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"Den Mythos brechen"

Daniel Heinrich20. September 2016

Im Oktober will das österreichische Parlament die Enteignung des Geburtshauses von Adolf Hitler beschließen. Schon jetzt ist die Debatte um die Nachnutzung in vollem Gange. Eine Kommission soll Vorschläge unterbreiten.

Österreich Hitler-Haus in Braunau am Inn (Foto: picture alliance/AA/E. Vlasopoulos)
Bild: picture alliance/AA/E. Vlasopoulos

Oliver Rathkolb hatte sicherlich schon einfachere Termine. Der Wiener Historiker hat gerade eine Sitzung "der Kommission" hinter sich gebracht. Das zwölfköpfige Gremium, bestehend aus Vertretern aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik soll Vorschläge unterbreiten was mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler geschehen soll.

"Das zentrale Ziel muss sein, Neonaziumtriebe und deren Erinnerungsfahrten zu verhindern. Nur dann ist die Enteignung einer Privatperson auch zu rechtfertigen. Das kann ich nur machen, wenn ich den Mythos dieses Hauses breche", so Rathkolb gegenüber der Deutschen Welle.

Mitte Juli hatte die österreichische Regierung für einen Gesetzentwurf gestimmt, mit dem das Haus in Staatsbesitz überführt werden sollte. Die bisherige Besitzerin soll enteignet werden und eine Entschädigung erhalten. Sie hatte sich bis zuletzt geweigert anstehende Renovierungen durchzuführen. Das Haus, das unter anderem als Behindertenwerkstatt genutzt wurde, steht seit 2011 leer. Die Mietkosten der österreichischen Regierung, die das Haus seit den Siebziger Jahren gemietet hatte, beliefen sich am Ende auf rund 300.000 Euro.

Erinnerungsstätte vs. Abrissbirne

Seit Bekanntwerden der Pläne war in der Alpenrepublik eine rege Debatte um dessen Nachnutzung entstanden. Eine Gruppe möchte der Vergangenheit offensiv entgegentreten und eine Erinnerungsstätte bauen. Einer ihrer Vertreter ist der österreichische Politikwissenschaftler Andreas Maislinger. Er fordert schon seit über 15 Jahren ein "Haus der Verantwortung" zu errichten. Der 60-Jährige will aus dem Haus eine Jugendbegegnungsstätte machen. Der Architektur des dreistöckigen Gebäudes soll dabei eine symbolische Rolle zukommen: Im Erdgeschoss sollen Jugendliche über Verantwortung für die Vergangenheit diskutieren, im ersten Stock die Wirren der Gegenwart besprechen, unter dem Dach sollen sie die Zukunft planen können.

Oliver Rathkolb lehnt die Idee einer Erinnerungsstätte ab. Er fürchtet, dass sie sich zum Pilgerort für rechtsextreme Gruppierungen entwickeln könnte: "Es gibt diese irrationale Aufladung von Geburtsorten. Das hat wirklich etwas pseudo-religiöses." Aufgrund dieser Wahrnehmung könne man in diesem Falle auch beispielsweise nicht das NS-Dokumentationszentrum in München oder auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg zum Vorbild nehmen. "Dieses Geburtshaus kann man nicht mit irgendwelchen Parteihäusern vergleichen."Den Rechten sei die didaktische Aufarbeitung egal, so der Historiker, "denen geht es vielmehr um die Aura des Ortes."

Oliver Rathkolb will unbedingt verhindern, dass das Haus zur Pilgerstätte von Rechtsextremen aus ganz Europa wirdBild: picture alliance/APA/ ROLAND SCHLAGER

Pilgerort für Rechtsextreme

Das Haus war in der Vergangenheit immer wieder als Besuchsort rechtsextremer Gruppierungen aus ganz Europa genutzt worden. Um diesem Tourismus vorzubeugen kommen gerade aus dem rechts-konservativen politischen Lager nun eher brachiale Töne. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ) machen sich in der Öffentlichkeit für einen kompletten Abriss des Hauses stark.

Am Weitesten hat sich im "Abriss-Lager" Gerhard Baumgarten aus dem Fenster gelehnt. Der Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands hatte vorgeschlagen einen Supermarktes an Ort und Stelle zu errichten. Sein Ziel: Die völlige Entpolitisierung des Ortes.

Bisher erinnert vor dem Haus in Braunau lediglich ein Mahnstein an die schrecklichen Verbrechen der NationalsozialistenBild: picture-alliance/dpa/M. Röder

Oliver Rathkolb distanziert sich von solchen radikalen Lösungen. Er würde am liebsten eine karitative Einrichtung oder eine Polizeisation unterbringen. "Dadurch würde die Attraktivität dieses Geburtshauses gebrochen werden. Es geht darum diesen vollkommen absurden Geburtshaus-Mythos, den vor allem die österreichischen Nationalsozialisten dort gespielt haben, endgültig zu dekonstruieren."

In den nächsten Wochen soll "die Kommission" dem Parlament ihre Vorschläge unterbreiten. Es könnte ein zäher Prozess werden. Wie schwer man sich in Österreich mit der Bewältigung der eigenen Vergangenheit tut hatte man gerade in Braunau noch an anderer Stelle gesehen. Erst 2011 hatte die Stadt Adolf Hitler aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen.

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