Spinnennetze können einiges: sie sind steril und belastbar. Medizinisch gesehen ein Volltreffer. Zukünftig können vielleicht ganze Herzen aus ihnen gedruckt werden.
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Ein aufgeschlagenes Knie, Kinn oder Ellenbogen – das kennt jedes Kind. Die Eltern trösten und kleben ein Pflaster auf die Wunde. Der griechische Philosoph Aristoteles hat dagegen geraten, Spinnnetze auf Wunden zu legen. "Spinnenseide ist in der Natur deshalb so interessant, weil sie bakteriostatisch ist," sagt der Professor für Biomaterialien, Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth.
Gemeinsam mit Kollegen der Universität Erlangen forscht er an der Herstellung von Herzimplantaten aus Seidenproteinen. In einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift "Advanced Functional Materials" zeigten sie jetzt, dass sich künstlich produzierte Spinnenseide aus dem Labor für die Produktion von Herzgewebe eignet.
Spinnenseide ist sehr stabil
Neben der Sterilität haben Spinnennetze noch eine andere Eigenschaft, die sie für die Medizin interessant macht: Spinnenseide ist sechs Mal stärker als hochwertiger Stahl. Nur die Zähne von Napfschnecken sind noch stärker als die Seide von Darwins Rindenspinne. Damit sind Spinnennetze belastbarer als Kevlar, Nylon und alle anderen bekannten Fasermaterialien.
Schon seit den 1980er Jahren will die Pharmaindustrie deshalb Spinnenseide als Werkstoff nutzen. Gescheitert ist sie aber bislang an der Herstellung. Laut Scheibel von der Universität Bayreuth habe die Spinnenzüchtung damals als unwirtschaftlich gegolten. Zudem liefer Spinnen in Gefangenschaft nur eine geringere Seidenqualität.
Für die mechanischen Eigenschaften von Spinnenseide sind die darin enthaltenen Proteine verantwortlich. Deshalb reicht es, diese in großen Mengen zu produzieren. Dabei gab es lange Zeit ein Problem: Bereits durch einen kleinen Stoß von außen lagern sich die Proteine zusammen. "Das ist essenziell für die Spinnprozess in der Natur", erklärt Scheibel. "Beim Rühren und Reinigen ist das eher hinderlich".
Der Professor veränderte mittels "Protein engineering" die Proteine aus der Dragline-Seide der Gartenkreuzspinne und entwickelte einen besonderen Reinigungs- und Spinnprozess. Im Gegensatz zu synthetischen Polymeren ist der biologische Werkstoff komplett recycelbar. "In der Natur frisst die Spinne ihre Netze auf", sagt Scheibel. Ansonsten halten Spinnennetze bis zu 500 Jahren. "Spinnennetze halten ewig," sagt Scheibel.
Außerdem ist Spinnenseide ein gutes Material für 3-D-Drucke. Sie eignen sich als Biotinte, mit der gewebeähnliche Strukturen gedruckt werden können. Die dabei verwendeten lebenden Zellen von Menschen oder Tieren bleiben in der Regel funktionstüchtig. Deshalb haben sich die Materialwissenschaftler und die Experten für experimentelle Nieren- und Kreislaufforschung der Universität Erlangen zusammengetan.
Sie wollen jetzt 3-D-Strukturen in-vivo in Tierversuchen unter die Haut pflanzen, sagte Professor Felix Engel von der Universität Erlangen der Deutschen Welle. "Das ist der Plan für die nächsten vier Jahre. Nochmal darauf in vier Jahren wollen wir dann Herzgewebe-Transplantationen aus Spinnenproteinen in Tiere einpflanzen." Vorausgesetzt die Forscher bekommen Gelder dafür.
Tierversuche bei Brustimplantaten waren erfolgreich
Eine Anwendung die bereits in Tierversuchen funktioniert hat, ist die Beschichtung von Brustimplantaten aus Silikon mit Seidenproteinen. Philip Zeplin, Facharzt für Plastische Chirurgie an der Schlosspark Klinik Ludwigsburg sagt: "Silikon wird vom Körper nicht so gut akzeptiert." Bei rund zehn Prozent der Patienten reagiert der Körper mit Abstoßungsreaktionen, bei Brustkrebspatientinnen sind es sogar 26 Prozent. Seidenproteine sind für den Körper verträglicher. Zukünftig, glaubt Zeplin, könne die Methode auch für Implantate wie Gefäßprothesen, Dialysekatheter oder Herzklappen eingesetzt werden.
3-D-Druck hilft Mensch und Tier
Bauteile aus dem 3-D-Drucker sind längst auch in der Medizin angekommen. Einiges wird schneller in der Tiermedizin umgesetzt als am Menschen - weil hier die Genehmigungsverfahren nicht so kompliziert sind.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Schulze
Mit dem zweiten Bein steht es sich besser
Im Weltvogelpark im niedersächsischen Walsrode hat Sekretär Söckchen einen neuen Unterschenkel bekommen. Die Vogeldame hatte sich ein Bein gebrochen. Weil die Nervenbahnen durchtrennt waren, musste das Bein amputiert werden, meldete der Vogelpark. Mit einem Ersatzbein aus dem 3-D-Drucker kann Söckchen jetzt wieder laufen. Söckchen ist knapp drei Jahre alt und rund 120 Zentimeter groß.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Schulze
Operation geglückt
Die Welt für den Tukan Grecia ist fast wieder in Ordnung. Nach knapp einem Jahr intensiver Bemühungen haben Veterinärmediziner des Tierparks Zoo Ave bei San José in Costa Rica dem Vogel einen neuen Schnabel verpasst. Das Besondere daran: Der Schnabel stammt aus dem 3-D-Drucker und wurde passgenau für Grecia gefertigt.
Bild: picture-alliance/dpa/Rescate Animal Zoo Ave/H. A. Rivera
Schnabelprothese
Der Tukan war Ende 2014 von Jugendlichen schwer misshandelt worden. Um den neuen Schnabel zu entwerfen, wurde zunächst der Schädel des Tieres in einem Computertomographen eingescannt. Danach entwickelten die Ärzte am Computer ein passgenaues Modell, dass später angebracht wurde.
Bild: Getty Images/AFP/Ezequiel Becerra
Ein Rollstuhl für Luisa
Medizinische Ersatzteile aus dem 3-D-Drucker sind längst keine Ausnahme mehr. Auch Tiere können davon profitieren. Diese ehemalige Straßenhündin aus Italien verlor bei einem Unfall ihre Vorderbeine. Damit sie nicht immer auf die Schnauze plumpst, hat ihre neue Familie bei Ravensburg ihr einen Spezialrollstuhl mit 3-D-Prothese gebaut.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Kästle
Brustschale aus dem Drucker
Luisa lebt bei Manuel Tosché und seiner Partnerin Petra Rapp. Die beiden betreiben eine Entwicklungsfirma für 3-D-Drucker. Die mit weichem Plüsch überzogene Brustschale ist eine Entwicklung des Sohnes und seiner Freundin. Sollte Luisa noch wachsen, kann eine größere Brustschale ausgedruckt werden.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Kästle
Neue Hand dank 3-D-Drucker
Auch Menschen hilft die Drucktechnik: Der sechsjährige Maxence aus Frankreich hat eine Handprothese aus einem 3-D-Drucker bekommen. Er kam ohne rechte Hand zur Welt. Die orange-gelb-blaue Prothese kostete unter 50 Euro in der Herstellung.
Bild: J. Pachoud/AFP/Getty Images
Ersatz für die Schädelplatte
Hier sind sowohl der Kunststoffschädel als auch die Titan-Schädelplatte durch den 3-D-Druck entstanden. Vorlage war eine CT-Aufnahme - also eine dreidimensionale Röntgenaufnahme - des Patienten. So konnte die Schädelplatte feiner als auf einen Zehntelmillimeter genau angepasst werden.
Bild: DW/F. Schmidt
Knochen, der nachwächst
Dieses Implantat wurde in einem ähnlichen Verfahren aus Hydroxylapatit-Pulver hergestellt. Der Ersatzknochen - entwickelt am Foschungszentrum Caesar - verwächst mit der Zeit mit dem wirklichen Knochen. Nach und nach bildet sich echtes Knochenmaterial, während das Implantat langsam verschwindet.
Bild: caesar/3mat
Individualisierte Medizin für jedermann
Längst hat der 3D-Druck in der Zahnmedizin Einzug gehalten. Die Zeiten, als Zahnärzte aufwendig und kompliziert Abdrücke direkt vom Gebiss des Patienten nehmen mussten, sind längst vorbei. Heute wird das Gebiss im CT dreidimensional vermessen, die elektronischen Daten gehen ans Labor und der passende Zahnersatz kommt wenige Tage später von einem Spezialhersteller.
Bild: DW/F. Schmidt
Knochenkrebs durch Modell erkennen
Hier wurde das Modell eines von Krebs zersetzten Knochens an der Universität Duisburg ausgedruckt und aufgeschnitten. Solche Modelle können einerseits in der medizinischen Aus- und Fortbildung zum Einsatz kommen, andererseits können sie auch Ärzten helfen, Operationen vorzubereiten.
Bild: DW/F.Schmidt
Schwieriger bei weichen Organen
Bisher fällt es Medizinern jedoch schwer, den 3-D-Druck bei beweglichen Körperteilen zu nutzen, wie bei diesem Herz. Zwar ist es möglich, eine computertomographische Aufnahme des Herzens mit all seinen Verästelungen anzufertigen und dann auch das Ergebnis auszudrucken, aber das taugt höchstens als Präsentation im Unterricht .
Bild: DW/F.Schmidt
Gedrucktes Zellmaterial
Am Inserm-Institut bei Bordeaux wird seit 2005 mit gedruckten Zellstrukturen geforscht. Das Ganze nennt sich "Bioprinting". 10.000 Tröpfchen pro Sekunde kann ein solcher Zell-Drucker liefern. Bisher kann der Drucker menschliche Zellen reproduzieren, etwa als Probenmaterial - um Tierversuche zu vermeiden.
Bild: Reuters/R. Duvignau
Zellen für bestimmte Patienten
Als nächstes Ziel hat sich Inserm die Entwicklung individualisierter Zellstrukturen gesetzt. Damit könnten also für einen einzelnen Patienten genau die Zellen geliefert werden, die er braucht und die der Körper auch nicht abstößt. Später hoffen die Erfinder, implantierbare Zellstrukturen - etwa Organe oder zumindest Teile davon - herstellen zu können.