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PolitikGuatemala

Historisches Urteil in Guatemala

27. Januar 2022

Fünf frühere Paramilitärs wurden wegen systematischer Vergewaltigung von indigenen Frauen während des Bürgerkriegs zu langen Haftstrafen verurteilt. Das Land beginnt, seine dunkle Geschichte aufzuarbeiten.

Indigene Frauen vor dem Gerichtsgebäude in Guatemala-Stadt
Indigene Frauen vor dem Gerichtsgebäude in Guatemala-StadtBild: Moises Castillo/AP/picture alliance

Benvenuto Ruiz Aquino, 30 Jahre Haft für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bernardo Ruiz Aquino, Damián Cuxum Alvarado, Francisco Cuxum Alverado, ebenfalls 30 Jahre Gefängnis. Gabriel Cuxum Alverado, 40 Jahre Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verschleierung der eigenen Identität.

Für die Verurteilten, die wie versteinert das Urteil per Videokonferenz in dem Gefängnis von Fraijanes zur Kenntnis nehmen,bedeutet dies wahrscheinlich Haft bis zum Lebensende, sie sind zwischen 59 und 70 Jahre alt. Für die Opfer der unzähligen Vergewaltigungen ist es zumindest ein kleines Stück Gerechtigkeit. Die Jüngste war zur Tatzeit gerade einmal zwölf Jahre alt.

Bild des früheren Paramilitärs Francisco Cuxum Alverado bei der GerichtsverhandlungBild: JOHAN ORDONEZ/AFP/Getty Images

"Ich habe einen Monat lang geblutet und überhaupt nichts verstanden, meine Tante fragte mich: 'Was ist Dir passiert?'", berichtete sie im Prozess. Nur eine von vielen erschütternden Aussagen, die ganz Guatemala in den letzten Wochen aufrüttelten.

Das Geschehen stehe sinnbildlich für die sexuelle Gewalt als Kriegstaktik, die den Maya-Frauen im Bürgerkrieg Anfang der 1980er Jahre angetan wurde, erzählte ein Opfer im Prozess: "Sie haben meinen Mann ermordet, mein Haus niedergebrannt und mein Geld gestohlen. Dann haben sie mich vergewaltigt. Nach drei Monaten Schwangerschaft musste ich abtreiben und hatte unerträgliche Schmerzen."

Der Bürgerkrieg als Guatemalas Trauma

Das mittelamerikanische Land arbeitet endlich seine dunkle Geschichte auf. Mindestens 200.000 Menschen waren dem Bürgerkrieg zwischen 1960 und 1996 zum Opfer gefallen, 45.000 weitere verschwanden, vier von fünf Opfern waren Indigene. Bevorzugte Zielscheibe von planmäßigen Massakern der Armee und rechter paramilitärischen Gruppen: Angehörige der Maya auf dem Land. Die überlebenden Frauen aus der Gemeinde Rabinal gehören den Achí an, einer zu den Maya zählenden Volksgruppe.

"Gerechtigkeit für die Achí-Frauen" - Proteste vor dem Gerichtsgebäude in Guatemala-StadtBild: Johan Ordonez/AFP/Getty Images

Aura Estela Cumes Simón wacht noch immer nachts schweißgebadet auf, und der Alptraum ist immer der gleiche: Sie wird von den Häschern verfolgt und ist selbst Opfer dieser Gräueltaten. Was irgendwie auch kein Wunder ist, hat die Anthropologin doch als Sachverständige des Prozesses die Aussagen aller 36 Klägerinnen aufgenommen. Immer wieder bekam sie unter Tränen den gleichen Satz zu hören. "Ich bin wie ausgetrocknet, fühle mich wie benebelt und wie eine lebende Tote!"

"Die Verteidigung im Prozess hat nicht zugehört, sondern immer meine Eignung angezweifelt" - Aura Estela Cumes SimónBild: Privat

Cumes Simón ist selbst Maya, der Kampf gegen den immer noch alltäglichen Rassismus in Guatemala ist ihr Lebensthema, sie hat in den letzten 20 Jahren mehrere Bücher dazu geschrieben. Die Idealbesetzung also als Sachverständige für einen solchen Prozess, Cumes Simón musste deshalb auch nicht lange überlegen, als sie vor acht Jahren gefragt wurde. "Viele Guatemalteken wissen immer noch nicht, was damals passiert ist. Oder schlimmer: Es ist ihnen egal. Am allerschlimmsten ist aber, wenn sie die gängige Erzählung weitergeben, dass ja die Opfer an allem schuld seien."

Staat noch heute Feind der indigenen Bevölkerung?

Auch über sexuelle Gewalt als Kriegswaffe hat Cumes Simón schon geforscht, doch was ihr die Frauen, die zur Tatzeit zwischen zwölf und 53 Jahren alt waren, erzählten, sprengte auch ihre Vorstellungskraft. "Es war ja nicht nur die Kontrolle, die Folter, die Vergewaltigungen, also die Zerstörung jeglicher Menschlichkeit. Zudem mussten sie noch mit ansehen, wie ihre Männer, Geschwister oder Kinder vor ihren Augen umgebracht wurden. Die Soldaten und Paramilitärs haben eine Art Konzentrationslager errichtet."

Das Urteil in Guatemala-Stadt war für die indigenen Frauen ein MeilensteinBild: Luis Echeverria/REUTERS

Das schier Unglaubliche: Die Folterer, Peiniger und Mörder sind auch frühere Nachbarn, wurden rekrutiert, um Jagd auf die Guerilla zu machen. "Diese Leute haben also ihre Gemeinde und das Leben der eigenen Menschen zerstört. Auf dem Plan der Patrouillen gab es auch einen sogenannten 'Frauen-Dienst', in dem die Frauen vergewaltigt wurden", erzählt die Anthropologin und fragt sich: "Wie kann man in der Lage sein, solche Verbrechen gegen wehrlose Frauen und Kinder zu begehen?"

Aura Estela Cumes Simón ist sich sicher: Der guatemaltekische Staat ist weiterhin der größte Feind der indigenen Bevölkerung. Es ist gerade einmal drei Jahre her, dass die Richterin Claudette Dominguez von dem Fall abgezogen wurde, weil sie ständig die Aussagen und die Motive der Maya-Frauen relativiert und angezweifelt hatte. "Dieser Sieg vor Gericht ist auch ein Symbol für den Kampf gegen den tief verwurzelten Rassismus in Guatemala. Erzielt ausgerechnet durch drei Maya-Anwältinnen."

Juristische Aufarbeitung des Bürgerkrieges noch nicht vorbei

Eine von ihnen ist Lucía Xiloj, die sich als Anwältin für die Rechte der indigenen Bevölkerung schon seit Jahren einen Namen gemacht hat. Sie stammt aus Chichicastenango, gerade einmal 50 Kilometer von Rabinal, dem Ort der Vergewaltigungen, entfernt. Es gehört auch zur Ironie der Geschichte, dass die Frauen fast 40 Jahre lang auf Gerechtigkeit warten mussten - und sie ausgerechnet durch eine indigene Juristin erreichen, die genauso alt ist.

"Einige der Verurteilten sind sogar vor dem Prozess aus Guatemala geflohen, um einer Haft zu entgehen" - Lucia XilojBild: Privat

"Für meine Klientinnen ist dieses Urteil von enormer Bedeutung. Sie haben es jetzt schriftlich, sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber ihren Gemeinden, dass sie keine Verantwortung für das tragen, was passiert ist", sagt Xiloj, "denn leider ist es immer noch so, dass sobald indigene Frauen den Gerichtssaal betreten, ihren Aussagen nicht geglaubt wird. Die Stereotype sind noch heute die gleichen."

2011 hatten elf der indigenen Frauen den Mut aufgebracht, die Taten anzuzeigen. Drei Jahre später schlossen sich 25 weitere an. Für viele von ihnen begann damit ein Spießrutenlauf, inklusive Drohungen durch die Familienangehörigen der Angeklagten. Hinzu kommt: Nur fünf von ihnen können lesen und schreiben, fast alle leben in Armut.

Gewalt gegen Frauen in Guatemala

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"Wir reden hier nicht von einem doppelten Rassismus, weil sie Frauen und Indigene sind, sondern eigentlich von einem Rassismus hoch vier: Sie sind außerdem noch arm und sie haben kaum Möglichkeiten zur Bildung. Das ganze Justizsystem ist zudem auf die spanische Sprache ausgerichtet, indigene Frauen in Guatemala sind somit äußerst benachteiligt", sagt Lucía Xiloj.

Die Anwältin will weitermachen, denn das Urteil war nur ein erster Etappensieg. Jetzt soll auch Gerechtigkeit für diejenigen Frauen her, die in anderen Gemeinden Guatemalas Opfer sexueller Gewalt wurden. Ihre Motivation zieht Xiloj vor allem aus den Reaktionen nach der Urteilsverkündigung: "Diese kollektive Freude und Erleichterung in ihren Gesichtern werde ich nie vergessen. Diese Emotionen, als die Frauen sagten: 'Endlich glauben sie uns und hören unsere Stimme'. Der Bürgerkrieg ist definitiv noch nicht vorbei, es gibt noch viel zu tun."