Unterstützung Bhuttos und seines Innenministers gegründet worden, weil es einfach praktisch war, sie einzusetzen. Also auch liberale säkulare Bewegungen in Pakistan waren sich oft nicht zu schade, mit solchen Extremisten und Gewalttätern Bündnisse einzugehen, wenn das opportun erschien.

Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen.

Das Interview führt Hans Spross.

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