Klimawandel: "Ein Weckruf für alle, die noch schlafen"
Cornelia Ganitta
2. August 2021
Der Fotograf Kadir van Lohuizen hat die weltweiten Folgen des steigenden Meeresspiegels in einem Buch zusammengetragen. Ein Plädoyer zum Handeln.
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Der Anblick von Miami mit seinen imposanten Wolkenkratzern entlang der Küste mag beeindrucken. Doch der Schein trügt. Die Stadt ist dem Untergang geweiht. Wissenschaftlern zufolge müsste sie bis 2060 evakuiert werden, da hier der Anstieg des Meeresspiegels drei Mal höher ist, als im globalen Durchschnitt. Es wundert nicht, dass der Klimawandel in Zusammenhang gebracht wird mit dem Einsturz eines zwölfstöckigen Wohnkomplexes in Surfside nahe Miami Beach Ende Juni dieses Jahres, wie die Neue Züricher Zeitung am 6. Juli schrieb: "Die genaue Ursache des Einsturzes ist immer noch unklar, obwohl es im Vorfeld Warnungen hinsichtlich der Schäden am Gebäude gegeben hatte. Ein Aspekt, der zunehmend in den Vordergrund rückt, sind die Rolle des steigenden Meeresspiegels und die gefährlichen Konsequenzen des Salzwassers für die Gebäudefundamente."
Einer, der das Unglück hat kommen sehen, ist Kadir van Lohuizen. "Miami hätte nie auf Kalkstein gebaut werden dürfen, der Untergrund ist zu porös", ist der Niederländer überzeugt, und: "Ein Schutz der Küste mit einem Deich auf demselben Untergrund ist unmöglich." Van Lohuizen, Jahrgang 1963, weiß, wovon er spricht. Als erfahrener Fotograf macht er seit Jahren die globalen Folgen des Klimawandels sichtbar. Angefangen hatte der fotografische Autodidakt 1988 mit Fotoreportagen aus Kriegs- und Krisengebieten, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.
1997 begann van Lohuizen, der von sich selbst sagt, "visuellen Recherche-Journalismus" zu betreiben, ein Langzeit-Projekt, das ihn zu den sieben großen Flüssen der Erde brachte, um das Alltagsleben entlang dieser Lebensadern zu dokumentieren. Es folgte ein Bildband über die Migration in Nord- und Südamerika und eine Publikation über die (schlechte) Art und Weise, mit der sechs Megacitys ihren Müll entsorgen. 2005 erschien das Buch "Diamond Matters", in dem er sich auf die Spuren der Diamanten von den Minen in Angola und Kongo bis in die Verbrauchermärkte westlicher Industrienationen begab. 2007 war er Mitbegründer der NOOR-Fotoagentur in Amsterdam. 2018 erhielt er von der World Press Photo-Jury den 1. Preis für seine Umwelt-Serie "Wasteland".
Kadir van Lohuizen: Fotografien vom Klimawandel
Der niederländische Fotograf Kadir van Lohuizen hat die Folgen des steigenden Meeresspiegels im Bild festgehalten.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR
USA, Florida, King Tide (Miami Beach) 2014
In Miami herrscht das Phänomen der "sunny day floodings": blauer Himmel, Sonnenschein und doch Wasser in den Straßen. Verantwortlich ist das aufsteigende Meerwasser, das durch die Kanalisation nach oben fließt. Hunderte Pumpen sollen dieses Problem lösen, aber eine langfristige Lösung gibt es nicht. Die Erwartung ist, dass Miami Beach und die Bay Area bis 2060 evakuiert werden müssen.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR
Panama, Guna Yala, 2011
Olga lebt mit ihrem Mann, ihren neun Enkeln und einem ihrer drei Kinder auf der Insel Sucunguadup, die mittels Korallen höher gelegt wurde. Ihr Zuhause gehört zu dem autonomen Gebiet Guna Yala, das aus einem langen schmalen Landstreifen und einem Archipel von 365 Inseln entlang der Karibikküste Panamas besteht. 36 Inseln sind bewohnt, im August 2012 wurden die ersten vier evakuiert.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR
USA, Alaska, Tikigaq (Point Hope), Mai 2018
Ein Waljäger steht auf seinem Posten und hält Ausschau nach Grönlandwalen. Die Inuit-Gemeinde von Point Hope darf pro Jahr zehn Grönlandwale für den eigenen Gebrauch jagen. Sie sind wichtig für ihren Lebensunterhalt. Wegen der früher einsetzenden Eisschmelze heutzutage, ist es allerdings schwieriger für die Inuit, die Tiere zu fangen, da sie sich über ein viel größeres Gebiet verteilen.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR for Carmignac Fondation
Bangladesch 2011
Tausende arbeiten in Katakhali daran, die beschädigten Deiche zu schließen. Durch den Wirbelsturm Aila, der Bangladesch im Mai 2009 schwer getroffen hatte, mussten 60.000 Menschen weichen. Der Zyklon traf das Gebiet mit einer Brandung von zehn Metern. Bangladesch hat derzeit 6,5 Millionen Vertriebene durch Überschwemmungen und gilt als eines der am stärksten durch den Klimawandel bedrohten Länder.
Bild: Kadir van Lohuizen / NOOR
Kiribati, Insel Tarawa, 2012
Anwohner schützen ihre Häuser mit Sandsäcken vor dem Wasser in Betio. Aufgrund des steigenden Meeresspiegels und der häufigen Stürme bietet das Riff keinen natürlichen Schutz mehr. Für die Bevölkerung besteht außerdem ein gravierender Mangel an Trinkwasser. Die Insel Betio ist der einwohnerstärkste Teil von Tarawa, einem Atoll im Pazifischen Ozean, der zum Inselstaat Kiribati gehört.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR
Marshallinseln, Riff bei Majuro, April 2019
Auch die Marshallinseln sind vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Deshalb will die Regierung mehrere der Inseln anheben, um sie vorm Untergehen zu bewahren. Mit rund 50.000 Einwohnern sind die Marshalls eine unabhängige Nation im Pazifik und ein assoziierter Staat der USA, weshalb Menschen von dort auch in den USA leben dürfen.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR
Niederlande, Terschelling, Januar 2019
Im Januar 2019 wurden die Niederlande von einem schweren Nordweststurm heimgesucht. Zu dieser Zeit war das Land schon viel besser gegen Sturmfluten geschützt, als noch während der großen Flut von 1953. Die Kais und der Hafen von Terschelling wurden trotzdem überflutet. Da dies mittlerweile häufiger passiert, gelten die westfriesischen Inseln als extrem gefährdet.
Bild: Kadir van Lohuizen/NOOR
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Mit "Volldampf" Richtung Ozean
Auch sein jüngstes Fotobuch "After us The Deluge" ("Nach uns die Sintflut") ist preisverdächtig. Hierfür reiste der Niederländer ab 2011 im Auftrag der "New York Times" an Orte weltweit, die Gefahr laufen, aufgrund des steigenden Meeresspiegels von der Landkarte zu verschwinden: Indonesien, Fidschi, Papua-Neuguinea, Guna Yala in Panama, die Marshallinseln und Florida. Überall fotografierte er Menschen, die im oder nah am Wasser leben, an Stränden, in Großstädten und oftmals im Dreck. Die Bilder präsentierte van Lohuizen im Frühjahr dieses Jahres anlässlich einer Ausstellung im Amsterdamer Schifffahrtsmuseum, zu der auch das Buch erschien. Nach ihrem Ablauf dort, ist sie nun auch im New Yorker Stadtmuseum zu sehen.
Malediven - Die Inselretter
26:05
Unterstützung für sein Fotobuch bekam van Lohuizen von Experten aus Wissenschaft und Politik. Sie haben durch Kartenmaterial und Graphiken ergänzende Gastbeiträge geschrieben, mit denen sie der Ursache für den rasanten Anstieg des Meeresspiegels auf den Grund gehen. So berichtet die dänische Arktis-Spezialistin Dorthe Dahl-Jensen in ihrem Essay von der Entwicklung in Grönland. Erst vor kurzem waren dort gefrorene Flüsse unter dem Eis entdeckt worden, die die 2600 Meter dicke Eisdecke mit 15 Zentimeter pro Tag Richtung Ozean bewegen. Wie Forscher des East Greenland Ice-core Projects (EGRIP) an deren Quelle herausgefunden haben, scheint dies - parallel zur Gletscherschmelze - eine Erklärung dafür zu sein, dass der Meeresspiegel in den vergangenen Jahren schneller gestiegen ist, als angenommen. Die circa 22.000 Jahre alten Eissäulen, die hier aus 1500 Metern Tiefe herausgebohrt wurden, bezeichnet van Lohuizen, der das Team bei der Arbeit fotografierte, als eine Art "Geschichte des Weltklimas". Sie gebe Aufschluss über die Struktur des Eises und darüber, wann es eine Eis- bzw. Warmzeit gab.
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Umweltmigration auf dem Vormarsch
Auch Insider kommen zu Wort, wie etwa Sharif Jamil, der zu den führenden Umwelt-Aktivisten in Bangladesch zählt. Hier ist die Situation besonders dramatisch: In naher Zukunft drohen dort bis zu 50 Millionen Bewohner der Deltaregion umgesiedelt zu werden. "Viele Menschen sind aufgrund des steigenden Wassers, der Versalzung von Ackerland und Erosion bereits in die armen Stadtteile der größeren Städte geflohen", schreibt Jamil und schildert seinen Hoffnungsschimmer: "Aber Bangladesch wartet nicht auf künftige Katastrophen und hat einen Deltaplan in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar verabschiedet, der einige Küstenzonen noch etwas länger sicher halten könnte."
Der ehemalige Präsident des zwischen Hawaii und Fidschi gelegenen Inselstaates Kiribati, Anote Tong, fürchtet ebenfalls wachsende Flüchtlingsströme in den Pazifik-Nationen: "Ein Großteil des Landes liegt jetzt schon nicht mehr als 1,5 Meter über dem Meeresspiegel", so Tong. "Einige Nationen werden aufhören zu existieren. Und wohin sie ziehen werden, ist unbekannt." Mit Blick auf die Niederlande sagt Tong: "Wir sind zwar weit entfernt, aber unser Thema ist das Gleiche."
In der Tat liegt das Problem verdammt nah, wie auch Kadir van Lohuizen weiß, dessen Land weltweit hohes Ansehen hinsichtlich seiner Deichbau-Ingenieurskunst genießt. Dennoch geht nicht nur er davon aus, dass mit der Erderwärmung bis circa 2050 auch die niederländischen Küstenbewohner nasse Füße kriegen. Traurige Aussichten allemal, wenn nicht sofort gehandelt wird. Und so versteht van Lohuizen sein Buch als einen "Weckruf für alle, die noch schlafen".
Das Buch "After Us the Deluge. The Human Consequences of Rising Sea Levels" ist erschienen bei Lannoo, Belgien 2021.Bis zum 2. Januar 2022 ist die Ausstellung "Rising Tide" im New Yorker Stadtmuseum zu sehen. Auf der Website des Museums vermitteln weitere Fotos sowie eine Expertendiskussion, u. a. mit Kadir van Lohuizen und Sharif Jamil, eine Ahnung davon, was uns in Folge des Klimawandels in naher Zukunft erwartet.
Naturkatastrophen im Film
Sintflutartige Regenfälle, schmelzende Polkappen, unerträgliche Hitzewellen, ein unbewohnbarer Planet: Klima und Natur wehren sich im Film gegen den Menschen.
Bild: picture alliance/United Archives
Flood (1976)
Durch heftige Regenfälle ist der Wasserstand des Stausee bei Brownsville stark angestiegen. Als ein Hubschrauberpilot durch Zufall einen Riss im Staudamm entdeckt, informiert er sofort die Stadt. Doch der Bürgermeister glaubt nicht an einen Dammbruch. Die Katastrophe ist unvermeidlich. "Flood" war mit 2,6 Millionen Dollar die bis dato teuerste Produktion fürs US-Fernsehen.
Bild: picture alliance/United Archives
Waterworld (1995)
Die Polkappen sind geschmolzen, die Kontinente überflutet. Nur wenige Menschen leben noch auf künstlichen Atollen oder Booten. Natürlich gibt es auch Bösewichte: Die entführen ein Kind, weil es eine Tätowierung auf dem Rücken hat, die den Weg zur einzigen noch verbleibenden Insel auf der Erde weist: "Dryland". Eine Filmkulisse wurde während der Dreharbeiten von einem Sturm zerstört.
Bild: picture-alliance/dpa
Beasts of the Southern Wild (2012)
Ganz anders diese Filmfabel: Ein sechsjähriges Mädchen überlebt eine Sturmflut in den Sümpfen Louisianas und kann sich durch ihre unerschütterliche Fantasie aufrecht halten. Sie glaubt an das Gleichgewicht im Universum: "Geht etwas kaputt, selbst das allerkleinste Teil, geht auch das ganze Universum kaputt." Für ein Minibudget ist Regisseur Benh Zeitlin ein beeindruckendes Filmdebüt gelungen.
Bild: picture-alliance/dpa
2012 (2009)
Ein Minibudget ist nichts für Regisseur Roland Emmerich. Er fährt alles auf, was an Getöse und Zerstörung im Kino möglich ist. In dieser Mutter aller Klimakatastrophenfilme erfrieren, ertrinken, verbrennen sechs Milliarden Erdbewohner. Die gigantische Zerstörungsorgie ist ebenso absurd wie faszinierend. Ein Glück, dass die Ursache diesmal nicht am Menschen liegt, sondern an der Sonne.
Bild: 2009 Sony Pictures Releasing GmbH
The Day After Tomorrow (2004)
Bereits Jahre vor "2012" hat Emmerich, Spezialist für gigantomanische Zerstörung, ein beklemmendes Szenario geschaffen: Auf einer Weltklimakonferenz warnt ein Wissenschaftler vor einem dramatischen Klimawandel, der eine neue Eiszeit mit sich bringt. So geschieht es auch. Erst suchen gewaltige Stürme die Welt heim, gefolgt von noch gewaltigeren Flutwellen - und schließlich die Kälte.
Bild: EntertainmentPictures/imago images
Geostorm (2017)
Bei einer Hitzewelle sterben zwei Millionen Menschen. Hauptstädte stehen unter Wasser, das Wetter spielt verrückt. Ein gigantisches Satellitensystem im All soll nun das Wetter steuern. Eine Zeit lang funktioniert das Geoengeneering. Doch dann macht sich die wichtigste Kontrollstation im All selbständig und schickt Eiszeiten und Hitzewellen. Schließlich droht ein alles vernichtender Megasturm.
Bild: picture-alliance/dpa/Warner Bros. Picture
Hell (2011)
Ein deutscher Film. Eine grelle, staubige, verdorrte Welt. "Hell" steht für das Licht und die Hölle - die Sonne ist der Feind der Menschheit, ihre Strahlung ist tödlich, nur wenige haben Sonnenstürme und andere Katastrophen überlebt. Die Menschen tun sich gegenseitig unvorstellbare Dinge an, um zu überleben. Ein apokalyptisches Gesellschaftspanorama, das mit US-Produktionen mithalten kann.
Bild: paramount.de
Snowpiercer (2014)
Das Versprühen chemischer Kältemittel soll die globale Erwärmung aufhalten. Der Versuch misslingt und mündet in eine Eiszeit. Im Jahr 2031 leben noch rund 1000 Menschen in einem Zug, dem Snowpiercer. Selbst in der Katastrophe herrscht ein Zwei-Klassen-System. Die Geschichte basiert auf einer französischen Graphic Novel, die auch Vorlage für die 2020 gestartete, gleichnamige Netflix-Serie ist.
In "The Happening" von M. Night Shyamalan schlägt die Natur zurück - und zwar perfide: Pflanzen setzen ein Nervengift frei, das die Menschen in den Suizid treibt. Besonders große Menschenansammlungen sind von der Abwehrreaktion des Planeten betroffen, kleinere wirken weniger bedrohlich. Eine gruselige Warnung vor den Folgen der Überbevölkerung und Umweltverschmutzung.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture-alliance
Interstellar (2014)
In Christopher Nolans Sci-Fi-Thriller startet Matthew McConaughey auf der Suche nach neuen Lebenswelten ins All. Auf der Erde setzen Staubstürme und Plagen den Menschen und Pflanzen zu. Es ist eine Frage der Zeit, bis das Überleben auf unserem Planeten nicht mehr möglich sein wird. Was die gestörte Biosphäre verursacht, lässt Nolan offen, die Parallelen zum Klimawandel sind jedoch eindeutig.
Bild: picture-alliance/dpa/Warner Bros./M. Gordon
WALL·E (2008)
Im Jahr 2805 ist die Erde infolge von Massenkonsum und Vermüllung schon seit Jahrhunderten unbewohnbar. WALL·E ist nach 700 Jahren der einzig verbliebene Müllroboter. In einem Raumschiff trifft er auf Menschen, die mangels Gravitation fettleibig und dumpf geworden sind. Ein laut Lexikon des internationalen Films "formal wie inhaltlich radikaler Animationsfilm", prämiert mit einem Oscar.