Hitlers geheime Kunst-Dias im Internet
8. Oktober 2005Als die Alliierten im Zweiten Weltkrieg Deutschland bombardierten, fielen Kirchen, Schlösser und Klöster in Schutt und Asche - und damit viele historische Decken- und Wandgemälde, Reliefs und Fresken. Die Gebäude selber ließen sich nicht schützen, deshalb entschlossen sich die Nazi-Machthaber 1943 zu einem millionenteuren Mammut-Projekt: den "Führerauftrag Farbphotographie". Renommierte Fotografen reisten durchs Reich, um bedrohte Kunstwerke auf Kleinbildfilm zu dokumentieren, und zwar möglichst farbgetreu. Dafür mieteten sie eigens Beleuchtungs-Ausrüstung von Filmunternehmen.
In der Datenbank vor dem Zerfall gerettet
Ob preußische Holzkirche oder der Dresdner Zwinger - viele der Gebäude stehen heute nicht mehr oder wurden anders wieder aufgabaut; jedenfalls sind etliche der Kunstwerke verschwunden. Nun tauchen sie digital wieder auf: Das Münchener Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZIKG) hat eine öffentliche Internet-Datenbank aufgebaut. Sie enthält Farbdias von 480 Bauwerken, die zum ersten Mal online zu sehen sind - so nahe wie die Netz-Nutzer heute kam damals sicher niemand an die Malereien heran.
Fast 50 Jahre lang hat das Münchener Institut 39.000 Fotos aufbewahrt. Andere Aufnahmen hat das ZIKG über die Jahre hinweg von Denkmalämtern besorgt oder den Fotografen, die ihre Originale noch hatten, abgekauft. Um sie vor dem Zerfall zu bewahren, wurden die Aufnahmen 2002 und 2003 digitalisiert.
Dokumentarischer Flickenteppich
Dass im Krieg überhaupt so viele Fotos erhalten blieben, lag daran, dass Duplikate an verschiedenen Orten lagerten. Die Nazis hatten damals Dia-Filme benutzt, weil das Unternehmen Agfa nicht genug Farbnegativfilme herstellen konnte und Plattenkameras für die Fotomassen zu umständlich gewesen wären.
Sowohl Uni-Professoren und Profi-Fotografen als auch Chemiker und Kunsthistoriker waren im Auftrag des Propagandaministeriums mit der Kamera unterwegs. Aber auch Filmunternehmen wie die Ufa oder Rex-Film waren beteiligt. Eine systematische Sammlung aller Werke konnten sie aber gar nicht schaffen - sie konzentrierten sich auf besonders bedrohte Gemälde; außerdem machten ihnen logistische Probleme und der Krieg einen Strich durch die Rechnung. Ins Elsass etwa konnten die Fotografen schon nicht mehr reisen.
Jetzt kommen die Forscher
Bisher existiert nur eine Beta-Version der Datenbank mit einigen Lücken - sie ist aber schon nutzbar; man kann Fotos zum Beispiel anhand von Ort, Fotograf, Bauwerk oder Künstler suchen. Am 21. Oktober 2005 soll die das "Farbdiaarchiv der Wand- und Deckenmalerei 1943-1945" vollständig online sein - dann findet am Zentralinstitut eine Fachtagung statt. Experten wollen klären, wie Historiker und Denkmalpfleger die Dias zu Forschungszwecken nutzen können. (reh)