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Historische Wahl in Myanmar

Rodion Ebbinghausen8. November 2015

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten konnten die Menschen in Myanmar heute ihren politischen Willen artikulieren. Sie erwarten einen vollständigen Neuanfang - der wird allerdings sehr schwierig. Rodion Ebbinghausen, Rangun.

Schlange vor dem Wahllokal Anawrahta Road (Foto: Ebbinghausen)
Bild: DW/R. Ebbighausen

Pünktlich um sechs Uhr morgens öffnete das Wahllokal an der Anawrahta Road in Ranguns Chinatown. Knapp fünfzig Wähler warten zu diesem Zeitpunkt schon. Sie applaudieren, als sich die Tore öffnen. Stetig kommen mehr Menschen in den Innenhof. Der ein oder andere hält seinen rosafarbenen Ausweis und die Dokumente zur Wahlregistrierung in den Händen. Geduldig warten sie bis sie an der Reihe sind. Alles wirkt gut organisiert und geordnet.

30 Millionen Menschen waren an diesem Sonntag (08.11.2015) aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben, um ein neues Parlament für das südostasiatische Land zu wählen. Dabei stehen allerdings nur drei Viertel aller Sitze zur Abstimmung. Die restlichen 25 Prozent werden direkt vom Militär bestimmt. Das bedeutet: Wie auch immer die Wahlen ausgehen, das Militär hat bei allen Gesetzesänderungen das letzte Wort.

Große Entscheidung

Die Wahlen sind dennoch wichtig. Zum ersten Mal seit 25 Jahren kann das Volk zumindest über einen Teil der Regierung direkt abstimmen. Zugleich ist das Ergebnis eine Abstimmung darüber, ob das Volk sich mehr und weitergehende Reformen wünscht. Nicht zuletzt wird sich zeigen, inwiefern die alten Eliten den Willen des Wahlvolkes respektieren.

Die wichtigsten Parteien, die regierende Solidaritäts- und Entwicklungspartei (USDP) und die Nationale Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, nehmen neben etwa 90 andere Parteien an den Wahlen teil. Viele Menschen in Myanmar erwarten einen deutlichen Sieg der NLD. Da es aber keinerlei Umfragen gibt, warnen Beobachter vor vorläufigen Festlegungen.

Die Wahlergebnisse sollen ab Montag (09.11.2015) ab neun Uhr morgens im Dreistundenrhythmus veröffentlich und aktualisiert werden, so die Wahlkommission. Die Wahlbeteiligung soll bei etwa 80 Prozent gelegen haben, wie der Vizedirektor der Wahlkommission wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale bekanntgegeben hat.

Die Wählerlisten werden einen Tag vor der Wahl ausgängt. Hier: Wahllokal Anawrahta Road (07.11.2015)Bild: DW/R. Ebbighausen

Große Vorbereitungen

Am Tag vor den Wahlen waren die Wahlhelfer mit großer Ernsthaftigkeit bei der Sache. Sie hängten die Wählerlisten vor dem Wahlbüro aus, stellten grüne Tische und Plastikstühle auf. Im Wahllokal an der Anawrahta Road probten die Helfer den Ablauf.

Auf Nachfrage der Deutschen Welle gab der Leiter des Büros bereitwillig Auskunft. Fehler mit den Wählerlisten gebe es, aber zu 98 Prozent seien sie korrekt. Offensichtliche Tippfehler bei den Namen oder Zahlendreher bei den Identifikationsnummern aus den Ausweisen würden nicht zum Ausschluss der Wähler führen, versicherte der ältere Herr im weißen Hemd und Longyi, dem traditionellen birmanischen Wickelrock. Inwiefern das im Laufe des Tages tatsächlich so war, lässt sich nicht überprüfen, da der Zugang zum Wahlraum für die Presse nur eingeschränkt möglich war.

Aber nicht nur in der Metropole Rangun wird gewählt. Aus Hpa-An, der Hauptstadt des Kyin-Staates, spricht Katrin Bannach mit der Deutschen Welle: "Die Menschen kommen mit stolzen Gesichtern aus den Wahllokalen. Die Stimmung ist insgesamt gelassen." Die Leiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung in Rangun hat im Vorfeld der Wahlen umfangreiche Wählerschulungen koordiniert, die bis zu 200.000 Menschen erreicht haben. Bannach ist der Ansicht, dass die Zusammenarbeit mit der Wahlkommission und der Regierung grundsätzlich gut war. Der Wille, möglichst freie und faire Wahlen abzuhalten, sei deutlich gewesen. Einzig bei der Umsetzung von Schulungen in manchen Regionen war das schwieriger. "Vieles hängt von den Verantwortlichen vor Ort ab. Manche sind eben freier und offener."

Großeinsatz der EU

Die Frage, wie frei und fair die Wahlen denn nun tatsächlich waren, soll ein erfahrenes Team der Europäischen Union unter der Leitung von Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europaparlaments, beurteilen. Das Team um den Europapolitiker Lambsdorff stand und steht dabei vor großen Herausforderung. Das politische Klima in dem südostasiatischen Land ist nach Jahrzehnten der Militärherrschaft, durch Bürgerkriege und seit den Wahlen von 1990 durch tiefes Misstrauen geprägt.

Das Misstrauen konnte auch der 2012 eingeleitete Öffnungsprozess nur zu einem kleinen Teil überwinden. Nach wie vor trauen die ethnischen Minderheiten der Zentralregierung nicht über den Weg, die Politiker der Opposition misstrauen dem Militär und das Militär glaubt nicht, dass die Politiker das Land zusammenhalten können. Immer mit dabei, aber selten in der Öffentlichkeit präsent, sind die Interessen der sogenannten Cronies, die unter den Militärs reich und einflussreich geworden sind.

Ein wichtiges Ziel der europäischen Beobachtermission ist es deshalb, das "öffentliche Vertrauen in die Wahlen" zu erhöhen – sollten sie denn tatsächlich frei und fair gewesen sein. Um der Herkulesaufgabe gerecht zu werden, umfasst die Mission insgesamt rund 150 Personen. Sie sind in allen Landesteilen, sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum vertreten. Graf Lambsdorff erklärte am Morgen in Aung San Suu Kyis Wahlkreis: "Der Beobachtungsprozess am Wahltag ist sehr technisch. Sind die Wahlurnen da? Sind sie leer und versiegelt? Wie steht es um die Wählerlisten?" Am wichtigsten sei jedoch, dass die Menschen im Geheimen und ohne Beeinflussung von außen ihre Stimme abgeben könnten.

Graf Lambsdorff bat um Verständnis, dass er kein abschließendes Urteil über Freiheit und Fairness der Wahlen abgeben könne, bevor nicht alle Daten aus dem ganzen Land eingegangen seien. Zwei Tage nach der Wahl gibt es eine vorläufige Bestandsaufnahme. Zwei Monate später folgt ein Abschlussbericht mit Empfehlungen für die nächste Wahl.

Große Erwartungen

Die Wähler haben große Erwartungen. Bereits im Vorfeld der Wahlen sagte eine Frau der Deutschen Welle: "Am Sonntag erfahren wir Gerechtigkeit für 1990." Damals war die NLD als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen, doch das Militär verweigerte die Machtübergabe. Eine junge Wählerin verlässt das Wahllokal: "Ich bin stolz." Ein anderer junger Wähler fühlt sich frei. Jetzt gebe es einen Neuanfang.

Wahlaufklärungsposter sind im ganzen Land aufgestellt (hier Kawhmu).Bild: DW/R. Ebbighausen

Bannach sieht die Unerfahrenheit mit Wahlen und Begeisterung mancher Menschen mit vorsichtiger Sorge. "Die meisten Menschen haben noch nie eine Wahl erlebt. Was danach passiert, davon haben viele nur eine vage Vorstellung. Nicht wenige glauben: Nach der Wahl wird schlagartig alles besser." Aber: "Die Schaffung von neuen Jobs, die Hebung des Lebensstandards, die Verbesserung der Bildung ist ein langwieriges Projekt. Ich sehe viele enttäuschte Erwartungen. Die Gewinner der Wahl stehen vor riesigen Herausforderungen."

An die Meisterung der Herausforderungen werden sie sich nicht sogleich machen können. Denn der Machttransfer wird voraussichtlich bis März oder April 2016 dauern.

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