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"Die Lufhansa machte mit Zwangsarbeitern Gewinn"

Sarah Judith Hofmann 15. März 2016

"Adler und Kranich" erzählt die Geschichte eines Unternehmens, das sich bis heute nicht der Nazi-Vergangenheit stellt: Lufthansa. Buchautor Lutz Budrass über die geheime NS-Luftwaffe und einen Streit, den er nie wollte.

Lufthansa Heckflosse mit gelbem Firmenlogo mit blauem Kranich (Foto: picture-alliance/dpa/B. Roessler)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Herr Budrass, die Lufthansa hat Ihnen schon Ende der 1990er-Jahre die Firmenarchive geöffnet und Sie als Wirtschaftshistoriker mit einer Studie über Zwangsarbeit während der NS-Zeit beauftragt. Nun erscheint Ihr Buch "Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926 - 1955" - allerdings gegen den Willen der Lufthansa. Was ist passiert?

Ich habe 2000/01 für die Lufthansa eine Studie über Zwangsarbeit verfasst. Damals ist sie nicht publiziert worden. Seitdem habe ich darüber nachgedacht, warum die Lufthansa so mit ihrer Geschichte umgeht. Das Ergebnis ist das Buch "Adler und Kranich", wo ich die Geschichte von 1926 bis 1955 aufgeschrieben habe. Wenn Sie sich im Vergleich dazu das offizielle Buch der Lufthansa zu ihrer Geschichte mit dem Titel "Im Zeichen des Kranichs" ansehen, dann zerfällt das Ganze dort in zwei Teile: auf der einen Seite eine wunderbare Geschichte der ersten Lufthansa mit zahlreichen Fotos, und dann hinten drin, in einen kleinen Plastikschuber eingeklebt, meine Studie - auf dem wahrscheinlich dünnsten Papier, das auf dem deutschen Markt verfügbar ist. Diese Teilung halte ich für falsch. Es gibt nicht eine gute und eine böse Geschichte. Man muss beide Seiten sehen, um ein Unternehmen verstehen zu können. Offensichtlich ist die Lufthansa zu diesem Schritt bis heute nicht bereit.

Die Lufthansa sagt bis heute, sie sei nicht Rechtsnachfolger der einstigen Deutschen Lufthansa und habe demnach auch nichts mit der Geschichte vor der Neugründung 1953 zu tun. Wie sehen Sie das?

Bild: Blessing Verlag

Es gibt eine erste und es gibt eine zweite Lufthansa. Daran gibt es keinen Zweifel. Die erste Lufthansa wurde am 6.1.1926 gegründet, die zweite am 6.1.1953. Das Unternehmen will sich auf der einen Seite absetzen von den Verbrechen, an denen die Lufthansa während der Zeit des Nationalsozialismus beteiligt war. Auf der anderen Seite aber die Bilder nutzen, die aus der Luftfahrt der 1920er-Jahre stammen: diese schönen Bilder vom Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg, Völkerverständigung, Frieden, Abenteuer.

Was für ein Unternehmen ist die Lufthansa in den 1920er- und 1930er-Jahren?

Die Lufthansa ist damals in erster Linie ein staatliches Unternehmen. Das große Ziel, das 1925/26 im Reichsluftfahrtministerium und in der Reichswehr entworfen wird, ist, irgendwann wieder bewaffnete Luftstreitkräfte zu haben, die nach dem Ersten Weltkrieg verboten waren. Die Lufthansa ist dabei ein wichtiges Vehikel. Sie soll Garantieabnehmer für die Produkte der deutschen Luftfahrtindustrie sein. Das ist der eigentliche Beginn der Lufthansa, geschmückt mit der Idee der Luftfahrt als Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg, einer Nation mit Weltgeltung.

"Weltgeltung" - die wollten vor allem ja auch die Nationalsozialisten. Inwieweit wird die Lufthansa in der Zeit von 1933 bis 1945 Teil des Regimes?

Die Lufthansa wurdeganz gewiss Teil des Regimes. Sie ist sogar daran beteiligt, dieses Regime aufzurichten. Sie schließt sich schon früh den Nationalsozialisten an, genauer: Hermann Göring. Der ernennt Ende Januar 1933 den Chef der Lufthansa, Erhard Milch, zum Staatssekretär des Reichkommissariats für Luftfahrt, dem späteren Reichsluftfahrtministerium. Von diesem Zeitpunkt an ist die Lufthansa Tarnorganisation für eine Aufrüstung zu Luft, die bis 1935 geheim stattfindet, eine getarnte Luftwaffe.

Die schönen Bilder der Luftfahrt nach dem Ersten Weltkrieg. Hier eine Aufnahme von 1928, bei der Passagiere aus einer Junkers G 24 der "Deutschen Luft Hansa AG" steigen.Bild: picture-alliance/dpa/Lufthansa-Bildarchiv

Inwieweit macht sich die Lufthansa an Kriegsverbrechen schuldig?

Für die Lufthansa gibt es im Krieg - nachdem die Luftwaffe ihre Aufgaben übernommen hat - eigentlich keine Funktion. Sie muss sich nach einer Ersatzfunktion umsehen und findet diese in der Reparatur von Flugzeugen. Wie alle anderen Unternehmen ist sie ab einem bestimmten Zeitpunkt auf Zwangsarbeiter angewiesen. Es gibt etwa sieben Millionen in Deutschland. Was die Lufthansa von anderen Unternehmen unterscheidet, ist, dass sie die Zwangsarbeiter regelrecht ausbeutet, um Mittel für den Wiedereinstieg in den zivilen Luftverkehr nach dem Krieg anzuhäufen. Die Lufthansa macht mit ihren Zwangsarbeitern Gewinn.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass von Beginn an Juden in Tempelhof zwangsbeschäftigt und später in die Vernichtungslager abtransportiert werden, ohne dass die Lufthansa etwas dagegen unternimmt. Ebenso, dass sie an sogenannten Frontreparaturwerkstätten Zwangsarbeiter rekrutiert.

Der Junkers Ju 88 Bomber, eines der Standard-Kampfflugzeuge der NS-Luftwaffe wurde entwickelt in den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken. Die Lufthansa verlegte sich während des Zweiten Weltkriegs auf die Flugzeugreparatur.Bild: AP

Das Besondere ist, dass die Lufthansa sich - anders als andere Unternehmen - diese Zwangsarbeiter selber beschafft. Bei den Frontreparaturwerkstätten im Osten ist sie in der Lage, selbst Zwangsarbeiter einzufangen, die dann nach Deutschland transportiert werden. Das sind zu einem erheblichen Anteil auch Kinder.

Wird die Lufthansa nach Ende des Zweiten Weltkriegs zur Rechenschaft gezogen für die Verbrechen, die sie begangen hat?

Die Lufthansa wird, wie die meisten Unternehmen, nicht zur Rechenschaft gezogen. Aber sie hat im Gegensatz zu anderen Unternehmen ein sehr bitteres Schicksal. Sie wird zum Teil der Luftwaffe erklärt und muss aufgelöst werden. 1951 wird die Liquidation beschlossen. Bis dahin ist an eine Wiederaufnahme des zivilen Luftverkehrs in Deutschland nicht zu denken, zumal die Alliierten nach der Erfahrung des Ersten Weltkriegs den Deutschen insgesamt und dauerhaft jegliche Betätigung in der Fliegerei verbieten wollen. Dieses Luftfahrtverbot wird bis 1955 durchgehalten.

Nun könnte man ja sagen: Die Lufthansa hat doch Recht. Es gibt einen Bruch nach 1945. Das Unternehmen wird 1953 völlig neu gegründet. Warum sagen Sie, dass das nicht stimmt?

Die Lufthansa wird 1953 teilweise von denselben Leuten wiedergegründet wie 1926. Das sind Kurt Weigelt, der als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender eine dominierende Rolle in der ersten Lufthansa eingenommen hat, und Kurt Knipfer, der als ursprünglich preußischer Beamter an der Führung der Lufthansa bis 1945 führend beteiligt ist. Er wird einer der wichtigsten Gründer der zweiten Lufthansa, nämlich als Beamter im Bundesverkehrsministerium. Es gibt eine große personelle Kontinuität.

Buchautor Lutz BudrassBild: Martin Steffen

Andere Unternehmen - selbst die Familie Quandt oder Dr. Oetker - haben in den vergangen Jahren die NS-Vergangenheit ihrer Familien und Unternehmen aufarbeiten lassen. Warum ist ausgerechnet bei der Lufthansa dieses Bewusstsein bis heute nicht angekommen?

Ich glaube, dass wir immer noch sehr viele Bereiche in der deutschen Wirtschaft haben, die von bestimmten historischen Bildern profitieren, indem sie mit ihnen werben. Gerade die Luftfahrt hat dies nie in Frage gestellt - dabei stammen die Bilder aus den 20er-Jahren, der Zeit der ersten Luftfahrt, und aus dem Nationalsozialismus. Weil die Lufthansa diese Bilder weiterhin im Marketing nutzen will, ist sie noch nicht bereit, diese gesamte Zeit in Frage zu stellen.

Lutz Budrass ist Mitbegründer des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Luftfahrt-, Rüstungs-, Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann.

Zum Weiterlesen:
Lutz Budrass: "Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926 – 1955". Blessing Verlag 2016, 34,99€.