Rumänien: Historischer Wahlsieg für Proeuropäer
19. Mai 2025
Tausende Menschen haben sich auf dem Elisabeth-Boulevard in Rumäniens Hauptstadt Bukarest versammelt und jubeln. Sie schwenken rumänische und Europa-Fahnen, immer wieder rufen sie in Sprechchören den Vornamen des Siegers: "Nicusor! Nicusor!"
Der schwenkt zwischendurch vom Balkon aus eine Europafahne, winkt seinen Anhängern zu und tritt schließlich, eine halbe Stunde nach Mitternacht, unter frenetischem Beifall vor die Tür seines Büros. In seiner gewohnt uncharismatischen, unprätentiösen, aber nahbaren Art bedankt er sich bei seinen Anhängern. Er spricht aber auch die an, die nicht für ihn gestimmt haben: "Ich lade euch ein, Rumänien zusammen aufzubauen." Die kurze Rede hat nichts Triumphalistisches. "Lasst uns weiter an Rumänien glauben", sagt er am Ende, "und ab morgen an die Arbeit gehen!"
Nicusor Dan, 55 Jahre, Mathematiker, parteilos, ehemals Bürgeraktivist und zuletzt Bukarester Bürgermeister, hat am Sonntag (18.05.2025) die rumänische Präsidentschaftswahl gewonnen - unerwartet und in einem Aufholrennen, wie es in Rumänien noch kein Kandidat vor ihm geschafft hatte. Er lag in der ersten Runde der Wahl vor zwei Wochen 20 Prozent hinter seinem Kontrahenten, dem rechtsextremen George Simion. In der Stichwahl vom Sonntag holte Dan mehrere Millionen neue Stimmen hinzu und siegte mit rund 54 Prozent. Simion kam auf 46 Prozent.
Rechtsaußen-Kurs abgewendet
Es ist eine gute Nachricht für Rumänien, für die Europäische Union und insbesondere auch für die Ukraine. Simion, ehemals Fußball-Hooligan und prorussischer Rechtsextremist, der sich als Anhänger von US-Präsident Donald Trump und Ungarns Premier Viktor Orban gibt, hatte im ersten Wahlgang 41 Prozent der Stimmen erhalten und war eigentlich Wahlfavorit. Er hätte Rumänien - das bevölkerungsreichste Land Südosteuropas - im Falle seines Wahlsiegs auf einen isolationistischen, antieuropäischen Rechtsaußen-Kurs geführt. Das hat eine Mehrheit der Rumänen letztlich wohl zutiefst abgeschreckt.
Nicusor Dan hingegen profitierte offenbar von seinem Ruf als früherer Aktivist gegen die Bukarester Immobilienmafia und als ehrlicher Kandidat, der nicht Teil des verhassten "Systems" aus korruptem Parteienklüngel ist, das Rumänien seit 35 Jahre dominiert. Geholfen hat Dan wohl auch, dass er in der Wahlkampagne besonnen auftrat, dass er keine überzogenen Versprechen machte und dass er sich offen für die Anliegen aller Teile der Gesellschaft zeigte, während er zugleich an seiner konsequenten Haltung für einen Rechtsstaat, für Europa und für die Unterstützung der Ukraine keine Abstriche machte.
Für viele unterschiedliche Menschen wählbar
Nicusor Dan ist Goldmedaillen-Gewinner zweier internationaler Mathematik-Olympiaden, gläubiger Christ - und jemand, der lieber kleine Brötchen backt, als große Worte zu gebrauchen. Er hat überwiegend liberale, teils auch gemäßigt konservative Ansichten. Manchmal verheddert er sich in seinen Reden mit Erklärungen zu komplexen Problemen. Er kann Fehler zugeben und wirkt bei aller Prinzipienfestigkeit doch undogmatisch.
Dan lebt seit 20 Jahren unverheiratet mit seiner Lebensgefährtin zusammen - in Rumänien vor allem in ländlichen Gebieten durchaus problematisch. Das Paar hat zwei Kinder. Dans wuscheliger Lockenkopf war jahrelang Thema in rumänischen Medien. Schließlich ließ er sich widerwillig, aber mit Humor die Haare schneiden. Die Mischung aus Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Eigensinn, ein wenig Traditionalismus, ernst gemeinter Demut und Berechenbarkeit macht ihn offenbar für viele unterschiedliche Schichten wählbar.
Wie Dan bereits in der Wahlkampagne versprochen hatte, kündigte er auch nach seinem Wahlsieg an, mit "allen vier demokratischen Parteien" des Parlaments - den Sozialdemokraten, den Nationalliberalen, der progressiv-liberalen Union Rettet Rumänien sowie der ungarischen Minderheiten-Partei UDMR und anderen Minderheitenvertretern Gespräche über eine Koalitionsregierung zu führen. Zum neuen Ministerpräsidenten wird er den Nationalliberalen Ilie Bolojan ernennen, ehemals Bürgermeister der westrumänischen Stadt Oradea (Großwardein) und zuletzt Interimspräsident.
Niederlage für Orban
Die Wahlbeteiligung lag an diesem Sonntag mit 64 Prozent - gegenüber 53 Prozent in der ersten Runde - relativ hoch. Besonders in den Städten gingen sehr viele Menschen zur Wahl. Die große Mehrheit der Kommentatoren war sich einig, dass die Wahl ein "Referendum über den grundsätzlichen Weg Rumäniens" sei und dass die Mehrheit der Menschen sich für den europäischen Weg entschieden habe. Im Fernsehsender Digi24 bewertete eine Experten-Runde die Wahl als "Kampf zwischen Demokratie und Autokratie-Kleptokratie". Der Politologe Costin Ciobanu sagte, Gewinner der Wahl sei die Demokratie in Rumänien: "Aber sie wurde nicht von den etablierten Parteien gerettet, sondern die Menschen haben das Land gerettet."
Rumänische Beobachter werteten das Wahlergebnis auch als eine Niederlage für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Der hatte sich in einer Rede am 9.05.2025 für den Rechtsextremisten Simion ausgesprochen - obwohl der für gewalttätige Auftritte gegen die ungarische Minderheit in Rumänien bekannt ist. Erstmals seit vielen Jahren war es deshalb zu einem Konflikt zwischen der ungarischen Minderheitenpartei Rumäniens, der UDMR, und Orban gekommen. Am Sonntag nun erhielt Nicusor Dan sein Rekordergebnis in einem mehrheitlich von ethnischen Ungarn bewohnten Landkreis Rumäniens, Harghita - dort stimmten 90 Prozent für ihn.
Simion gesteht Niederlage ein
Platz zwei hält die Republik Moldau, der "zweite rumänische Staat", wo viele Menschen auch die rumänische Staatsbürgerschaft besitzen. Dort stimmten 88 Prozent für Nicusor Dan. Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu, die ebenfalls auch rumänische Staatsbürgerin ist, gratulierte ihrem zukünftigen Amtskollegen als eine der ersten ausländischen Persönlichkeiten. "Rumänien, wir gehen den europäischen Weg vertrauensvoll zusammen", schrieb sie auf Facebook. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gratulierte Dan als einer der ersten zu seinem "historischen Wahlsieg". "Zusammen können wir unsere Länder und Europa stärken", schrieb Selenskyj auf X.
George Simion, der sowohl in der Republik Moldau als auch in der Ukraine Einreiseverbot hat, weil er die Staatlichkeit beider Länder in Frage stellt und den Anschluss der Republik Moldau sowie ukrainischer Gebiete an Rumänien fordert, hatte sich am Sonntagabend zunächst zum neuen Präsidenten Rumäniens erklärt. Am frühen Montag morgen gegen zwei Uhr gestand er dann seine Niederlage ein, gratulierte seinem Kontrahenten und sandte damit indirekt auch das Signal, dass er und seine Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) keine Revolte gegen das Wahlergebnis planen.
Verlierer nicht vergessen
Viele Beobachter betonten allerdings, man dürfe nicht vergessen, dass über fünf Millionen rumänische Bürger für Simion gestimmt hätten - fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler in dem 19-Millionen-Einwohnerstaat. Der Verfassungsrechtler Ioan Stanomir sagte beispielsweise im Fernsehsender Digi24: "Es bricht nun eine schwierige Zeit des Regierens an, und man muss Brücken bauen zu den Leuten, die für Simion gestimmt haben."
Ähnlich betonte es auch Nicusor Dan in ersten Interviews und in seiner Rede am Montag kurz nach Mitternacht. Er sagte, er empfinde "Respekt" für alle, die nicht für ihn gestimmt hätten, und wolle mit ihnen ins Gespräch kommen. "Rumänien wird einen neuen Präsidenten haben", so der Wahlgewinner, "einen, der im Gleichgewicht mit allen anderen staatlichen Gewalten sein wird und der euch alle weiterhin braucht."