Hochmut kommt vor dem Fall
4. Juli 2003Die IG Metall steht vor einem Scherbenhaufen. Sie hielt sich für mächtig, gar für unbesiegbar. Das hat sich als Illusion erwiesen. Nach vierwöchigem Arbeitskampf, mit dem die Gewerkschaft die Einführung der 35-Stunden-Woche für die 310.000 Beschäftigten der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie erzwingen wollte, sah der Gewerkschaftsvorstand die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens ein und forderte die streikenden Gewerkschaftsmitglieder in Berlin, Brandenburg und Sachsen auf, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Dies war die schwerste Niederlage der IG Metall seit 1954, als in Bayern ein Streik verloren ging. Der Grund für die Niederlage waren schwere Fehler der Streikstrategen. Maßlos hatten sie die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaft in Ostdeutschland über- sowie die Kampfbereitschaft und die Leidensfähigkeit der Arbeitgeber unterschätzt. Hinzu kam, dass der Streik immer näher an die Urlaubszeit rückte. Bei Betriebsferien macht ein Arbeitskampf aber keinen Sinn. Schließlich opponierten die mächtigen Betriebsräte in den westdeutschen Autofabriken, als dort die Produktion wegen ausbleibender Zulieferungen aus den bestreikten Betrieben im Osten gestoppt werden musste. Und nicht zuletzt gab es keine Sympathie in der Politik und in der Öffentlichkeit, sondern eine öffentliche Schelte von allen Seiten.
Schwächen und Konsequenzen
Hochmut kommt vor dem Fall! Dieser Fall ist tief, der Aufschlag auf dem Boden der Tatsachen ist hart. Denn die Gewerkschaft hat ihre Schwäche offenbart. Mehr noch: Um die totale Pleite zu überdecken, sollen Arbeitszeitverkürzungen auf Betriebsebene vereinbart werden, womit der Metall-Flächentarifvertrag in Ostdeutschland ausgehebelt wird. Eine schonungslose Bilanz der Niederlage ist unumgänglich. Vor allem muss der unumgängliche Klärungsprozess dann auch Folgen haben. Die in einem solchen Fall übliche Konsequenz, nämlich der Rücktritt des Gewerkschaftsvorsitzenden, macht keinen Sinn, denn Klaus Zwickel geht im Oktober ohnehin altersbedingt in Rente. Außerdem ist allseits bekannt, dass Zwickel gegen den Streik war.
Jürgen Peters, derzeit noch stellvertretender Vorsitzender und Kandidat für die Zwickel-Nachfolge, sieht sich als Opfer einer groß angelegten Intrige. Es mag so sein, dass er in ein von seinen Gegnern in der Gewerkschaft aufgestelltes Messer gelaufen ist. Peters hat mächtige Feinde in der IG Metall, zum Beispiel Zwickel, gegen dessen Votum ihm vor vier Jahren der Sprung in den Vorstand der IG Metall gelungen ist und gegen dessen Willen er im Herbst zum ersten Vorsitzenden aufrücken will. Nach einem glänzenden Sieg im Streik um die Einführung der 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie hätte niemand Peters die Wahl zum Gewerkschaftschef streitig machen können.
Traditionalisten kontra Modernisierer
Doch nicht nur der Sieg hat Väter, sondern auch die Niederlage. Dabei reicht es nicht, dem ostdeutschen Bezirksleiter Hasso Düvel als Streikführer vor Ort die Verantwortung für die Niederlage aufzubürden und dann quasi als Bauernopfer aus dem Amt zu drängen. Peters ist im Vorstand der Gewerkschaft für die Tarifpolitik zuständig, er hat den Streik gewollt und betrieben, er hat die Strategie festgelegt und damit die Verantwortunggehabt. Mit einem Rücktritt könnte er der Gewerkschaft Grabenkämpfe und dem Gewerkschaftstag im Herbst eine offene Schlacht ersparen, vor allem aber einer unbelasteten Führungsmannschaft den Weg an die Spitze eröffnen.
Die Grabenkämpfe haben längst begonnen. Die IG Metall ist in zwei etwa gleich starke Lager gespalten. Unversöhnlich stehen sich Traditionalisten und Modernisierer gegenüber, wobei Peters die Traditionskompanie anführt, während der baden-württembergische Bezirksleiter Bertold Huber und Frank Teichmüller, Leiter des norddeutschen Bezirks Küste, an der Spitze der Modernisierungsbewegung stehen. Sowohl Huber als auch Teichmüller kommen für den Gewerkschaftsvorsitz in Frage, wenn Peters aufgeben sollte. Doch der denkt nicht daran, sondern will im Oktober auf dem Gewerkschaftstag antreten.