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Ungarn: Orbán will Universitäten kontrollieren

Felix Schlagwein
5. Mai 2021

Mit einem neuen Gesetz will Ungarns Regierung ihre Kontrolle über die Universitäten ausbauen. Zugleich sorgt ein geplanter chinesischer Campus für Aufruhr.

Ungarns Premierminister Viktor Orbán
Ungarns Premierminister Viktor OrbánBild: Johanna Geron/AFP/Getty Images

Ungarns Universitäten sollen moderner, effizienter und im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger gemacht werden. Neben zahlreichen anderen Einrichtungen sollen sie aus dem Staatsbesitz in Stiftungen überführt werden. Ein neues Gesetz stattet diese mit einem Milliardenvermögen aus. Neben Geldern aus dem Staatshaushalt erhalten sie unter anderem Immobilien und Anteile großer Unternehmen. Jene Hochschulen, die sich den neuen Strukturen unterziehen, sollen zudem von den Corona-Wiederaufbauhilfen der EU profitieren. Insgesamt sind elf Universitäten und damit 70 Prozent der ungarischen Studenten betroffen.

Doch einige der größten und renommiertesten Hochschulen des Landes verweigern sich dem neuen Modell bislang. Denn das Stiftungssystem ist aus vielerlei Gründen umstritten. Die Opposition, die in den Parlamentswahlen im kommenden Jahr gemeinsam gegen Viktor Orbáns Fidesz-Partei antreten wird, kritisierte, das neue Modell mache die Kontrolle über die Ausgaben der Universitäten unmöglich. In einer Stellungnahme nannte sie es "inakzeptabel, dass die Orbán-Regierung aus Angst vor einer Wahlniederlage 2022, öffentliche Gelder an ihre Strohmänner gibt" und kündigte an, vor das Verfassungsgericht ziehen zu wollen.

Stiftungen mit Regierungsmitgliedern besetzt

Tatsächlich machte der ungarische Premierminister keinen Hehl daraus, dass die Aufsichtsräte der Stiftungen nur mit politisch Gleichgesinnten besetzt werden sollen. Wer "internationalistisch" oder "globalistisch" eingestellt sei, werde nicht für ein solches Amt vorgeschlagen, sagte Orbán vergangenen Freitag in seinem wöchentlichen Radiointerview. Vielmehr sollten jene mit einer "nationalen Sichtweise" die Universitäten langfristig "im Kreis des nationalen Interesses und des nationalen Gedankens" halten.

Zahlreiche Regierungsmitglieder haben ihren Platz in den Aufsichtsräten verschiedener Universitäten bereits sicher. Justizministerin Judit Varga wird dem Stiftungs-Kuratorium der Universität Miskolc vorsitzen, Außenminister Peter Szijjártó ist Teil des Kuratoriums der Universität Győr und Finanzminister Mihály Varga soll dasselbe Amt an der Universität Óbuda bekleiden. Viele weitere Posten werden mit ranghohen Parteimitgliedern und regierungsnahen Geschäftsleuten besetzt.

Eine Abwahl der Aufsichtsratsmitglieder ist nicht vorgesehen. Außerdem könne das neue Gesetz und damit die Kontrolle über die Universitäten und deren Vermögen nur mit einer Zweidrittelmehrheit gekippt werden - im Sinne der "finanziellen und rechtlichen Stabilität", wie es László Palkovics, Ungarns Minister für Innovation und Technologie, in einem Interview mit dem ungarischen Nachrichtenportal Index.hu ausdrückte. Die Opposition nennt es einen "Staat im Staate".

"Sie wollen die ideologische Kontrolle über die Universitäten"

József Pálinkás gehört zu den größten Kritikern des neuen Gesetzes. Der ehemalige Professor und langjährige Präsident der Akademie der Wissenschaften war viele Jahre Mitglied in Orbáns Fidesz-Partei. Unter der ersten Orbán-Regierung war er sogar Bildungsminister. Mittlerweile hat er sich von seiner einstigen Partei abgewandt und seine eigene gegründet. Pálinkás befürchtet, dass Fidesz mit dem Gesetz mehr will, als sich für den Fall einer Wahlniederlage finanziell abzusichern. "Sie wollen bestimmen, was gelehrt und erforscht wird. Sie wollen die ideologische Kontrolle über die Universitäten", so Pálinkás im Gespräch mit der DW. So könnten in Zukunft Professoren aus politischen Gründen entlassen und die Lehre den Wünschen der Fidesz-Partei angepasst werden.

Studentenprotest in Budapest als Reaktion auf politische Einflussnahme durch die Orbán-Regierung auf die Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE)Bild: DW/F. Schlagwein

Letzteres versuchte die Orbán-Regierung bereits im vergangenen Sommer, als sie die Leitung der renommierten Budapester Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) einer Stiftung übergeben wollte. Deren Vorsitzender, ein Orbán-naher Theaterregisseur, wollte die Hochschule "nationaler" und "christlicher" machen. Die Studenten wehrten sich, besetzten monatelang das Gebäude, bis sie aufgrund der verschärften Pandemiemaßnahmen die Universität räumen mussten. Die Übernahme durch die regierungsnahe Stiftung konnten sie nicht verhindern.

Streit um chinesische Universität in Budapest

Fast zeitgleich mit dem Gesetz zur Restrukturierung der Universitäten sorgt der geplante Bau einer neuen Hochschule für Aufruhr. Die renommierte Shanghaier Fudan-Universität will 2024 in Budapest ihre erste Außenstelle eröffnen. Es wäre die erste chinesische Hochschule in der Europäischen Union. Knackpunkt sind vor allem Größe und Kosten des Projekts. Der neue Campus soll sich über eine halbe Million Quadratmeter erstrecken und wäre damit wesentlich größer als alle anderen ungarischen Universitäten. Das Investigativportal "Direkt36" enthüllte zudem die Kosten des Bauprojekts: Umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro will die ungarische Regierung offenbar dafür ausgeben - und damit mehr als für das gesamte ungarische Hochschulwesen 2019. Dabei sollen dort nur bis zu 8000 Studenten unterrichtet werden, womit die Uni im Vergleich zu den anderen Budapester Universitäten eine kleine Hochschule sein wird.

Universität von Weltrang: Fudan Universität in ShanghaiBild: picture-alliance/C. Mohr

Die Orbán-Regierung verteidigt das Projekt mit ähnlichen Argumenten wie das neue Stiftungsmodell. Eine Universität von Weltrang, wie Fudan, würde Ungarn als Bildungsstandort aufwerten und die ungarischen Universitäten wettbewerbsfähiger machen. Kritiker entgegnen, dass Orbán mit der amerikanischen Central European University (CEU) 2018 eine der besten Universitäten der Welt aus dem Land gedrängt habe.

Tamás Matura, Assistenz-Professor an der Budapester Corvinus-Universität und Gründer des Central and Eastern European Center for Asian Studies, sieht den neuen Fudan-Campus zwiegespalten. "Fudan ist in der Tat eine der besten Universitäten der Welt und könnte Ungarn beispielsweise technologisch nach vorne bringen", so Matura im DW-Gespräch. Allerdings befürchtet er, dass Fudan, gerade wegen seines Renommees und seiner finanziellen Ausstattung die ungarischen Universitäten schwächen könnte, weil die besten Professoren und Studenten zum chinesischen Campus abwandern würden. Auch dass die Universität durch ungarisches Steuergeld finanziert werde und damit ein Geschenk an China sei, hält er für problematisch.

Chinas Griff nach Europa - Die Neue Seidenstraße, Teil 1

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Chinas "trojanisches Pferd" in Europa?

Andere Kritiker gehen noch weiter. Sie befürchten, die neue Universität könnte ein Einfallstor für chinesischen Einfluss in der EU sein. Schließlich verschreibt sich Fudan in seinen Statuten "sozialistischen Grundwerten" und der Führung der Kommunistischen Partei. Immer wieder bezeichnen Oppositionspolitiker den geplanten Campus deshalb als "trojanisches Pferd". Ex-Bildungsminister Pálinkás spricht gegenüber der DW von einer "chinesischen Festung in der Mitte Europas".

Wollen die Beziehungen zwischen Ungarn und China stärken: Viktor Orbán und Chinas Staatspräsident Xi JinpingBild: Andrea Verdelli/AFP/Getty Images

Tatsächlich hat die Orbán-Regierung ihre Beziehungen zu China in den vergangenen Jahren intensiviert. Zuletzt kritisierte Ungarns Außenminister Sanktionen, die die EU gegen China aufgrund massiver Menschenrechtsverletzungen erlassen hatte. Während der Corona-Pandemie setzt Ungarn als einziges EU-Land auch auf den chinesischen Impfstoff Sinopharm.

Für China-Experte Matura ist offensichtlich, dass Peking genau deshalb Budapest als Standort für seine neue Universität gewählt hat: "In Berlin oder Paris hätte die Fudan Angst haben müssen, politisch unter die Lupe genommen zu werden. Budapest ist hingegen ein politisch sicherer Raum für China. Hier wird sie niemand angreifen, zumindest nicht, solange diese Regierung an der Macht ist."

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