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Kunst

Klimawandel: "Ein Weckruf für alle, die noch schlafen"

Cornelia Ganitta
2. August 2021

Der Fotograf Kadir van Lohuizen hat die weltweiten Folgen des steigenden Meeresspiegels in einem Buch zusammengetragen. Ein Plädoyer zum Handeln.

Straßenkreuzung mit Hochhäusern unter Wasser.
Drohender Klimawandel: Miami steht wiederholt unter Wasser (2017)Bild: Reuters/S. Yang

Der Anblick von Miami mit seinen imposanten Wolkenkratzern entlang der Küste mag beeindrucken. Doch der Schein trügt. Die Stadt ist dem Untergang geweiht. Wissenschaftlern zufolge müsste sie bis 2060 evakuiert werden, da hier der Anstieg des Meeresspiegels drei Mal höher ist, als im globalen Durchschnitt. Es wundert nicht, dass der Klimawandel in Zusammenhang gebracht wird mit dem Einsturz eines zwölfstöckigen Wohnkomplexes in Surfside nahe Miami Beach Ende Juni dieses Jahres, wie die Neue Züricher Zeitung am 6. Juli schrieb: "Die genaue Ursache des Einsturzes ist immer noch unklar, obwohl es im Vorfeld Warnungen hinsichtlich der Schäden am Gebäude gegeben hatte. Ein Aspekt, der zunehmend in den Vordergrund rückt, sind die Rolle des steigenden Meeresspiegels und die gefährlichen Konsequenzen des Salzwassers für die Gebäudefundamente."

Einer, der das Unglück hat kommen sehen, ist Kadir van Lohuizen. "Miami hätte nie auf Kalkstein gebaut werden dürfen, der Untergrund ist zu porös", ist der Niederländer überzeugt, und: "Ein Schutz der Küste mit einem Deich auf demselben Untergrund ist unmöglich." Van Lohuizen, Jahrgang 1963, weiß, wovon er spricht. Als erfahrener Fotograf macht er seit Jahren die globalen Folgen des Klimawandels sichtbar. Angefangen hatte der fotografische Autodidakt 1988 mit Fotoreportagen aus Kriegs- und Krisengebieten, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

1997 begann van Lohuizen, der von sich selbst sagt, "visuellen Recherche-Journalismus" zu betreiben, ein Langzeit-Projekt, das ihn zu den sieben großen Flüssen der Erde brachte, um das Alltagsleben entlang dieser Lebensadern zu dokumentieren. Es folgte ein Bildband über die Migration in Nord- und Südamerika und eine Publikation über die (schlechte) Art und Weise, mit der sechs Megacitys ihren Müll entsorgen. 2005 erschien das Buch "Diamond Matters", in dem er sich auf die Spuren der Diamanten von den Minen in Angola und Kongo bis in die Verbrauchermärkte westlicher Industrienationen begab. 2007 war er Mitbegründer der NOOR-Fotoagentur in Amsterdam. 2018 erhielt er von der World Press Photo-Jury den 1. Preis für seine Umwelt-Serie "Wasteland".

Mit "Volldampf" Richtung Ozean

Auch sein jüngstes Fotobuch "After us The Deluge" ("Nach uns die Sintflut") ist preisverdächtig. Hierfür reiste der Niederländer ab 2011 im Auftrag der "New York Times" an Orte weltweit, die Gefahr laufen, aufgrund des steigenden Meeresspiegels von der Landkarte zu verschwinden: Indonesien, Fidschi, Papua-Neuguinea, Guna Yala in Panama, die Marshallinseln und Florida. Überall fotografierte er Menschen, die im oder nah am Wasser leben, an Stränden, in Großstädten und oftmals im Dreck. Die Bilder präsentierte van Lohuizen im Frühjahr dieses Jahres anlässlich einer Ausstellung im Amsterdamer Schifffahrtsmuseum, zu der auch das Buch erschien. Nach ihrem Ablauf dort, ist sie nun auch im New Yorker Stadtmuseum zu sehen.

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Unterstützung für sein Fotobuch bekam van Lohuizen von Experten aus Wissenschaft und Politik. Sie haben durch Kartenmaterial und Graphiken ergänzende Gastbeiträge geschrieben, mit denen sie der Ursache für den rasanten Anstieg des Meeresspiegels auf den Grund gehen. So berichtet die dänische Arktis-Spezialistin Dorthe Dahl-Jensen in ihrem Essay von der Entwicklung in Grönland. Erst vor kurzem waren dort gefrorene Flüsse unter dem Eis entdeckt worden, die die 2600 Meter dicke Eisdecke mit 15 Zentimeter pro Tag Richtung Ozean bewegen. Wie Forscher des East Greenland Ice-core Projects (EGRIP) an deren Quelle herausgefunden haben, scheint dies - parallel zur Gletscherschmelze - eine Erklärung dafür zu sein, dass der Meeresspiegel in den vergangenen Jahren schneller gestiegen ist, als angenommen. Die circa 22.000 Jahre alten Eissäulen, die hier aus 1500 Metern Tiefe herausgebohrt wurden, bezeichnet van Lohuizen, der das Team bei der Arbeit fotografierte, als eine Art "Geschichte des Weltklimas". Sie gebe Aufschluss über die Struktur des Eises und darüber, wann es eine Eis- bzw. Warmzeit gab.

Umweltmigration auf dem Vormarsch

Auch Insider kommen zu Wort, wie etwa Sharif Jamil, der zu den führenden Umwelt-Aktivisten in Bangladesch zählt. Hier ist die Situation besonders dramatisch: In naher Zukunft drohen dort bis zu 50 Millionen Bewohner der Deltaregion umgesiedelt zu werden. "Viele Menschen sind aufgrund des steigenden Wassers, der Versalzung von Ackerland und Erosion bereits in die armen Stadtteile der größeren Städte geflohen", schreibt Jamil und schildert seinen Hoffnungsschimmer: "Aber Bangladesch wartet nicht auf künftige Katastrophen und hat einen Deltaplan in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar verabschiedet, der einige Küstenzonen noch etwas länger sicher halten könnte."

Der ehemalige Präsident des zwischen Hawaii und Fidschi gelegenen Inselstaates Kiribati, Anote Tong, fürchtet ebenfalls wachsende Flüchtlingsströme in den Pazifik-Nationen: "Ein Großteil des Landes liegt jetzt schon nicht mehr als 1,5 Meter über dem Meeresspiegel", so Tong. "Einige Nationen werden aufhören zu existieren. Und wohin sie ziehen werden, ist unbekannt." Mit Blick auf die Niederlande sagt Tong: "Wir sind zwar weit entfernt, aber unser Thema ist das Gleiche." 

Auch der Inselstaat Fidschi ist stark vom steigendem Meeresspiegel betroffen Bild: Kadir van Lohuizen / NOOR

In der Tat liegt das Problem verdammt nah, wie auch Kadir van Lohuizen weiß, dessen Land weltweit hohes Ansehen hinsichtlich seiner Deichbau-Ingenieurskunst genießt. Dennoch geht nicht nur er davon aus, dass mit der Erderwärmung bis circa 2050 auch die niederländischen Küstenbewohner nasse Füße kriegen. Traurige Aussichten allemal, wenn nicht sofort gehandelt wird. Und so versteht van Lohuizen sein Buch als einen "Weckruf für alle, die noch schlafen".

Das Buch "After Us the Deluge. The Human Consequences of Rising Sea Levels" ist erschienen bei Lannoo, Belgien 2021. Bis zum 2. Januar 2022 ist die Ausstellung "Rising Tide" im New Yorker Stadtmuseum zu sehen. Auf der Website des Museums vermitteln weitere Fotos sowie eine Expertendiskussion, u. a. mit Kadir van Lohuizen und Sharif Jamil, eine Ahnung davon, was uns in Folge des Klimawandels in naher Zukunft erwartet.

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