1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hitler war hier

Andreas Kirchhoff28. August 2014

Das Kehlsteinhaus ist das einzige von den Nazis errichtete Gebäude auf dem Obersalzberg, das nicht zerstört wurde. Heute strömen im Sommer täglich tausende Touristen dorthin, wo einst der Führersperrbezirk war.

Obersalzberg Kehlsteinhaus
Bild: DW/A.Kirchhoff

"Verdammt!" Dem älteren Herrn reißt der Geduldsfaden. Auf den Knien sucht er nach der Münze, die ihm beim Parkscheinautomaten abhanden gekommen ist. Es regnet auf dem Obersalzberg. Trotzdem sind die Parkplätze knapp, unzählige PKWs und Busse haben die Reisenden an ihr Ausflugsziel gebracht. Sie alle wollen hoch zum Kehlsteinhaus oberhalb von Berchtesgaden.

Machtzentrum Obersalzberg

16,10 Euro kostet das Ticket in die Vergangenheit. Zuerst geht es in einen Spezialbus, ein kleines kräftiges Exemplar, das auf sechs Kilometern 800 Höhenmeter überwindet. Aus den Lautsprechern im Bus erklingt eine freundliche Frauenstimme und liefert die wichtigsten Fakten. Dass der Obersalzberg Hitlers zweite Machtzentrale nach Berlin war. Dass er ein Drittel seiner Regierungszeit hier verbracht hat. Im August 1939 etwa ließ er seine Generäle in die Alpenidylle kommen, um ihnen seine Pläne zum Überfall auf Polen zu verkünden.

Während der Bus stetig die mühsam in den Fels gehauene Straße erklimmt, kann man unterhalb in Obersalzberg das Interconti Hotel erkennen: genau auf dem Eckerbichl, einem kleinen Hügel, vor dem Hitler sich seinen Berghof errichten ließ. Der ist, zusammen mit anderen Gebäuden aus der Zeit des Nationalsozialismus, zerstört und abgerissen worden. Jetzt kann man hier fünf-Sterne-Komfort genießen, mit Golfplatz und Hundewiese. Nur das ehemalige Gästehaus nebenan hat die Nachkriegszeit überdauert. Darin zeigt seit 1999 die Dokumentation Obersalzberg, wie das nationalsozialistische System funktionierte und wie die Nazis sich das kleine Dorf bei Berchtesgaden zu eigen machten.

Hitler auf dem Obersalzberg: Blick von der Terrasse Haus Wachenfeld nach BerchtesgadenBild: picture-alliance/akg-images

Das erste Mal war Hitler schon in den Zwanziger Jahren hier gewesen; als Tourist, wie schon viele vor ihm. Nach der Machtübernahme 1933 wurden die Einheimischen vertrieben, eine SS-Kaserne und Wohnhäuser für die Nazigrößen gebaut. Mit der Befreiung durch die Alliierten übernahmen die Amerikaner das Gelände, bis 1995. Danach tat sich die bayerische Staatsregierung lange Zeit schwer mit dem Erbe. Nach der Beseitigung der verbliebenen Naziruinen wurde etwa Hitlers Berghof-Grundstück mit schnell wachsenden Bäumen aufgeforstet. Nur das Kehlsteinhaus blieb. Hitlers ehemaliges Teehaus auf dem 1834 Meter hohen Gipfel ist heute ein Restaurant.

Im Aufzug, der aussieht wie einst

Nach 20 Minuten Busfahrt endet die Straße. Die Gäste werden freundlich aber bestimmt darauf hingewiesen, sich rechtzeitig für eine Rückfahrtzeit zu entscheiden, der Ansturm will organisiert werden. Jetzt trennt nur noch ein Fußgängertunnel und der Aufzug die Besucher vom Gipfel. Der sehe noch genauso aus wie damals, hinter der glänzenden Messingverkleidung aber steuere moderne Technik den Fahrstuhl über die letzten 134 Meter, hatte die freundliche Stimme im Bus angekündigt.

Der Eingang zum Tunnel am Ende der KehlsteinstraßeBild: DW/A.Kirchhoff

Vor dem Eingang zum Tunnel warnt der Reiseleiter eine Gruppe von Amerikanern: "Erwarten sie nicht zuviel, besonders prächtig oder imposant ist es dort oben nicht." Das Eagles Nest, so wird Hitlers ehemaliges Teehaus von den Alliierten genannt, sei eigentlich nur ein kleines Restaurant mit einem tollen Ausblick. Hitler selbst sei gar nicht so oft oben gewesen, immerhin habe die Schwester von Eva Braun ihre Hochzeit im Gebäude gefeiert. Einige Zuhörer sind ehemalige Fallschirmspringer aus Tennessee. Es ist ihre letzte Reisestation, am nächsten Tag geht es wieder nach Hause.

Der Tunnel ist feucht und dunkel. Auch die schwache Beleuchtung scheint noch historisch. Vor dem Aufzug warten die Touristen geduldig auf die Fahrt nach oben. Ein bisschen andächtig, so scheint es. Vielleicht liegt es daran, dass der Vorraum zum Fahrstuhl mit seiner gewölbten Decke wie eine dunkle Kapelle wirkt. Doch lange dauert es nicht, bis der Aufzug ein paar dutzend Leute ausspuckt und die nächsten Gäste, zuerst etwas zögernd den glänzenden Fahrstuhl betreten. "Bitte bis nach hinten durchtreten, hier müssen noch mehr rein", der Fahrstuhlführer versteht seinen Job. Die kupferfarbene Verkleidung wirkt tatsächlich edel, die Gesichter spiegeln sich im glänzenden Metall. So sind also nach der Fertigstellung 1938 auch Nazis und ihre Gäste auf den Gipfel gefahren.

Glänzende Fassade: Im Fahrstuhl nach obenBild: DW/A.Kirchhoff

Der Führer hatte Höhenangst

Das Teehaus auf dem Kehlstein war ein Geschenk der Partei zu Hitlers 50. Geburtstag. Weil der aber auf dem schmalen Gipfel mit seiner Höhenangst kämpfte, hat er auf dem Kehlstein nur wenige, meist offizielle Termine wahrgenommen. Dennoch ist er hier heute noch ziemlich präsent.

Oben angekommen zieht es die meisten Besucher erst mal nach draußen. Tunnel und Fahrstuhl haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Erst mal raus an die frische Luft und rauf auf den Gipfel. Hinter dem Kehlsteinhaus passiert man einen kleinen Kiosk, in dem die üblichen Andenken und Erfrischungen angeboten werden, aber auch zahlreiche Bildbände und DVDs mit Titeln, in denen das Reizwort Hitler auf keinen Fall fehlen darf.

Murmeltiersalbe, Enzianschnaps und Hitler - Kiosk in ObersalzbergBild: DW/A.Kirchhoff

Die Touristen, unter ihnen auch eine große Gruppe Chinesen, begnügen sich mit dem, was ein Smartphone leisten kann: Fotografieren und Telefonieren. Gruppenfotos vor dem Gipfelkreuz, Ansichten von der Landschaft mit oder ohne Hitlers Teehaus. Einer brüllt ununterbrochen in sein Handy, vielleicht erzählt er einem Landsmann in der fernen Heimat, was er gerade sieht.

Was bleibt, ist das Panorama

Die Kulisse ist wirklich beeindruckend. Weit unten im Tal Berchtesgaden der Königssee mit dem Watzmann - nicht der höchste aber vielleicht markanteste Gipfel in den deutschen Alpen, auch wenn seine Spitze an diesem Tag von Wolken verhangen ist.

Das ganze Panorama gibt's auch im Restaurant des Kehlsteinhauses, darüber hinaus auch den großen Saal mit einem Kamin aus Marmor, einem Geschenk Mussolinis. Doch statt Bergidylle herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Hier findet keiner die sprichwörtliche Ruhe auf dem Gipfel, alle scheinen krampfhaft nach Spuren der Vergangenheit Ausschau zu halten. Aber außer einer kleinen Ausstellung mit Schautafeln zur Geschichte des Hauses im Seitenflügel gibt es kaum Konkretes.

Infos zu Bau- und Nachkriegsgeschichte des KehlsteinhausesBild: DW/A.Kirchhoff

"Kommt, es geht wieder abwärts." Zwei italienische Familien sammeln ihre Kinder ein, die sich oben die Zeit mit Fange spielen vertrieben haben. "In einer halben Stunde fährt der Bus!" Es gibt ein paar Kekskrümel für die Bergdohlen, die hier das ganze Jahr ausharren und dann geht's im glänzenden Aufzug, durch den Tunnel und mit dem Bus wieder zurück. Im Tal hat es erneut zu regnen begonnen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen