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"Noch viele offene Fragen zu Alzheimer & Co."

Gudrun Heise
8. September 2017

Der Mediziner Heiko Braak entdeckte, dass bereits kleine Kinder Ansätze von Alzheimer in sich tragen. Es gibt noch viel zu erforschen, sagt er im DW-Interview.

Projekt Zukunft Screenshot Gehirn
Bild: Reuters

DW: Was ist für Sie persönlich ihr größter Forschungserfolg?

Heiko Braak: Die Entdeckung, dass die pathologischen Veränderungen beim Morbus Alzheimer schon in sehr frühen Jahren entstehen – sogar schon bei Kindern. Das war für uns sehr überraschend. Dieser Prozess geht dann von da aus unerbittlich weiter voran, allerdings bei verschiedenen Menschen in ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit.

Und das ist letztendlich auch der Grund, weshalb nur wenige im hohen Alter auch die klinisch erkennbaren Symptome einer Alzheimer Erkrankung zeigen. Andere, glücklichere Menschen, bleiben davon unter Umständen frei und entwickeln die letzten Stadien gar nicht. Aber in allen Menschen ist dieser "Keim" vorhanden.

Wann haben Sie das entdeckt, und wie?

Wir haben Alzheimer-Veränderungen schon in den Gehirnen sehr junger erst 20-jährigen Patienten gesehen. Die Veränderungen konnten wir zunächst in der Hirnrinde erkennen. Wir haben dann etwas genauer hingeguckt und die Veränderungen auch im Gehirnstamm gefunden. Das gab uns den Anlass, auch die Gehirnstämme von Kindern genauer anzugucken. Wir haben dann tatsächlich schon bei Sechsjährigen diese Veränderungen gesehen. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das zum ersten Mal im Mikroskop gesehen habe. Das ist schon eine wichtige Entdeckung. Der Prozess der pathologischen Veränderungen, der sich daran anschließt, schreitet wirklich unerbittlich, aber auch extrem langsam voran – Schritt für Schritt. Und es dauert dann bis zum 60. oder 70. Lebensjahr bis die Symptome der Alzheimer-Erkrankung hervortreten.

Professor Heiko Braak wurde für seine Alzheimer-Forschung mit dem Hartwig-Piepenbrock-DZNE-Preis 2017 ausgezeichnetBild: DZNE/Lentfer

Wie war es für Sie, als Sie das festgestellt haben?

Es ist das Gefühl des Forschers: Man ist überrascht, zum ersten mal etwas zu sehen, was noch nie zuvor ein Mensch auf der Welt gesehen hat. Das ist so, wie wenn ein Bergsteiger einen Berg besteigt, den noch nie ein Mensch erklommen hat.

Und wir haben jetzt eine ganz andere Vorstellung von dieser Erkrankung: Möglicherweise haben wir diese Empfindlichkeit für die Alzheimer-Veränderung schon in der späten Phase der Evolution entwickelt, als es von höheren Primaten zum Menschen überging. Damals hat es keine Störung verursacht, weil die Menschen nur 30 Jahre alt geworden sind. Aber jetzt haben wir das Problem.

Was fasziniert Sie an der Hirnforschung?

Für das menschliche Gehirn habe ich mich schon vom Beginn meines Studiums an interessiert. Eigentlich wollte ich Psychiater werden. Aber zu meiner Zeit – als ich studierte – nutzten die Psychiater auch häufig nicht-wissenschaftliche Analysemethoden. Daran war ich nicht interessiert und habe mich davon abgewandt. Ich bin dann in die morphologisch orientierte, anatomische Hirnforschung gegangen. 

Wo liegt heute der Schwerpunkt Ihrer Arbeit? 

Zur Zeit beschäftigen meine Frau und ich uns vorwiegend mit dem Problem der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Das ist eine ebenso furchtbare Erkrankung des motorischen Systems. Die Patienten gehen wegen der zunehmenden Lähmungen innerhalb von drei bis vier Jahren zugrunde. Das ist wirklich schlimm, und es fasziniert uns, die Neuropathologie dazu zu erforschen – zumal wir in Ulm ein klinisches Zentrum zur Behandlung der ALS haben.

Welche Forschungsergebnisse der letzten Zeit halten Sie für wichtig? 

Unsere Stadien-Lehre setzt voraus, dass die Erkrankung von einer Nervenzelle auf andere Nervenzellen übergeht. Bei diesem Übergang gibt es eine ganze Menge Probleme. Man erklärt sie heutzutage durch sogenannte entzündliche Proteine. Dazu gibt es jetzt viele interessante Publikationen, die wir eigentlich mit angeregt haben.

Was liegt Ihnen am Herzen? Welche Fragestellungen?

Man darf ja noch träumen: Ich wünsche mir schon, dass wir noch einige Fragen zur ALS beantworten können. Und zu Morbus Parkinson sind noch eine ganze Menge Fragen unbeantwortet. Es ist ungeklärt, von wo der Prozess eigentlich ausgeht. Es kann sein, dass die Parkinson Erkrankung durch ein unbekanntes Agens [Wirkstoff] ausgelöst wird, das durch die Nase oder über die Magen-Darm-Schleimhaut letztlich ins zentrale Nervensystem eindringt. Das sind viele spannende Fragen. Wir streben natürlich an, jede unbeantwortete Frage, die sich uns stellt, noch zu beantworten.

Mit was beschäftigen Sie sich außerhalb Ihrer Forschung?

Musik ist mir sehr wichtig: Ich betätige mich am Klavier. Das kann man sich zwar nicht anhören, aber das macht ja nichts. Eine feinmotorische Betätigung beschäftigt das ganze Gehirn. Und das bringt einen Erholungseffekt. Wenn man von der Arbeit zurückkommt mit Problemen, die einen nicht loslassen, hilft es nichts, sich eine halbe Stunde hinzulegen – weil man den Schlaf dann sowieso nicht findet. Aber wenn ich eine halbe Stunde Klavier spiele, bin ich wie von Zauberhand berührt. Dann ist das alles weg.

Der Mediziner, Hirnforscher und Morphologe Dr. Heiko Braak ist Seniorprofessor an der Universität Ulm. Für seine bahnbrechenden Forschungen zu Stadien der Entwicklung der Alzheimer - und Parkinson Erkrankungen erhielt er am 7. September in Bonn den mit 60.000 Euro dotierten Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis.

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