Immigranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt
24. März 2013Bei Sergio Neves ging alles ganz schnell. Der 57-jährige Informatiker aus Rio de Janeiro wollte der Liebe wegen in die Bundesrepublik, seine Frau ist Deutsche. Er stellte seine Unterlagen zusammen, bewarb sich bei zwei Unternehmen und führte innerhalb weniger Wochen die Vorstellungsgespräche am Telefon. Kurze Zeit später saß er im Flugzeug Richtung Nordosten, um sich persönlich vorzustellen - und erhielt gleich zwei Zusagen. Der Brasilianer entschied sich für ein Telekommunikationsunternehmen aus Bonn, die Deutsche Telekom. "Meine Frau mochte die Region lieber", sagt er der DW.
Das alles liegt nun 15 Jahre zurück. Der schnelle Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt war für Sergio Neves ein Glücksfall. Denn lediglich jeder sechste Neuzuwanderer aus einem Nicht-EU-Land fand damals innerhalb der ersten zwölf Monate in Deutschland einen Job. Deutschlands damaliges Image: rigide und bürokratisch.
Viele Akademiker unter den Zuwanderern
Heute haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in einer neuen Studie herausfand. Mehr als jeder dritte Zuwanderer, der 2010 und 2011 aus einem sogenannten Drittstaat in die Bundesrepublik kam, fand innerhalb von zwölf Monaten eine Stelle. "Das heißt, die Personen sind vor maximal zwölf Monaten zugewandert, können aber auch erst seit wenigen Tagen oder Wochen in Deutschland leben", sagt Andreas Ette vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung im Gespräch mit der DW.
Ein Grund dafür, dass die Neuankömmlinge immer schneller auf den Arbeitsmarkt finden, liege an ihrer Qualifikation. Hatten vor rund 15 Jahren lediglich 21 Prozent der Neuzuwanderer aus Drittstaaten einen Universitätsabschluss, hat sich die Zahl mittlerweile mit 41 Prozent nahezu verdoppelt. Damit sind sie laut der Studie im Schnitt sogar besser qualifiziert als der Durchschnittsdeutsche. Denn hier kann lediglich jeder Vierte auf einen Abschluss von der Universität oder Fachhochschule verweisen.
Allerdings, so erklärt Soziologe Ette, gäbe es mit Blick auf die Arbeitsmarktintegration große Unterschiede zwischen den eingewanderten Frauen und den Männern. Obwohl die weiblichen Zuwanderer im Schnitt genauso gut qualifiziert seien, hätten nur 20 Prozent innerhalb der ersten zwölf Monate eine Arbeit aufgenommen. Bei den Männern sind es im Schnitt über 50 Prozent. Ette mutmaßt, dass dies auch mit einem eher traditionellen Rollenverständnis zusammenhängt - der Mann geht einer Arbeit nach, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder.
Greencard und Blaue Karte
Insgesamt kamen laut Statistischem Bundesamt 2010 und 2011 etwa 495.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter nach Deutschland. "In den 90er Jahren war noch ein deutlich größerer Anteil der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei", erklärt der Wissenschaftler vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Die neuen Zuwanderer kämen nun verstärkt aus asiatischen Ländern - zum Beispiel aus China. Auch der Anteil der Zuwanderer aus Nordamerika sei gestiegen. Die meisten Neuankömmlinge suchten einen Job im Bereich der Ingenieurswissenschaften.
Einen wesentlichen Einfluss hätten die verbesserten politischen Rahmenbedingungen für die Zuwanderung von Hochqualifizierten, so Andreas Ette. Dazu zählt zum Beispiel die Blaue Karte der Europäischen Union, die im vergangenen Jahr auch in Deutschland eingeführt wurde. Sie gilt für ein bis vier Jahre und soll seinem Inhaber den gleichen Lohn wie einem EU-Bürger zusichern.
Deutschland wird offener
"Der klassische Ruf Deutschlands als Nichteinwanderungsland mit restriktiven Zuwanderungsregelungen trifft heute in dieser Form - für die Gruppe der Hochqualifizierten - nicht mehr zu", sagt Ette. Ganz im Gegenteil: Deutschland ist seiner Einschätzung nach im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und den OECD-Staaten ein eher liberales Einwanderungsland.
Einwanderer Neves hat sich auch schon vor der Einführung der neuen Gesetze in Deutschland zu Hause gefühlt. Sein Team bei der Deutschen Telekom ist international, etwa die Hälfte kommt aus dem Ausland, es wird Englisch gesprochen. Ungewohnt war der deutsche Arbeitsmarkt dennoch, erinnert sich der Brasilianer. Zwei-Mann-Büro statt Großraum, geregelte Arbeitszeiten statt Überstunden. Auch der Umgang untereinander ist anders. "Wir können viele Sachen selbst entscheiden", sagt er. "In Brasilien geht das so nicht, es ist viel hierarchischer und alle Entscheidungen müssen mit dem Chef abgestimmt werden."