1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hitlers Vorkosterinnen - eine wahre Geschichte?

Elizabeth Grenier
27. Mai 2025

Der Film "Die Vorkosterinnen" des italienischen Regisseurs Silvio Soldini basiert auf den Erzählungen einer Frau, die Hitlers Essen auf Gift testen musste - jeder Tag konnte ihr letzter sein.

Hitler und Eva Braun sitzen an einem gedeckten Tisch.
Freigegeben durch Vorkosterinnen? Hitler und Eva Braun beim AbendessenBild: AP Photo/picture alliance

Die erste Szene des Films "Die Vorkosterinnen" spielt im November 1943 im ostpreußischen Dorf Groß-Partsch (heute Parcz in Polen). Die junge Rosa Sauer (Elisa Schlott) ist aus ihrer zerbombten Wohnung in Berlin geflohen und hat auf dem Land Zuflucht bei ihren Schwiegereltern gefunden. Ihr Mann ist Soldat und kämpft gerade in der Ukraine.

Nicht weit entfernt, tief im Wald und von Stacheldraht umgeben, liegt das geheime Hauptquartier von Adolf Hitler an der Ostfront - die sogenannte "Wolfsschanze".

Kurz nach ihrer Ankunft in Groß-Partsch wird Rosa von der SS zwangsrekrutiert. Sie landet in einer Gruppe von Frauen, die täglich zur Wolfsschanze gebracht werden, um dort als Vorkosterinnen für Hitler zu "arbeiten". Sie bekommen das Essen serviert, bevor Hitler es isst - falls es vergiftet ist, sterben sie, nicht er.

Werden sie das Essen überleben? Filmszene aus "Die Vorkosterinnen"Bild: Luca Zontini/Busch Media Group

Während in ganz Europa die Menschen hungern, sitzen diese Frauen am üppig gedeckten Tisch vor den erlesensten Speisen. Aber sie wissen, dass jede Mahlzeit die letzte sein könnte - Hitler hat viele Feinde.

Rosa freundet sich mit einer schüchterne Frau namens Elfriede (Alma Hasun) an. Außerdem beginnt sie eine heimliche Beziehung mit dem SS-Offizier Ziegler (Max Riemelt).

Die Geschichte dahinter

Der deutschsprachige Film des italienischen Regisseurs Silvio Soldini ("Brot und Tulpen", 2000) basiert auf dem Bestseller-Roman "Le assaggiatrici" (2018) von Rosella Postorino, der in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde. Obwohl Soldini es bisher vermieden hat, bei historischen Werken Regie zu führen, adaptierte er den Roman fürs Kino.

Der Roman von Rosella Postorino gewann 2018 den italienischen Buchpreis "Premio Campiello"

Einer der Gründe war, dass hier Frauen die wichtigste Rolle spielen - ungewöhnlich für eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Ihm gefiel auch, so Soldini gegenüber der DW, dass über die beiden Hauptfiguren Rosa Sauer und Albert Ziegler nicht geurteilt werde, die "einfach nur menschlich sind, obwohl sie in das Räderwerk eines schrecklichen Systems geraten sind". 

Das Zeugnis der Margot Wölk 

Postorinos Roman und jetzt der Film basieren lose auf den Erzählungen einer Frau namens Margot Wölk. Sie sprach erst mit 95 Jahren, im Dezember 2012, öffentlich über ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. 

Ab 1942 sei sie etwa zweieinhalb Jahre lang eine von 15 Frauen gewesen, die das Essen für Hitler vorkosten mussten, erinnerte sie sich. Ihre Beschreibungen, wie die Frauen zwangsverpflichtet wurden und wie ihr Tagesablauf war, spiegeln sich in Buch und Film wider. 

Die Inspiration zur Liebesgeschichte zwischen Rosa und Ziegler beruht auf Woelks Aussage, ein Offizier habe sie 1944 in einen Zug nach Berlin gesetzt, um sie vor der herannahenden Roten Armee, den Streitkräften der Sowjetunion, zu retten. Später habe sie erfahren, dass alle anderen Vorkosterinnen von sowjetischen Soldaten erschossen wurden.

Margot Woelk im April 2013Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Ob Woelk selbst eine Beziehung zu einem SS-Offizier hatte, bleibt im Dunkeln - in Interviews erwähnte sie das nie. Dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erzählte sie 2013 allerdings, dass sie während ihrer Zeit als Vorkosterin von einem SS-Offizier vergewaltigt wurde - und nach ihrer Rückkehr nach Berlin mehrfach von sowjetischen Soldaten. Erst über ein Jahr nach Kriegsende sah sie ihren Mann wieder, der von seinen Erlebnissen im Krieg selbst schwer traumatisiert war.

Postorino wollte Margot Woelk für ihren Roman persönlich interviewen, aber diese starb 2014, bevor es dazu kam.

Zweifel an der Geschichte

Nachdem 2014 eine Doku über Margot Woelk erschien, äußerte sich der Historiker Sven-Felix Kellerhoff skeptisch. In der Zeitung "Die Welt" schrieb er, dass Hitler in seinen letzten Lebensjahren Magenprobleme hatte und spezielles Diätessen bekam - zubereitet in einer separaten Küche im innersten Sicherheitsbereich der Wolfsschanze, dem "Sperrkreis 1". Es hätte also wenig Sinn gemacht, das Essen aus diesem Sperrkreis heraus zu transportieren, um es von einer Gruppe Frauen probieren zu lassen.

Einblick in die Wolfsschanze gibt Felix Bohrs Buch

In  seinem neuen Buch "Vor dem Untergang: Hitlers Jahre in der ‚Wolfsschanze‘" schreibt der Historiker Felix Bohr, dass im Juli 1943 Helene von Exner angeheuert wurde: die erste Diätassistentin, die separat für Hitler kochte. Zuvor hatte ein Koch namens Otto Günther die Mahlzeiten für alle in der Wolfsschanze ansässigen Nazigrößen in großen Töpfen zubereitet.

Außer Hitlers engstem Kreis arbeiteten bis zu 2.000 Personen in der Wolfsschanze. Mussten die Frauen vielleicht andere Speisen probieren, von denen ihnen nur gesagt wurde, dass es sich um Hitlers Mahlzeiten handelte?

Felix Bohr erwähnt Woelks Aussage nur in einer Fußnote. Im DW-Gespräch sagte er, bei seinen intensiven Recherchen zu den Strukturen der Wolfsschanze habe er "keine Quellen gefunden, die Margot Woelks Geschichte bestätigen", aber, so Bohr weiter, "ich habe auch keine Dokumente gefunden, die das Gegenteil beweisen."

Regisseur Soldini stören die historischen Ungereimtheiten nicht. Für ihn ist klar: Der Film basiert auf einem Roman, nicht auf belegten Fakten. Wichtig sei die emotionale Wahrheit und dass die Geschichte auch heute noch relevant sei. Er sieht Parallelen zur Gegenwart: Wie damals die Vorkosterinnen erleben viele Menschen heute die Gewalt, die von Politik ausgehen kann - selbst wenn sie das Privileg haben, gut zu essen.

Regisseur Silvio SoldiniBild: Elizabeth Grenier/DW

Belegt: Attentatsversuch auf Hitler

Was historisch eindeutig belegt ist: Es gab über 40 Versuche, Hitler zu töten.

Der bekannteste ist das Attentat vom 20. Juli 1944 - "Operation Walküre", und das ausgerechnet in der Wolfsschanze. Der Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg platzierte eine Bombe in einer Aktentasche unter einem Tisch. Die detonierte während einer Lagebesprechung und tötete vier Menschen, Hitler selbst überlebte. Im Radio sagte er später, er sei "völlig unverletzt bis auf ganz kleine Hautabschürfungen, Prellungen oder Verbrennungen" und fasse sein Überleben "als eine Bestätigung des Auftrages der Vorsehung auf, mein Lebensziel weiter zu verfolgen".

"Operation Walküre" - ein Akt des Widerstands

01:24

This browser does not support the video element.

Auch dies eine Parallele zu heute: Als Donald Trump im Juli 2024 ein Attentat mit einer leichten Verletzung überlebte, deutete auch er das als Zeichen des Schicksals.

Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch.