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Historisches Treffen in Singapur

Klaus Bardenhagen7. November 2015

Der symbolische Händedruck dauerte länger als eine Minute: Erstmals trafen sich die Präsidenten Chinas und Taiwans. Folgt auf diese Begegnung eine weitergehende Annäherung beider Staaten? Klaus Bardenhagen aus Taipeh.

Die Präsidenten von Taiwan und China lächeln in die Kameras (Foto: AFP)
Bild: Getty Images/AFP/M. Rasfan

So kurzfristig es angekündigt wurde, so sorgfältig war offenbar jedes Detail des Treffens in Singapur vorbereitet. Der Stadtstaat bot als Mandarin sprechendes, von ethnischen Chinesen dominiertes Land beiden Seiten einen angemessenen neutralen Schauplatz. Den Hintergrund für den historischen Händedruck bildete eine knallgelbe Wand - die klassische Farbe der chinesischen Kaiser. Beide Staatschefs berufen sich gern auf chinesische Geschichte.

Taiwans Ma Ying-jeou betrat die Kulisse von links. Seine Krawatte: Blau wie das Parteiwappen seiner Kuomintang-Partei, die China in den Wirren 20. Jahrhunderts einst geeint und dann verloren hatte. Xi Jinping, von rechts auftretend, trug natürlich rot. Ihr Händedruck im Blitzlichtgewitter dauerte weit über eine Minute. Fast schien es, als wolle Ma die Hand kaum noch loslassen, die er endlich ergreifen konnte. Jahrelang hatte er auf diese Begegnung gehofft, die ihm internationale Aufmerksamkeit und einen Platz in den Geschichtsbüchern sichert. Doch Xi hatte ihn immer wieder hingehalten, wollte Taiwans Regierung keine Legitimation verleihen, da sie aus Sicht der Volksrepublik ja keine Regierung ist, sondern eher eine Provinzverwaltung.

Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt

Als beide dann das Wort ergriffen, war es einer dieser Anlässe, bei denen jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Dass sie sich einfach mit "Herr" anreden würden, statt offizielle Titel zu gebrauchen, war schon seit Tagen bekannt. Einige Beobachter in Taiwan zeigten sich überrascht, dass Ma jede Erwähnung der "Republik China" vermied. Dabei ist es gerade dieser auf dem Festland untergegangene, auf Taiwan weiter bestehende Staat, der das Bindeglied bildet, an dem seit 2008 Ma im Zusammenspiel mit Xi und dessen Vorgänger Hu Jintao ihre Annäherungspolitik aufhängen konnten. Taiwan ist politisch eben nicht "Taiwan", sondern ein Staat, der zumindest laut Verfassung noch immer ganz China repräsentiert.

Historischer Moment: Die Präsidenten beider Staaten nehmen mit ihren Delegationen die Gespräche auf.Bild: Reuters/J. Nair

Keine Republik oder Volksrepublik also, keine Nationalflaggen. Stattdessen griffen die Staatschefs auf Motive des chinesischen Nationalismus zurück. Beide Seiten seien Teile einer Familie, Blutsverwandte, geeint durch tausende von Jahren chinesischer Geschichte und Kultur. Es gehe um die Erneuerung der "Chinesischen Nation" . Das alles war eigentlich schon oft gesagt. Schließlich war es nicht das erste Treffen zwischen beiden Seiten, nur das erste Spitzentreffen. Seit 2005 besuchen Funktionäre der KMT regelmäßig die Kommunistische Partei in Peking, nach der Wahl Mas 2008 wurden halboffizielle Unterhändler hin und her geschickt, und 2014 trafen sich in Gestalt der zuständigen Ministern erstmals offiziell Regierungsvertreter.

Ein-China-Prinzip ohne Einschränkungen

Doch wenn Staatschefs zusammenkommen, hat jedes Wort besondere Bedeutung. Bei der Erwähnung des "Ein-China-Prinzips" als Grundlage der Beziehungen etwa beließ Ma es mit "Ein China" und ersparte Xi den bei seinen Reden eigentlich zwangsläufig folgenden Zusatz "...mit verschiedenen Interpretationen". Nur, um die Existenz seiner Republik China nicht überzubetonen – oder verbirgt sich dahinter ein Kurswechsel, eine Aufgabe politischer Positionen zugunsten Pekings? Solche Fragen werden in Taiwan nun tagelang die politischen Talkshowrunden beschäftigen.

Genau hingehört hat auch Taiwans größte Oppositionspartei, die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die bei den Wahlen am 16. Januar wahrscheinlich die Präsidentschaft und vielleicht sogar die Parlamentsmehrheit übernehmen wird. Parteichefin und Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-wen äußerte sich am Abend enttäuscht über das Treffen. Ma habe weder die Existenz der Republik China erwähnt noch das Recht der Taiwaner, selbst über ihre Zukunft zu bestimmen – beides gehört in Taiwan zu seinem Standardrepertoire.

Proteste gegen die Annäherung: In Taipeh protestieren Taiwanesen gegen die Annäherung beider Staaten.Bild: Reuters/P. Chuang

Tsai gibt sich derzeit viel Mühe, um nicht als die verantwortungslose "Separatistin" dazustehen, die Peking gern aus ihr machen würde. Sie lehnte das Singapur-Treffen nicht grundsätzlich ab, kritisierte nur die geheime Vorbereitung ohne Mitwirkung des Parlaments. Sie versprach, im Falle ihres Wahlsiegs keine Abkommen mit China rückgängig zu machen und weder die Verfassung noch den Staatsnamen oder die Nationalflagge zu ändern. Und sie hatte nicht zu Protesten gegen das Treffen aufgerufen.

Proteste halten sich in Grenzen

Kleinere Gruppen von Demonstranten gingen in Taipeh heute dennoch auf die Straße. Politische Proteste sind in Taipeh allerdings fast an der Tagesordnung, seit 2014 Studenten fast vier Wochen lang das Parlament besetzt hielten, und von besonderer Aufregung war wenig zu spüren.

Tsai könnte sich sogar vorstellen, ebenfalls Xi zu treffen. Dass es dazu kommen wird, ist aber fraglich, denn den Begriff des "Einen China" nimmt Tsai nicht in dem Mund. Damit würde eine Rote Linie ihrer Unterstützer überschreiten.

Wirklich Aufsehen erregende Mitteilungen hatten beide Seiten nicht zu machen, nachdem Ma und Xi ihr hinter verschlossenen Türen fortgesetztes Treffen beendet hatten. Für politische Abkommen Ma sind in Taiwan die Hände gebunden, durch miserable Popularitätswerte und eine Restamtszeit von gerade einem halben Jahr gilt er hier den meisten als "lahme Ente".

Auch Xi braucht positive Schlagzeilen

Und auch für Xi ging es bei dem Treffen wohl vor allem darum, zur Abwechslung positive Schlagzeilen zu produzieren. Denn dass die 23 Millionen Einwohner auf der Insel trotz wirtschaftlicher Annäherung mehr und mehr eine eigene Identität herausbilden, dass sich die meisten als "Taiwaner" sehen und nur noch ganz wenige als reine "Chinesen", das ist auch in Peking bekannt. "Dieses Treffen ist der verzweifelte Versuch, in letzter Minute das Ruder herumzureißen", so Taiwan-Kenner William Stanton. Der Politikprofessor war von 2009 bis 2012 Leiter des Amerikanischen Instituts in Taipeh, in Ermangelung diplomatischer Beziehungen also quasi US-Botschafter, und lebt heute immer noch auf der Insel. "Xi will seine gescheiterte Taiwanpolitik retten“, so Stanton. Durch seine Anti-Korruptionsoffensive habe Xi sich in China viele Feinde gemacht und brauche positive Schlagzeilen.

William Stanton, ehemaliger US-Vertreter in TaiwanBild: DW/K. Bardenhagen

Als konkrete Fortschritte vermeldet wurde etwa die Einrichtung eines "heißen Drahts" zum direkten Kontakt zwischen beiden Seiten und die Zusicherung Pekings, Taiwan den Weg in die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank, Chinas Gegenentwurf zur Weltbank, nicht zu verbauen. Außerdem wolle China dabei helfen, Taiwan mehr internationalen Spielraum zu eröffnen – das sollte machbar sein, besteht diese Isolation doch nur wegen der Ansprüche der Volksrepublik selbst.

"Raketen sind nicht auf Taiwan gerichtet"

Im Vorfeld war darüber spekuliert worden, ob Xi als Überraschungscoup einseitig verkünden würde, die mehr als 1000 Raketen abzuziehen, die dauerhaft in Südostchina stationiert sind, in Reichweite Taiwans. Nichts anderes symbolisiert für die Taiwaner deutlicher Chinas parallel zur Annäherungspolitik aufrechterhaltene Drohkulisse. Dazu kam es nicht. Er habe das Thema angesprochen, sagte Ma nach dem Treffen. Und Xi habe erwidert: Die Raketen seien doch gar nicht auf Taiwan gerichtet.

Dass China durchaus Wert darauf legt, sein Militär in Taiwan als Drohung verstanden zu wissen, zeigten vor einigen Monaten Bilder im chinesischen Fernsehen. Da probten Soldaten den Sturm auf einen eindeutigen Nachbau des Präsidentenpalastes von Taipeh. "Ein ernster Fehler" sei die wiederholte Ausstrahlung dieser Bilder gewesen, sagte William Stanton. So hätte Peking nur noch mehr Taiwaner abgeschreckt. "Diese Vorstellung, man könnte Taiwan herumschubsen, ist eine Schande. Und kein anderes Land hat dagegen protestiert.“

Gegenspieler vor 70 Jahren: Kuomintag-Führer Tschiang Kai Schek trifft auf Mao Zedong (r.)Bild: picture-alliance/AP Photo/Central News Agency

Nach dem Treffen in Singapur gibt es bislang keine Anlässe dafür, dass Xi Jinping an dieser Doppelstrategie der wirtschaftlichen Anreize und militärischen Abschreckung grundlegend etwas ändern wird. Die große Frage bleibt: Wie reagiert China nach dem immer wahrscheinlicher werdenden Machtwechsel in Taipeh?

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