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PolitikAsien

Hohe Hürden für Ausreise aus Afghanistan

14. Juni 2022

Für viele frühere Ortskräfte Deutschlands ist die Ausreise aus Afghanistan versperrt. Ein Grund ist der schwierige Zugang zu einem Reisepass.

Konflikt in Afghanistan - Ortskräfte in Brandenburg agekommen
Ankunft afghanischer Ortskräfte in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Brandenburg Bild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/picture alliance

Das Schicksal vieler ehemaliger Ortkräfte deutscher Organisationen in Afghanistan ist weiter ungewiss. Hunderte warteten weiterhin auf ihre Ausreise, teilte das Patenschafts-Netzwerk Afghanische Ortskräfte e.V. mit. Neben den Ortskräften und ihren Familien befänden sich unter ihnen auch Beschäftigte von Subunternehmern, die im Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan tätig waren. Hinzu kämen Hunderte Menschen, die bis 2013, aber danach nicht mehr, Ortskräfte der Bundeswehr waren und damit nicht zum Kreis der Aufnahmeberechtigten in Deutschland gehören.

Große Nachfrage nach Reisepässen in Kabul im Oktober 2021Bild: Jorge Silva/Reuters

Viele Ortskräfte hätten zwar eine Aufnahmezusage der deutschen Regierung, seien aber nicht im Besitz eines Reisepasses, sagt Qais Nekzai vom Patenschafts-Netzwerk im DW-Interview. Bislang habe das Netzwerk 330 Betroffene die Ausreise ermöglichen können. "Wir erhalten keinerlei Unterstützung durch die Regierung. Wir sind auf Spenden angewiesen. Das reicht aber nicht, um alle zu retten, die wir retten könnten." Auf sich selbst gestellt hätten die meisten ehemaligen Ortskräfte kaum eine Chance, nach Deutschland zu kommen.

Unerschwingliche Reisepässe

In Afghanistan gebe es zwei Möglichkeiten, einen Reisepass zu erhalten, sagt Nekzai, der selbst viele Jahre als Ortskraft für die Bundeswehr gearbeitet hat und 2014 nach Deutschland kam. Die erste Möglichkeit sei die, offiziell einen Pass zu beantragen. Die sei den ehemaligen Ortskräften seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 aber verbaut. Die zweite Möglichkeit bestehe darin, einen Pass auf dem Schwarzmarkt zu erwerben. Das sei aufgrund der dort üblichen Preise für viele Betroffene aber ebenfalls nicht möglich.

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 engagiert sich die Zivilgesellschaft für die früheren Ortskräfte Bild: Ben Kriemann/Geisler/picture alliance

Wegen der hohe Schwarzmarktpreis kommt auch Mustafa (der vollständige Name ist der Redaktion bekannt) nicht an einen Reisepass. Mustafa hat für die Bundeswehr in Masar-i-Scharif gearbeitet. Nach der Flucht von dort lebt er nun in einem Versteck in Kabul. Er habe zwar eine Aufnahmezusage für Deutschland, aber keinen Reisepass. "Durch die Behörden kann ich mir den Pass nicht ausstellen lassen", sagt Mustafa im Gespräch mit der DW. Denn dieser werde auf Grundlage biometrischer Daten erstellt. "Darum habe ich Angst, dass man darüber meine Identität als ehemalige Ortskraft entdeckt. Das wäre dann der letzte Tag meines Lebens, da bin ich sicher."

So bleibt ihm nur der Schwarzmarkt. "Dort kostet ein Reisepass zwischen 700 und 800 Dollar. Als vierköpfige Familie brauchen wir vier Pässe. Die kann ich aber nicht bezahlen. Außerdem dauert es mindestens vier bis fünf Monate, bis man den Pass dann tatsächlich in den Händen hält."

Außenministerin Baerbock zu Gesprächen bei ihrem pakistanischen Kollegen Bilawal Bhutto ZardariBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Diese Situation sei überaus belastend, sagt Mustafa. "Wir alle verstecken uns. Ich verlasse das Haus nicht, die Kinder gehen nicht zur Schule. Es ist eine sehr, sehr schwierige Situation. Die Taliban verfolgen alle, die für die internationalen Streitkräfte ISAF gearbeitet haben, insbesondere die Dolmetscher."

Kooperation mit Pakistan

Bis vor einiger Zeit hatten die Ortskräfte noch über Pakistan und andere Länder ausreisen können. Die deutschen Auslandsvertretungen hätten seit der Machtübernahme der Taliban rund 19.000 Visa für Ortskräfte und besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sowie deren Familienangehörigen, denen eine Aufnahme von der Bundesregierung zugesagt wurde, ausgestellt, teilte das Auswärtige Amt (AA) auf Anfrage der DW mit. Insgesamt seien rund 21.000 besondere gefährdete Personen, denen die Aufnahme zugesagt wurde, nach Deutschland gereist, so das AA. Neben Pakistan stehe das AA mit weiteren Ländern in Kontakt, um möglichst zeitnah zusätzliche Ausreiserouten für Afghaninnen und Afghanen zu eröffnen. Zudem unterstütze man die Personen mit Aufnahmezusage auf vielerlei Wege, etwa durch die Bereitstellung von Unterkunft, Verpflegung und Flugtickets bzw. Plätzen auf Charterflügen nach Deutschland.

Neue Uniformen für die Polizei. Die ehemaligen Ortskräfte sagen: Die Taliban haben sich nicht verändert.Bild: Ali Khara/REUTERS

Das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass es im Frühjahr 2022 gelungen sei, mit einem Sonderverfahren gut 5000 Personen, die nicht im Besitz von afghanischen Reisepässen waren, die Ausreise über Pakistan zu ermöglichen. Außenministerin Annalena Baerbock habe im Rahmen ihrer Reise nach Pakistan am Dienstag vergangener Woche auch mit ihrem pakistanischen Amtskollegen darüber gesprochen, ob Pakistan das damalige Verfahren für weitere Ortskräfte, die nicht im Besitz eines Reisepasses sind, erneut ermöglichen kann.

"Möglichst nicht auffallen"

Für die noch in Afghanistan ausharrenden Ortskräfte sei aber bereits die Ausreise nach Pakistan nahezu unmöglich, sagt Qais Nekzai vom Patenschafts-Netzwerk Afghanische Ortskräfte. "Für die Einreise ist ein Visum nötig. Das wird aber oftmals abgelehnt. Darum muss man sich an Vermittlungsagenturen wenden, die sich ihre Dienste teuer bezahlen lassen. Pro Visum sind dann vier-, fünfhundert Dollar fällig. Das können viele ehemalige Ortkräfte ebenso wenig bezahlen wie einen Reisepass auf dem Schwarzmarkt."

Für den ehemaligen Ortshelfer Mustafa, der sich nun in Kabul versteckt, ist seine derzeitige Situation unerträglich. Jeden Tag fürchtet er um sein Leben und das seiner Familie. "Die Taliban haben sich nicht verändert", sagt er im Gespräch mit der DW. "Nach außen geben sie sich gemäßigt, um international akzeptiert zu werden. Aber in Wirklichkeit sind sie genauso wie vor 20 Jahren. Wenn sie jemanden finden, der für die ISAF gearbeitet hat, werden sie ihn töten. Das gilt auch für mich."

Kontrollen der Taliban im Kabuler Straßenverkehr Bild: Ali Khara/REUTERS

Entsprechend verzweifelt seien auch die Gespräche, die er mit Betroffenen führe, sagt Qais Nekzai von Patenschaftsnetzwerk. "Ich erhalte ständig Anrufe und Sprachnachrichten von ehemaligen Ortskräften. Sie halten sich versteckt. Niemand von ihnen kann seine wahre Identität preisgeben. Wenn sie das Haus verlassen müssen, geben sie sich als ganz normale Afghanen und hoffen, dass sie in der Menge nicht auffallen. All das kostet die Betroffenen enorme Kraft. Die Menschen sind bis zum Äußersten belastet, oft brechen sie beim Gespräch in Tränen aus und sagen, sie könnten die Situation kaum mehr ertragen."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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