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Politik

Hochkonjunktur für Mordaufträge?

Notker Oberhäuser
18. Oktober 2018

Die Fälle Jamal Khashoggi und Sergej Skripal zeigen: Geheimdienste führen ihre Operationen immer offener aus. Ist das Unvermögen, oder steckt dahinter eine Strategie? Geheimdienstexperten haben eine eindeutige Meinung.

Symbolbild | Geheimdienst
Bild: imago/Steinach

Die Fälle häufen sich. Jamal Khashoggi, Sergej Skripaldie offene Entführung eines Geschäftsmanns in Berlin durch den vietnamesischen Geheimdienst oder der Mord am Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un: Es hat den Anschein, dass Staaten und ihre Geheimdienste weltweit ihre Operationen immer offener ausführen - von geheim keine Spur mehr.

Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom Bild: picture-alliance/dpa/Eventpress

"Nasse Sachen haben wieder Hochkonjunktur", sagt auch Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Der Begriff "Nasse Sachen" geht auf den KGB-Jargon zurück und bezeichnet Geheimdienst-Operationen, bei denen Blut fließen kann oder soll. Schmidt-Eenboon nennt als Zäsur das Jahr 2006, als der ehemalige russische Agent Alexander Litwinenko in London durch Polonium-210 vergiftet wurde. 23 Tage lang hatten die Ärzte des University College Hospitals in London um das Leben Litwinenkos gekämpft. Litwinenko selbst schien früh zu ahnen, dass er vergiftet worden war. Wenige Stunden vor seinem Tod sagte Litwinenko in einem Interview mit der "Times": "Die Bastarde haben mich erwischt, aber alle werden sie nicht erwischen."

Alexander Litwinenko war in den späten 90er Jahren verantwortlich für eine interne Untersuchung korrupter Praktiken innerhalb des FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, dessen Chef zu dieser Zeit Wladimir Putin hieß. Er fiel bei seinen Vorgesetzten in Ungnade, nachdem er kritisierte, dass nichts gegen die weitverbreitete Korruption unternommen wurde. Als er 1998 Details eines Mordkomplotts gegen den russischen Oligarchen Boris Berezowsky enthüllte, wurde er wegen angeblichen Amtsmissbrauchs verhaftet. Im Jahre 2000 floh er über die Türkei nach Großbritannien und suchte erfolgreich um Asyl nach. Auch wenn der Fall bis heute nicht restlos aufgeklärt ist, steckt für Schmidt-Eenboon der FSB hinter dem Anschlag.

23 Tage kämpfte Alexander Litwinenko im Krankenhaus um sein LebenBild: AP

Arbeiten Geheimdienste schlampig?

Ähnlich gingen Täter beim Anschlag im britischen Salisbury Anfang März 2018 vor, bei dem der ehemalige russische Agent Sergej Skripal und seine Tochter Julia schwer vergiftet wurden. Beide überlebten den Anschlag. Die Täter nutzten dabei ein Mittel, das dem in der früheren Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok entspricht.

Gehen die Dienste schlampig vor - oder wird eine Strategie verfolgt? "Es ist tatsächlich zu beobachten, dass sich die Geheimdienste nicht mehr so verstecken wie früher, als zum Beispiel noch Autounfälle fingiert wurden. Das ist heute ein wenig aus der Mode gekommen - die Dienste schämen sich gar nicht mehr", sagt Professor Wolfgang Krieger von der Universität Marburg. Krieger ist ausgewiesener Experte für internationale Geheimdienste.

Russen verfolgen Verräter gnadenlos

Skripal arbeitete für den russischen Militärgeheimdienst GRU, spionierte aber auch für den britischen Geheimdienst MI6. 2004 wurde Skripal in Russland wegen Landesverrats festgenommen und zu 13 Jahren Haft verurteilt. 2010 kam er im Rahmen eines internationalen Gefangenenaustauschs vorzeitig frei und fand danach Asyl in Großbritannien.

Für Krieger ist der Fall Skripal ein typischer Fall für die Arbeitsweise russischer und sowjetischer Geheimdienste. Betroffen von den Anschlägen seien meist Renegaten, die teilweise selbst in russischen und sowjetischen Geheimdiensten gearbeitet hätten und dann im Ausland anderen Diensten zugearbeitet hätten. "Diese Renegaten werden seit den 1920er Jahren in der Sowjetunion gnadenlos verfolgt. Nur ist es damals ein wenig diskreter passiert. Da gibt es einige Fälle aus den 20er und 30er Jahren, als Menschen aus Fenstern gefallen sind, wahrscheinlich aber mit einer kleinen Unterstützung", sagt Krieger.

Sie haben überlebt: Doppelagent Sergej Skripal und Tochter JulijaBild: picture-alliance/Globallookpress

Auch Skripal kann als Renegat bezeichnet werden, denn offenbar führte er nach seiner Übersiedlung nach Salisbury nicht nur ein beschauliches Rentnerleben, wie zunächst vermutet worden war. "Skripal hat aktiv den britischen Geheimdienst unterstützt", sagt Experte Schmidt-Eenboom. So habe er in Prag zusammen mit MI6-Beamten aktive russische Agenten, die er noch aus seiner Zeit bei dem russischen Dienst kannte, enttarnt. "Im Sommer 2016 war er im estnischen Tallinn und gab so präzise Hinweise, dass gleich drei Spione Moskaus enttarnt werden konnten." Auch dem spanischen Geheimdienst habe er Informationen über die Beziehungen der russischen Mafia in Spanien zu hohen Politikern in Moskau geliefert. "Er war also weiter für die westlichen Nachrichtendienste aktiv - was seinen vormaligen Kollegen in Russland nicht gefallen hat", sagt Schmidt-Eenboom.

Britisch-russisches Verhältnis ist historisch schlecht

Alexander Gusak, Litwinenkos ehemaliger Führungsoffizier, fasst den russischen Umgang mit Renegaten kurz und drastisch zusammen. Der "New York Times" sagte er: "Ich bin mit sowjetischen Idealen großgeworden. Auf einen Verräter spuckst du, schnappst ihn, erschießt oder erhängst ihn und pisst auf sein Grab."

Hinzu kommt das historisch angespannte Verhältnis zwischen Russland und Großbritannien. Nach dem Ende des kalten Krieges hätten die meisten westlichen Nachrichtendienste ihre Aufklärung gegenüber der UdSSR und nachher den GUS-Staaten zurückgefahren - die Briten jedoch nicht, sagt Geheimdienstexperte Schmidt-Eenboom. "Das Ergebnis sah man im Tschetschenien-Krieg, in dem britische Dienste eine nachhaltige Präsenz zeigten. Tschetschenien war auch der Ort, wo der britische Geheimdienst MI6 viele Überläufer aus Russland rekrutiert hat."

Wenig förderlich für gute britisch-russische Beziehungen sind auch die unzähligen russischen Oligarchen, die sich gerne in London ansiedeln. Viele Oligarchen hätten in Russland mit Hilfe des russischen Systems ungeheuren Reichtum angehäuft und polemisierten dann vom sicheren London gegen den russischen Staatspräsidenten, sagt Krieger.

"Dementi aus Riad ist völlig unglaubwürdig"

Der Fall des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ist für Krieger ähnlich gelagert. "Khashoggi stammt aus dem inneren saudischen Machtapparat - in diesem Sinne ist er auch ein Renegat." Von dem Journalisten fehlt jede Spur, seit er vor rund zwei Wochen das Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul betrat. Türkische Ermittler hegen den Verdacht, dass er dort ermordet wurde. Sie konzentrieren sich auf ein mutmaßliches Spezialkommando, das am Tag von Khashoggis Besuch nach Istanbul gereist war. "Bezeichnend ist der Umstand, dass auch ein Arzt Teil des 15 Mann-Teams war", sagt Schmidt-Eenboon. "Wir wissen, dass moderne Foltermethoden immer unter medizinischer Betreuung durchgeführt werden. Das kennen wir aus Guatanamo Bay und Abu-Ghuraib in Bagdad", sagt er. Aus diesem Grund sei das Dementi aus Riad völlig unglaubwürdig.

Seit zwei Wochen spurlos verschwunden: Der saudische Journalist Jamal KhashoggiBild: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo

Beim Einsatz von Spezialgiften oder unter den Kameraaugen türkischer Sicherheitsdienste geben internationale Geheimdienste geradezu eine Visitenkarte ab. Dilettantismus? Michael Mueller, Experte für den Bundesnachrichtendienst und Autor diverser Publikationen über Geheimdienste wiegelt ab. "Die Dienste arbeiten nicht dilettantisch. Vielmehr senden sie eine Botschaft an potenzielle Nachahmer: Wir können es, wir tun es, wir trauen uns und wir lassen uns im Zweifelsfall auch von niemanden aufhalten."