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Hochwasserschäden: Land unter in der Kultur

2. August 2021

Nach der Pandemie kam die Flutkatastrophe. Die Juli-Hochwasser haben Deutschlands Kultureinrichtungen schwer zugesetzt. Wie soll es weitergehen?

Ein historischer Straßenbahnwagen und die Wagenhalle stehen knietief im Hochwasser.
Knietief im Hochwasser: Das Straßenbahnmuseum in Wuppertal-KohlfurtBild: Georg Kemper

Stundenlanger Starkregen, rapide steigende Flusspegel, weggeschwemmte Häuser, vollgelaufene Keller - die Verwüstungen der jüngsten Unwetterkatastrophe konzentrieren sich vor allem auf die deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Mehr als 180 Tote, Schäden und Verluste in Milliardenhöhe - die Bilanz ist erschütternd. Getroffen hat es aber, was erst allmählich zutage tritt, auch viele Kulturbetriebe. Betroffen sind Verlage, Museen, Archive, Galerien, Kirchen und sogar, wie in Wuppertal, ein Opernhaus.

"Es klang wie ein Niagarafall", erinnert sich Marietta Thien, Leiterin des Velbrück-Verlags. Als sie und ihr Mann in der Unglücksnacht wach werden, zeigt der Wecker 3.45 Uhr. Über Stunden hat es massiv geregnet. Die Gullys in Metternich, einem Ortsteil von Weilerswist bei Bonn, nehmen kein Wasser mehr auf. In der Hauptstraße steht das Wasser kniehoch, da geschieht das Unfassbare: Um ein Brechen der Staumauer der höher gelegenen Steinbachtalsperre zu verhindern, lassen die Behörden Wasser ab. "Die Flutwelle der Swist hat unser Dorf mit großer Wucht erwischt", sagt Andreas von Stedman zur DW. "Niemand hatte uns gewarnt!"

"Ein großer, brauner See"

An ein Wunder grenzt, dass es keine Toten gibt. Das Wasser hat auch die Gebäude des Velbrück-Verlags geflutet, ein Buchlager vernichtet, Möbel, Computer und Firmenautos mit einem Schlag unbrauchbar gemacht. Die Kulturscheune des Verlags, wo sonst Lesungen und Konzerte stattfinden, wird Opfer des Wassers. Als am nächsten Morgen eine Drohne aufsteigt, zeigt sie den Ort versunken in einem riesigen, braunen See. Drei Meter hoch steht das Wasser in dem historischen Gebäudeensemble des Wissenschaftsverlags. Leiterin Marietta Thien und Geschäftsführer Andreas von Stedman sind fassungslos: "Alles kaputt!"

Mitgenommen: Verleger Andreas von StedmanBild: Andreas Stedman

Mit Macht kam das Wasser auch andernorts: Besonders schlimm hat es die Wuppertaler Oper im Stadtteil Barmen getroffen. Durch den Starkregen und die schnell ansteigende Wupper drang Wasser in den Orchestergraben des historischen Gebäude, in den Techniktrakt unter der Bühne, in das Instrumentenlager und in das Stimmzimmer des 80-köpfigen Musikerensembles. Schlimmer noch: Wichtige Anlagen wie die Bühnen- und Beleuchtungstechnik, Lüftung, Heizung und die Brandmeldeanlage wurden zerstört. "Vorläufig kann hier keine Vorstellung mehr stattfinden", so Operngeschäftsführer Daniel Sieghaus zur DW. "Nach der langen Corona-Durststrecke ist das ein weiterer schwerer Rückschlag!" Für Künstler ebenso wie für das Publikum.

Ausschreibungen dauern zu lange

Hier wie andernorts geht die Bestandsaufnahme weiter, fahnden Handwerker und Techniker nach Defekten. Die Schadenhöhe nach der Flut ist längst noch nicht bezifferbar. Mit einem "Millionenschaden" rechnet indes Rolf Reuter, Chef der Bühnentechnik. Was Ersatzbeschaffungen erschwert: Öffentliche Betriebe wie die Wuppertaler Oper müssen Käufe und Bauaufträge europaweit ausschreiben. Das kann dauern. Vielleicht sollte der Gesetzgeber über beschleunigte Vergabeverfahren nachdenken? Vorläufig muss die Wuppertaler Oper auf Ersatzspielorte ausweichen - das Theater am Engelsgarten und die Historische Stadthalle.

Vor der Flut: Das Wuppertaler OpernhausBild: GmW der Stadt Wuppertal

Auch vor privaten Kulturinitiativen machten die Wassermassen nicht Halt, wie etwa das Bergische Straßenbahnmuseum in Wuppertal-Kohlfurt. "50 Jahre ist hier nichts passiert", sagt Guido Korff vom Vorstand des Betreibervereins. "Dann kam das Wasser gleich aus zwei Richtungen - von der Wupper und den Berg runter vom Kaltenbach." Binnen Minuten standen Wagenhalle, Sozialgebäude mit Fahrdienstleiterbüro und Verkaufscontainer im Wasser. "Unsere Bahnwaggons blieben zum Glück verschont", so Korff im DW-Gespräch. Damit hielt sich der Schaden mit 50.000 Euro in Grenzen. Woher das Geld kommen soll, wenn nicht aus privaten Spenden oder Fördertöpfen von Land und Bund, weiß auch der Straßenbahnfan derzeit nicht.

Weiter westlich, im rheinischen Stolberg unweit von Aachen, hat es gleich das kulturelle Gedächtnis einer ganzen Stadt erwischt. Das Archiv der Kupferstadt, untergebracht im Historischen Rathaus und im Keller eines Geschäftshauses, wurde Opfer der Fluten. Hunderte alter Bücher, Dokumente und Schriften, das älteste aus dem 17. Jahrhundert, versanken im Wasser der wild gewordenen Vicht. Vieles konnte in einer spektakulären Aktion gerettet werden. "Spezialisten aus Köln sind mit ihren neuen Kulturgutschutz-Container angerückt", sagt Archivar Christian Altena im DW-Gespräch. "Darin werden Dokumente gewaschen und schockgefroren, damit kein Zersetzungsprozess beginnt." Zwei Wochen nach der Flutkatastrophe ist Altena erleichert: "Mit dem Bergen sind wir fertig, heute haben wir die letzte Fuhre ins Kühlhaus verfrachtet."

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Überflutet wurde die historische Kirche St. Kornelius in Kornelimünster bei Aachen. Hier wie in anderen Regionen der nordrhein-westfälischen Heimat von Michelle Müntefering dauert das große Aufräumen an. Die deutsche Staatsministerin für auswärtige Kulturpolitik warb beim Treffen der Kulturminister der G20-Staaten in Rom für Akutmaßnahmen im Katastrophenfall. Ein "rapid response mechanism", ein schnell wirkender Rettungsmechanismus, soll binnen Stunden eine Taskforce aus Experten mit modularer technischer Ausstattung aktivieren, etwa einem Notfall-Labor zur Konservierung durchnässter Schriften. Die Folgen des Klimawandels für die Welterbestätten ist auch Thema bei der diesjährigen Sitzung des Welterbekomittees im chinesischen Fuzhou, wie die Deutsche UNESCO-Kommission auf DW-Anfrage bestätigte.

Zerstörungswerk der Fluten: Das Bücherlager des Buch- und Wissenschaftsverlags Velbrück in MetternichBild: Andreas Stedman

Ein brauner Schleier auf Mauern, Hauswänden und Pflanzen des Verlagsgebäudes verrät noch, wo die Flut der Swist gestanden hat. Was man nicht sieht: Vier Heizungen soffen ab, Strom, Telefon und Internet liegen weiter brach. Ein Bagger musste anrücken, um die Bücherberge des Velbrück-Verlags auf Lastwagen zu hieven. Wie an vielen anderen Unglücksorten fassten Nachbarn, Hilfsorganisationen und reihenweise Freiwillige beim Aufräumen an. "Wir sind überwältigt von der Hilfsbereitschaft!", sagen Marietta Thien und Andreas von Stedman wie aus einem Munde. Aber klar ist auch: Vor dem Paar und ihren Kulturprojekten liegt ein weiter Weg.

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