Presse in der NS-Zeit
11. März 2008Anzeige
Unter der Überschrift "Der 'Tag der Legion' in Wien" zeigte das "Neuigkeits-Welt-Blatt" auf seiner Titelseite ein körniges schwarz-weiß Foto von uniformierten Nazis, die durch die Wiener Innenstadt marschieren. "Überall wurden den Legionären, den opfermutigen Vorkämpfern der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschösterreich, herzliche Kundgebungen bereitet", heißt es in der Bildunterschrift. Es war tatsächlich der Tag der Legionäre. Sie hatten es letztendlich geschafft - ohne Repressalien fürchten zu müssen - die öffentliche Anerkennung für ihren Zusammenschluss mit der zuvor verbotenen Nazi-Partei zu bekommen. Auch die Gleichschaltung der österreichischen Gesellschaft war bereits drei Wochen nach der Annektierung, am 12. März 1938, in vollem Gange. Der Nachdruck ist Teil eines Zeitungsprojekts zum 70. Jahrestag der Besetzung Österreichs durch Nazideutschland. Das Projekt "NachRichten" veröffentlicht über das gesamte Jahr österreichische Tageszeitungen, Zeitungen, die von Österreichern im Exil produziert wurden sowie deutschsprachige Zeitungen. Mit den 52 wöchentlich erscheinenden Ausgaben will "NachRichten" zeigen, wie die lokalen und internationalen Medien Österreichs Zeit unter den Nationalsozialisten dargestellt haben. Internationales Projekt Jede "NachRichten"-Ausgabe macht mit zwei Nachdrucken von Original-Zeitungen aus der damaligen Zeit auf. Ergänzt werden die Kopien von einem Mantelteil, in dem Historiker, Publizisten, Politologen und Soziologen zu den Inhalten sowie den nicht berichteten Ereignissen Stellung beziehen und eine Anleitung zum Lesen dieser Texte geben. "Wir wollen zeigen, wie die Medien dazu benutzt wurden, dieses System zu vermitteln und wie die Konstruktion der Wirklichkeit von den Medien vermittelt wurde", erklärt Fritz Hausjell, Projektleiter und Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Die Initiative zu dem Projekt stammt vom britischen Verlag Albertas Ltd, der in Dänemark, Finnland, Griechenland und Spanien bereits ähnliche Projekte gemacht hat. "NachRichten" wird in Kooperation mit der österreichischen Nationalbibliothek und dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands herausgegeben. Geringer Widerstand Einer der ersten Schritte der Nazis um ihre Macht zu stärken, war die Kontrolle über die Medien zu erlangen, was buchstäblich über Nacht geschah, in dem sie die Redaktionen im gesamten Land besetzten. Ab Juni 1939 konnten nur noch diejenigen Journalisten arbeiten, die von den Nazis als Arier anerkannt wurden. Der größte Teil Österreichs hatte den Einmarsch von Hitlers Wehrmacht 1938 begrüßt, und die Presse konnte bereits damals auf eine fortgeschrittene anti-semitische Tradition zurückblicken, betont Hausjell. "Es war augenfällig, dass die österreichischen Journalisten besonders rabiat, geradezu kontraproduktiv waren", sagt Hausjell. "Die Bereitschaft zu Willfährigkeit war unglaublich hoch". Ungefähr 125.000 österreichische Juden flohen aus Österreich, um den Nazis zu entkommen. Viele von ihnen kamen in Österreichs größtes Konzentrationslager nach Mauthausen. Dort wurden zwischen 1938 und 1945 fast 200.000 Menschen gefangen gehalten und rund die Hälfte von ihnen getötet. Etwa 65.000 der insgesamt sechs Millionen Juden, die während des Holocausts getötet wurden, waren Österreicher. Späte Einsicht Nach dem Ende des Kriegs dauerte es lange, bis das Land seine damalige Verbundenheit zu Nazi-Deutschland und seine Mitschuld an den Verbrechen einräumte. "Den Österreichern kam es gelegen, dass sie als die 'ersten Opfer von Hitler' galten", erklärt der Historiker Robert Knight, von der Loughborough University in England. Die Alliierten hatten Österreich 1943 als "erstes Opfer Hitlers" bezeichnet. Ihr eigentliches Ziel, den österreichischen Widerstand zu mobilisieren, drehte sich mit dieser Aussage allerdings ins Gegenteil, indem sie Österreich eine Ausrede für sein Verhalten lieferten. Es dauerte Jahrzehnte und brauchte erheblichen internationalen und einheimischen Druck, bevor Österreich seine eigene Schuld eingestand. "Es gibt immer noch in einigen Teilen Widerstreben", sagt Knight. "Aber der Konsens hat sich in eine kritische Richtung bewegt. Es ist wie eine Art Aufholprozess mit Westdeutschland." Unerwartet hohe Nachfrage Das bisherige Interesse an "NachRichten" zeigt, dass die Österreicher mehr über ihre dunkle Vergangenheit wissen möchten. Die anfängliche Auflage von 50.000 Stück reichte bei der ersten Ausgabe nicht aus, so dass der Verlag Albertas 8000 zusätzliche Kopien anfertigen musste, um die Nachfrage zu befriedigen. Und obwohl es nach sechs Wochen immer noch zu früh für ein Urteil über den Erfolg des Projekts ist, ist die Tatsache, dass die zwei größten Supermarktketten Österreichs "NachRichten" in ihr Sortiment aufgenommen haben, ein deutliches Zeichen.
Anzeige