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Historiker: AfD-Erfolg erinnert an Wahl 1930

Sarah Judith Hofmann
27. September 2017

Als Jude dürfe man zum Ergebnis der Bundestagswahl nicht schweigen, meint Moshe Zimmermann. Die israelische Regierung schaut dennoch weg. Warum - das erklärt der Deutsch-Israeli im DW-Interview.

Historiker Moshe Zimmermann
Bild: DW/Sarah Hofmann

DW: Herr Zimmermann, was haben Sie am Wahlabend gedacht, als Sie in den ersten Hochrechnungen die Zahl 13 Prozent bei der AfD lesen konnten?

Moshe Zimmermann: Ich war erleichtert. Weil ich 15 Prozent erwartet hatte. Immerhin zwei Prozent weniger.

Das heißt, Sie waren gar nicht schockiert?

Ich bin Historiker, ich verfolge die Zeitgeschichte aus der Nähe. Ich habe mir vorher jeden Tag die Resultate der Meinungsumfragen angeschaut. Ich wusste, in welche Richtung es geht. Ich war vorher zwei Wochen lang in Berlin, konnte mir die Wahlplakate der AfD ansehen, die Diskussionen im Fernsehen anschauen. Die Gewissheit, dass zum ersten Mal die Fünf-Prozent-Hürde von einer rechtsradikalen Partei überschritten würde, war für mich sehr bedrückend.

Sigmar Gabriel hat vor der Wahl gesagt, "sollte die AfD in den Bundestag einziehen, werden zum ersten Mal seit mehr als 70 Jahren Nazis im Reichstag sprechen". Wie bewerten Sie als Historiker diesen Vergleich mit den Nazis? Ist er legitim?

Immer wenn man das Wort Nazi benutzt, übertreibt man selbstverständlich. Die Nazis von heute sind nicht die Nazis von damals. Diese Übertreibung führt dazu, dass man nachher diese Vergleiche zurücknimmt. Aber ich werde vorsichtig sagen: Ein nazistisches Potential ist in den Bundestag eingezogen. In dem Sinne hat Gabriel Recht.

Kann man unsere Zeiten denn mit denen der Weimarer Republik vergleichen?

Der Historiker lebt vom Vergleich. Wir sagen nur, es geht immer mutatis mutandis. Das bedeutet, die Zustände ändern sich, aber die Phänomene sind vergleichbar. Und die Art wie man im Jahr 1930 auf Krisen, auf Verunsicherung und Vorurteile reagiert hat, ist mit dem vergleichbar, was jetzt in den Jahren 2015 bis '17 in Deutschland geschehen ist. Man aktiviert Vorurteile, man schürt Ängste, man benutzt Slogans und Vereinfachungen, um eine rechtsradikale Lösung anzubieten.

Moshe Zimmermann warnt, heute seien nicht Juden die Zielscheibe, sondern MuslimeBild: bpk Bildagentur

Auch die Überraschung, die es jetzt gegeben hat, kann man mit der Überraschung im September 1930 vergleichen. Es geht um ähnliche Prozentpunkte. [Bei der Reichstagswahl im September 1930 hatte die NSDAP 18,3 Prozent der Stimmen erhalten. Das war ein Plus von 15,7 Prozent gegenüber den Wahlen 1928. Anm. der Redaktion] Für die demokratische Gesellschaft besteht immer die Gefahr, dass antidemokratische Stimmungen an Boden gewinnen.

Jetzt kommt der Unterschied: Im Jahr 1930 gab es nicht genug Anhänger der liberalen aufgeklärten Demokratie, deswegen war der Widerstand gegen den Rechtsruck am Ende zu schwach. Man kann hoffen, dass der Widerstand heute, so wie es sich jetzt auch in der politischen Szene zeigt, energischer und breiter ist. In dem Sinne führt der Vergleich dazu, dass man etwas optimistischer sein kann.

Gerade in Deutschland war man doch aber immer so stolz darauf, aus der Geschichte gelernt zu haben. Was ist falsch gelaufen, wenn auf einmal wieder Sätze wie die von Alexander Gauland, man habe "das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen" einen so großen Zuspruch erfahren?

Auch in der Bundesrepublik gab es nach 1945 immer mehr oder weniger Stimmen, die versucht haben, die dunkle Vergangenheit zu relativieren. Das ist nicht neu. Die Frage ist tatsächlich, wie kommt es dazu, dass auf Bundesebene 13 Prozent mit dieser Tendenz gehen können. Das ist ein Problem der gesamten westlichen demokratischen Welt. Man denkt: Wenn bei Trump Stimmen voller Patriotismus, Egoismus und Ethnozentrismus koscher sind, dann dürfen es auch die Europäer. Und wenn es die Europäer dürfen, dann dürfen es am Ende auch die Deutschen.

Und doch. Diesmal ist es Deutschland, das Land der Täter. Wird das in Israel anders wahrgenommen?

AfD-Wahlplakat während des Bundestagswahlkampfs 2017Bild: DW/R.Staudenmaier

Das sollte man meinen. Doch absurderweise ist dies nicht der Fall. Israel hat mit der Zeit gelernt, Antisemitismus und Rassismus nur dort zu sehen, wo man Kritik gegen Israel spürt. Wenn die Israelkritik fehlt wie bei der AfD, wie bei den anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa, dann verliert Israel seine Empfindlichkeit und schaut gelassen auf die Sache. Das ist absurd. Und es hätte vor 30, 40 Jahren nicht passieren können.

Aber Gauland hat doch gesagt, er habe gewisse Probleme damit, dass Angela Merkel das Existenzrecht Israels als deutsche Staatsräson bezeichnet. Schließlich hieße das, "deutsche Soldaten zur Verteidigung des jüdischen Staates einzusetzen".

Und? Haben Sie die Reaktion von Netanjahu dazu gehört?

Nein.

Weil keine kam. Netanjahu ist ein Realpolitiker. Die erste Erwägung ist immer: Richtet sich das gegen die israelische Politik oder nicht? Und solange die AfD keine klare Position gegen Israel einnimmt, bleibt es beim Alten. Herr Gauland hat ja gesagt, Deutschland muss Israel unterstützen. Er hat nur ein Problem mit der Aussage von Frau Merkel. Netanjahus Reaktion auf die Wahlen am 24. September kam erst zwei Tage später und lautete: Wir sind gegen Antisemitismus von links und rechts. Er hat das Wort AfD nicht einmal in den Mund genommen.

Welche Reaktion würden Sie sich denn von der israelischen Regierung wünschen?

Die israelische Regierung muss klar sagen, dass man sehr besorgt ist über den Erfolg einer rechtspopulistischen Partei gerade in Deutschland. Eine Partei, die Aussagen duldet, die rassistisch sind, die antidemokratisch sind, die man als Jude selbstverständlich nicht akzeptieren kann. Das ist das mindeste, was man erwarten darf. Und man muss klar sagen, dass man als israelischer Politiker keine Kontakte zu den Politikern der AfD unterhalten wird.

Die Polemik der AfD richtet sich in erster Linie gegen Muslime und weniger gegen Juden. Wird Antisemitismus in dieser Partei vielleicht gar nicht wahrgenommen?

Das ist ja die gemeinsame Sache, die wir mit dem Rechtspopulismus in Europa und auch außerhalb Europas haben. Der gemeinsame Feind ist der Islam, die Araber. Alles andere ist zu marginalisieren. So nimmt man das hier leider auf.

In Ihrem Buch "Deutsche gegen Deutsche" schildern Sie, was die NS-Zeit im Besonderen für deutsche Juden bedeutete. Sie waren Deutsche, plötzlich wurden sie ihrer Identität beraubt und von den eigenen Nachbarn bekämpft. Besteht die Gefahr, dass dies erneut geschieht – diesmal mit deutschen Muslimen?

Aydan Özoğuz (SPD) wurde von der AfD im Wahlkampf diffamiertBild: Aydan Özoğuz

Das Thema "Deutsche gegen Deutsche", was das Anliegen meiner historischen Betrachtung über die Entwicklung in den 30er Jahren war, wiederholt sich seit langem in Deutschland, obwohl jetzt nicht die Juden das Ziel sind. Zwar sagen auch die AfD-Leute, jeder der einen deutschen Pass hat, ist ein Deutscher, egal, ob er einen Migrationshintergrund hat. Aber sie machen formal die Einschränkung, der Doppelpass sei eine ganz andere Sache. Eine doppelte Identität ist etwas, das man ablehnt. Ich persönlich habe zwei Pässe. Also ich bin für die AfD nicht automatisch ein Deutscher. Schlimmer noch, die Aussage im Fall Özoğuz. Herr Gauland definiert, wer, obwohl er einen deutschen Pass hat, deutsch genug ist oder nicht.

Sie meinen den Satz, die Integrationabeauftragte Aydan Özoğuz könne in Anatolien "entsorgt" werden.

Ja. Und ich rede nicht von dieser vulgären Sprache, was man entsorgen kann oder in der Regel entsorgt. Ich rede von dieser Idee, dass in dem Moment, wo eine sozialdemokratische Politikerin ihre Meinung zum Thema deutsche Kultur äußert, und diese nicht nach dem Geschmack des AfD-Politikers ist, er empfehlen kann, dass sie sich aus Deutschland entfernt. Da sind wir beim alten Thema.

Sie haben einen deutschen und einen israelischen Pass. Haben Sie gewählt bei dieser Bundestagswahl?

Ich wohne in Israel und wähle hier, nicht in Deutschland. Hätte ich einen Wohnsitz in Deutschland, hätte ich genau gewusst, wen ich zu wählen habe.

Das Gespräch führte Sarah Hofmann.