Historischer Gipfel: Die EU tagt in Moldau
3. Juli 2025
Wie ein großes Gipfeltreffen wirkt das Ganze nicht. Es kommen die drei Spitzen der Europäischen Union - die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Präsident des Europäischen Rates Antonio Costa und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Geplant sind für das Treffen nicht einmal zweieinhalb Stunden.
Dennoch sprechen die Beteiligten von einem "Meilenstein". Und tatsächlich ist es eine historische Zusammenkunft: An diesem Freitag findet in der moldauischen Hauptstadt Chisinau das erste Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau statt. Es ist das erste Mal, dass die EU einen Gipfel in einem kleineren Beitrittskandidatenland abhält - eine Ehre, die zuvor nur größeren Ländern wie der Ukraine und der Türkei zuteil wurde. Dabei ist die Republik Moldau erst seit Juni 2022 offiziell EU-Beitrittskandidat. In den Westbalkan-Ländern, von denen einige seit mehr als einem Jahrzehnt Kandidaten sind, gab es derartige Gipfel bisher nicht.
Es geht um ein starkes Signal. Die Republik Moldau gilt als Wladimir Putins nächstes Angriffsziel. Nach der Ukraine ist kein anderes europäisches Land so sehr bedroht von russischer Aggression wie der kleine Staat zwischen dem Nordosten Rumäniens und dem Südwesten der Ukraine.
Neben der militärischen Bedrohung gibt es auch eine akute politische: Ende September findet in der Republik Moldau die Parlamentswahl statt. Favorit ist zwar die regierende Partei Aktion und Solidarität (PAS) der proeuropäischen Staatspräsidentin Maia Sandu. Doch es treten auch drei starke prorussische Parteien an. Sollten sie an die Macht kommen, dann könnte Russland sein militärisches Potenzial im Land neu aufstellen und ausbauen.
Russische Besetzung mit katastrophalen Folgen
In dem schmalen moldauischen Landstreifen Transnistrien am Ostufer des Flusses Dnister herrschen seit über 35 Jahren prorussische Separatisten. In der Republik Moldau begann Russland 1992 seinen ersten Krieg gegen ein anderes Land nach dem Zerfall der Sowjetunion. Bis heute sind in Transnistrien 1200 russische Soldaten und ein gigantisches Arsenal sowjetischer Waffen stationiert. Eine prorussische Regierung könnte die Aufstockung der Soldatenzahl und den Nachschub mit Waffen erleichtern.
Die ukrainische Schwarzmeer- und Frontstadt Odessa liegt nur 50 Kilometer von der moldauischen Landesgrenze entfernt. Militärisch ist die Republik einer der wehrlosesten Staaten Europas. Eine russische Besatzung des Landes hätte katastrophale Folgen für die Ukraine, da sie in einen Zwei-Fronten-Krieg geraten würde.
Ebenso bedrohlich wären die Folgen für Europa: Zwar befindet sich im Südosten Rumäniens der größte NATO-Militärstützpunkt der Region, doch die Landgrenze Rumäniens zur Ukraine und zur Republik Moldau ist militärisch kaum gesichert. Bereits jetzt fliegen und explodieren im rumänischen Teil des Donaudeltas - und damit auf EU- und NATO-Gebiet - regelmäßig russische Shahed-Drohnen.
Die Frage der Entkopplung
Zwar kann die Republik Moldau nicht NATO-Mitglied werden, weil ihre Verfassung die prinzipielle militärische Neutralität vorschreibt. Doch die EU hat die Gefahrenlage in der Region nach vielen Jahren des Wegschauens und Zögerns nun offenbar deutlich vor Augen und will das Zweieinhalb-Millionen-Einwohner-Land, so scheint es, zumindest wirtschaftspolitisch schnell integrieren. Optimistische Prognosen sagen einen Beitritt für 2029/30 voraus.
Aktuell steht vor allem die Frage des sogenannten "decoupling" ganz oben auf der Tagesordnung, also die Frage, ob die Beitrittsverhandlungen der Republik Moldau von denjenigen mit der Ukraine entkoppelt werden und Brüssel und Chisinau schnell die ersten Verhandlungskapitel öffnen. Notwendig werden könnte eine Entkopplung, weil Ungarn die Eröffnung von Verhandlungskapiteln mit der Ukraine blockiert. Politisch ist die Entkopplung jedoch ein heikles Signal an die Ukraine. Zum einen würde die EU damit Viktor Orban nachgeben, zum anderen verdankt die Republik Moldau ihren Status als Beitrittskandidat praktisch der Ukraine.
Bisher ist unklar, wie die EU und die Republik Moldau dieses Dilemma lösen wollen. Fest steht, dass Brüssel dem Land mehr anbieten und präsenter sein muss als bisher, um die proeuropäischen Kräfte zu stärken. In Umfragen liegen die prorussischen und faktisch rechtsnationalen Sozialisten und Kommunisten, die wahrscheinlich zusammen als Wahlbündnis antreten, klar hinter der regierenden PAS. Doch sie könnten zusammen mit dem Wahlblock Alternative des Chisinauer Bürgermeisters Ion Ceban, der formal neutral bis proeuropäisch ist, aber als verdeckt prorussisch gilt, eine Parlamentsmehrheit erlangen.
Unvollendete Reformen und Wirtschaftskrise
Die einstige Antikorruptionsaktivistin, Weltbank-Ökonomin und Bildungsministerin Maia Sandu genießt als Präsidentin ein sehr großes Ansehen und gilt als absolut integer. Doch die PAS-Regierung hat Antikorruptions- und Justizreformen nicht so umgesetzt wie erwartet. Vor allem aber steckt das ohnehin sehr arme Land ökonomisch in einer tiefen Krise, seit die Ukraine den russischen Gastransit nach Europa, der teilweise auch in die Republik Moldau ging, zu Jahresanfang gestoppt hat. Mit dem Gas wurde ein Kraftwerk im separatistischen Transnistrien betrieben, das wiederum Strom an das Land lieferte. Das ist nun gestoppt. Doch die Anbindung an das europäische Gas- und Stromnetz führte zu Teuerungen und ist zudem noch nicht vollständig abgeschlossen.
Nach dem Ende der russischen Gaslieferungen, mit denen die transnistrischen Separatisten ihr System finanzierten, wurde in dem Landstreifen Anfang Juni der ökonomische Notstand ausgerufen - weil es nur noch stundenweise Strom gibt und das Regime Gehälter und Renten nicht mehr zahlen kann. Die rechtmäßigen Machthaber in Chisinau fürchten nun, dass die Notlage in Transnistrien zu einem Chaos führt, das sich auch auf den freien Landesteil ausweitet.
Sprach- und Identitätsfrage
Politisch spielt auch die Sprach- und Identitätsfrage in einigen Landesteilen immer noch eine Rolle. Drei Viertel der Moldauerinnen und Moldauer sind rumänischsprachig, ein Viertel überwiegend russischsprachig. Obwohl das Land eine der großzügigsten Sprachregelungen für Minderheitensprachen in Europa hat, behaupten prorussische Politiker wahrheitswidrig, die Rechte der Russischsprachigen würden missachtet. Das wirkt vor allem in einigen Orten im Norden des Landes sowie in der südlichen autonomen Region Gagausien, deren Einwohner eine christliche, ehemals turksprachige, aber weitgehend russifizierte Volksgruppe sind.
Obwohl die EU in Gagausien zahlreiche Modernisierungsprojekte finanziert, herrscht dort das Narrativ vor, dass angeblich Russland die Region unterstützt und sie vor dem Verfall rettet. Die derzeitige gagausische Gouverneurin Evghenia Gutul gilt vielen Beobachtern als Marionette des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sie steht wegen illegaler Parteienfinanzierung unter Anklage. Die EU hat sich in den vergangenen Monaten bemüht, in Gagausien öffentlich präsenter zu sein. So etwa besuchte die EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos Gagausien im Mai für drei Tage und sprach mit zahlreichen lokalen Vertretern.
Auch das Nachbarland Rumänien ist unter seinem neuen Staatspräsidenten Nicusor Dan in wenigen Wochen in der Republik Moldau so präsent wie zuvor in vielen Jahren nicht. Der erste Auslandsbesuch Dans führt nach Chisinau, wo er mit großem Jubel empfangen wurde. Kurz vor dem EU-Gipfel versprach Nicusor Dan nun, dass rumänische Behörden die zehntausenden Staatsbürgerschaftsgesuche aus der Republik Moldau schneller bearbeiten werde - womit zumindest die Antragsteller die Integration in die EU vollzogen hätten.