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Politik

"Ich brauche meine Frau für den Neuanfang"

Richard A. Fuchs
30. Januar 2018

Seit seiner Flucht wartet Ghassan täglich auf Nachricht, ob seine Frau aus dem Libanon nachkommen darf. Mehr als 30 Monate lebt das Paar schon getrennt. Ob sich das ändert, liegt jetzt in den Händen deutscher Politiker.

Geflüchteter Ghassan in der Berliner Caritaseinrichtung Zum Guten Hirten
Bild: DW/R. Fuchs

Zimmer 206 in der Caritas-Gemeinschaftsunterkunft "Zum Guten Hirten" in Berlin ist derzeit Ghassans Welt. Ein Tisch, ein Stuhl und zwei Betten auf knapp 20 Quadratmetern: Hier wartet der 37-jährige Syrer gemeinsam mit einem anderen Geflüchteten darauf, dass über seine Zukunft entschieden wird. "Deutschland ist für mich die Chance auf einen Neuanfang", sagt der Mann mit tiefschwarzen Augenbrauen und einem schüchternen Lächeln. Im Juli 2015 floh er, wie so viele, zu Fuß über die Balkanroute. Drei seiner Brüder haben es auch hierher geschafft, weitere Verwandte leben jetzt in Kuwait. Nur die wichtigste Person in seinem Leben fehlt, sagt Ghassan, und sein schüchternes Lächeln weicht einem nachdenklichen Gesichtsausdruck.

Kommunikation zwischen Deutschland und Libanon nur via WhatsApp

Ghassans 34-jährige Frau lebt nach wie vor in einem Flüchtlingslager im Libanon. Knapp neun Jahre waren sie verheiratet, als beide im Jahr 2013 ins Nachbarland flohen. Zwei Jahre verbrachten sie dort in Flüchtlingscamps, dann brach Ghassan 2015 nach Europa auf, mit dem festen Willen, seine Frau später nachzuholen. Knapp 30 Monate sind seither vergangen, und noch immer ist nicht klar, ob Ghassans Wunsch eines Tages Realität wird. Kommunizieren kann das Paar seit dieser Zeit nur via WhatsApp. Das funktioniert technisch gut, wird aber emotional immer schwieriger, seit deutlich ist, dass seine Frau im Libanon und er in Deutschland feststeckt. "Ich brauche meine Frau für diesen Neuanfang", sagt Ghassan.

Eine WhatsApp-Nachricht voller Hoffnung: Mehrmals täglich kommuniziert der Syrer Ghassan mit seiner Frau im LibanonBild: DW/R. Fuchs

Vor seiner Flucht arbeitete er bei einem Autohändler als Mechaniker, wechselte Reifen und sorgte dafür, dass seine Kunden trotz Wüstenklima vorankamen. Seine Frau war Krankenschwester, bis sie aussetzen musste, um die schwer kranke Mutter zu pflegen. Auf die Frage, wie es ihr jetzt geht, antwortet Ghassan mit einem arabischen Sprichwort. Sie sei "vom Bauch abgeschnitten", was frei übersetzt bedeutet, sie lebe im Flüchtlingscamp völlig isoliert und auf sich alleine gestellt. Aus Angst um ihr Leben möchte Ghassan ihren Namen nicht veröffentlichen.

 "Die deutschen Politiker verstehen nicht, wie schwer es ist, ohne Familie zu leben"

Ghassans größter Wunsch ist es daher, dass seine Frau nachkommen kann. Kinder hat das Paar keine. Sein Antrag liegt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Ob der Antrag bearbeitet wird, kann Ghassan nicht sagen. Und damit steht sein Schicksal für das vieler syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge, denen in Deutschland nur ein eingeschränkter Schutzstatus zugebilligt wird. Seit 2016 wurde der Familiennachzug für diese Gruppe der subsidiär Geschützten ganz ausgesetzt, aus Furcht der politisch Verantwortlichen, es könnte zu weiteren, großen Zuwanderungswellen kommen. An diesem Dienstag einigten sich Union und SPD in den Koalitionsgesprächen auf ein Modell mit Kontingent und Härtefallregeln. 

Über Ghassans Bett in Berlin hängt an der Wand eine alte schwarze Schultafel. Ghassan hat darauf mit weißer Kreide und der krakeligen Handschrift eines Sprachschülers den Satz geschrieben: "Obwohl das Leben schwer ist. Lebe es."

Ghassan lernt Deutsch. Aber er tut sich damit schwer, sagt er, weil die Unsicherheit ihn auffresseBild: DW/R. Fuchs

Während sich eine Mehrheit von 58 Prozent der Deutschen in einer aktuellen Allensbach-Umfrage gegen den Familiennachzug für Menschen wie Ghassan ausspricht, fordern Hilfsorganisationen einen Vorrang für das Familienwohl. Thomas Gleißner ist Sprecher für den Caritasverband des Erzbistums Berlin, dem Träger von Ghassans Gemeinschaftsunterkunft. Gleißner arbeitet nur wenige Türen entfernt und trifft den Geflüchteten regelmäßig im Innenhof des weitläufigen Areals. Sein Credo: "Familien sind ein ganz wesentlicher Integrationsfaktor, und es muss höchste Priorität haben, dass die Menschen zusammen sind, auch wenn sie nicht auf Dauer in Deutschland bleiben."

Er verfolge die Debatte aufmerksam, sagt Ghassan, und lächelt dann traurig. Anfangs habe er sich noch ablenken können, durch Deutsch lernen oder gemeinsame Ausflüge mit anderen Geflüchteten. Zuletzt raubten ihm die Ungewissheit über das Schicksal seiner Frau und seine Schuldgefühle, sie zurückgelassen zu haben, den Schlaf. Immer häufiger greift er deshalb zu Schlaftabletten, erzählt er. Deutschen Politikern hält er bei aller Dankbarkeit für seine Aufnahme vor, eines zu übersehen: "Sie verstehen nicht, wie schwer es ist, ohne Familie zu leben."

Nachdenklich, bisweilen verzweifelt: Hat seine Frau eine Chance nachzukommen? Bild: DW/R. Fuchs

Unterscheidung zwischen vollem und eingeschränktem Schutzstatus sinnvoll?

Ähnlich sah das mancher Sachverständige, der sich am Montag im Deutschen Bundestag zum Familiennachzug für Geflüchtete vor Parlamentariern äußerte. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, appellierte an die politisch Verantwortlichen, nicht auf eine schnelle Rückkehr der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge zu spekulieren: "Syrien wird sich nicht in kurzer Zeit befrieden lassen, weshalb es aus unserer Sicht richtig ist, über Integration zu sprechen." Im Interesse der Geflüchteten ebenso wie im Interesse Deutschlands sei es, sich mit Empathie der Gruppe der Aufnehmenden, wie auch der Gruppe der Geflüchteten zu widmen. Roland Bank, Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Deutschland, bezweifelte, dass man bei Geflüchteten überhaupt eine Unterscheidung zwischen vollem und eingeschränktem Schutzstatus machen könne: "Ob sie kurz oder lang Schutz benötigen - die Schutzbedürftigkeit ist immer die gleiche."

In der Gemeinschaftsunterkunft grübelt Ghassan viel über seinen Platz in der WeltBild: DW/R. Fuchs

Hätte Ghassan diese Diskussion mitverfolgen können, er hätte womöglich wieder Mut geschöpft. Zuletzt hatte er viele Stunden über eine Rückkehr nachgedacht, bis er immer wieder an einer simplen Frage zu verzweifeln drohte: "Wohin?" Seine Heimatstadt ist Abu Kamal, eine syrische Wüstenstadt an der Grenze zum Irak. Es war einer der ersten Orte, an dem die Truppen des syrischen Machthabers Assad im Jahr 2011 Demonstrationen niederknüppelten. Später herrschte hier die Terrormiliz "Islamischer Staat", bevor im November 2017 die syrische Armee das Territorium zurückeroberte. Für Ghassan ist klar, dass er nicht zurück ins Assad-Land kann.

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