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PolitikSüdafrika

Historische Zäsur: Südafrikas ANC ohne absolute Mehrheit

Thuso Khumalo | Sertan Sanderson
3. Juni 2024

Südafrikas Regierungspartei ANC verliert nach 30 Jahren die absolute Mehrheit und muss Koalitionspartner suchen. Korruption und Arbeitslosigkeit haben die Wähler veranlasst, dem ANC einen Denkzettel zu verpassen.

Südafrika Johannesburg | Cyril Ramaphosa mit der Jacke der ANC-Farben Schwarz, Gelb, Grün steht in einem Stadion, das verschwommen im Hintergrund dargestellt ist
Ungewisse Zeiten: Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa stehen schwierige Koalitionsverhandlungen bevorBild: Zhang Yudong/Xinhua/picture alliance

Die Regierungspartei Südafrikas ist bei der Parlamentswahl massiv abgestürzt: Sie ist zwar nach wie vor die stärkste Partei, aber ihr Stimmenanteil ist auf 40 Prozent gefallen.

Damit hat der Afrikanische Nationalkongress (ANC) erstmals seit seiner Machtübernahme 1994 die absolute Mehrheit für eine Regierungsbildung verfehlt und sucht nun nach einem geeigneten Koalitionspartner. Für diese schwierige Aufgabe haben alle Parteien 14 Tage Zeit. 

Die Wahlkomission in Südafrika verkündete am Sonntag den absoluten Mehrheitsverlust für den ANCBild: UPI Photo/IMAGO

Das von der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) am Sonntag verkündete Ergebnis bedeutet einen massiven Einbruch verglichen mit den 57,5 Prozent, die Mandelas ehemalige Befreiungsbewegung bei der vorherigen Wahl im Jahr 2019 erreicht hatte. Auch die Wahlbeteiligung ist mit knapp 59 Prozent die bisher niedrigste der vergangenen 30 Jahre.

Die Partei, die der Anti-Apartheid-Held Nelson Mandela 1994 in die junge südafrikanische Demokratie führte, konnte sich auch bei den Regionalwahlen in drei der neun Provinzen des Landes keine absolute Mehrheit sichern. In der Provinz Gauteng, zu der die Wirtschaftsmetropole Johannesburg und die Hauptstadt Pretoria gehören, musste der ANC beispielsweise große Verluste hinnehmen.

Die Warteschlangen an manchen Orten bis zur Wahlurne erinnern an die erste demokratische Wahl 1994, aber 2024 verlor der ANC die MehrheitBild: Themba Hadebe/AP Photo/picture alliance

Die bisher größte Oppositionspartei, die Demokratische Allianz (DA), wurde mit landesweit 22 Prozent der Stimmen erneut die Nummer zwei bei den Wahlen.

Die Hochburg des ANC in KwaZulu-Natal wurde von der neu gegründeten Partei uMkhonto we Sizwe (MK) des ehemaligen Präsidenten und ANC-Führers Jacob Zuma eingenommen. Seine Partei erhielt 15 Prozent der Stimmen und wird als eigentlicher Sieger dieser Wahl vom 29. Mai angesehen.

Die viertgrößte Kraft ist die linksradikale Partei der Economic Freedom Fighters (EFF) - sie konnte neun Prozent der Stimme einholen und blieb damit knapp unter ihrem Ergebnis von 2019.

Das Land steht nun vor einer Zerreißprobe: Es geht um politische Stabilität und das Vertrauen der Investoren. 

ANC gibt Ex-Präsident Zuma die Schuld an Verlust der Mehrheit

Der ANC-Vorsitzende Gwede Mantashe gibt Jacob Zuma die Hauptschuld an den schweren Verlusten der Partei, da er aus der Partei ausgetreten ist und seine eigene Organisation gegründet hat. "Er hat einen großen Teil des ANC und seiner Anhänger mitgenommen", sagte Mantashe zur DW. Diese Spaltung zeige sich in den Ergebnissen bei der Wahl.

Zuma gründete die MK Ende 2023 mit der Begründung, der ANC habe zu viel Leid über die schwarze Bevölkerung Südafrikas gebracht. Dabei hatte er selbst die Regierungsmacht während seiner Präsidentschaft von 2009 bis 2018 missbraucht und das Land in eine Spirale der Korruption und des Zerfalls getrieben. Er war 2018 wegen etlicher Skandale vom ANC abgesetzt worden. Damals übernahm der amtierende Präsident Cyril Ramaphosa das Amt. Zu ihm stehe der ANC nach wie vor, teilte die Partei nach der Wahl mit. 

Regierungspartei hat "Untergang selbst herbeigeführt"

Der Hauptgrund für die Abwanderung vieler Wähler seien die Misserfolge des ANC in den vergangenen Jahren, betonte der politische Analyst Lesiba Teffo. Der ANC habe viele seiner Versprechen nicht eingehalten und habe Vetternwirtschaft gefördert.

Unzufriedene Wähler haben Südafrikas Regierungspartei ANC einen Denkzettel verpasst, viele gingen auch nicht zur WahlBild: Themba Hadebe/AP Photo/picture alliance

Teffo nannte wachsende Armut und Arbeitslosigkeit, stundenlange Stromausfälle (bekannt als "Lastabwurf" oder "load shedding") und enorme Korruption als Gründe, warum viele Wähler zu anderen politischen Parteien flüchteten. Der ANC sei nicht eingeschritten, als das Gesetz verlangt hätte, gegen bestimmte Leute strafrechtlich vorzugehen: Die Partei habe selbst "ihren eigenen Untergang herbeigeführt."

In Südafrika beginnen nun Koalitionsgespräche

Das Abrutschen des ANC unter die für eine alleinige Regierungsbildung erforderlichen 50,1 Prozent lässt der Partei keine andere Wahl, als sich nach Koalitionspartnern umzusehen. Das ist eine historische Zäsur für die Partei und ein Denkzettel der Wähler. "Wir werden mit verschiedenen Parteien sprechen müssen", sagte Mantashe. "Wir können mit jeder Partei zusammenarbeiten, die mit uns und unseren Prinzipien übereinstimmt."

Die EFF, die sich vom ANC unter Leitung von Julius Malema 2013 abgespalten hatte, bekundete bereits Interesse an einer Koalition. Aber ihr Stimmenanteil von 9,5 Prozent würde allein nicht reichen, um eine Regierungskoalition zu schmieden. 

Die DA habe noch nicht entschieden, ob sie einer Koalition mit dem ANC beitreten wolle, sagte ihr Sprecher Solly Malatsi im DW-Gespräch. "Wir warten unsere zentrale Parteisitzung ab" - dann werde man Position beziehen.

Obwohl eine ANC-DA-Koalition sowohl im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse als auch auf die gemeinsamen Ziele der Parteien funktionieren könnte, halten es politische Beobachter eher für unwahrscheinlich, dass es zu einem einfachen Zusammenschluss kommt. "Die DA-ANC-Verbindung ist eine Forderung des Großkapitals, des reichen Westens und der NATO-Achse", urteilt der politische Analyst Sandile Swana im Gespräch mit der DW. Sollte diese Verbindung zustande kommen, werde sie über die nächsten fünf Jahre anhaltende Proteste der EFF und MK auslösen.

Die Demokratische Allianz - hier Vorsitzender John Steenhuisen mit ANC-Führer Gwede Mantashe - ist zweitstärkste ParteiBild: Themba Hadebe/AP Photo/picture alliance

Adam Habib, Vizekanzler der School of Oriental and African Studies (SOAS) an der Universität London, glaubt, dass eine "Vernunftehe" zwischen der DA und dem ANC nicht genügend öffentliche Unterstützung fände. "Die DA wird immer noch als traditionelle weiße Partei wahrgenommen, was kein gutes Bild abgibt."

Eine Vernunftehe oder das kleinere Übel

Swana glaubt, dass das Zustandekommen einer Koalitionsvereinbarung für die Parteien "eine harte Nuss" sein wird, aber es gebe "keinen anderen Ausweg". "Die Optionen sind sehr klar", sagte er. "Zuma ist der erste Verbindungspunkt zwischen dem ANC und der Außenwelt, und diese Außenwelt ist die MK, die sie sofort über 50 Prozent bringen kann."

Er betonte jedoch auch, dass es im ANC-Lager aufgrund der Feindseligkeit Zumas gegenüber seiner früheren Partei viele Animositäten gegenüber der MK-Partei gibt.

Laut Habib muss sich der ANC für das kleinere Übel entscheiden: "Ein Bündnis mit der MK wird die Macht des korruptesten und am wenigsten kompetenten Präsidenten seit einem Jahrhundert festigen", schrieb er im Kurznachrichtendienst X. Er warnte jedoch, dass ein Bündnis mit der EFF ebenso "katastrophal" sein könnte.

Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski.

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