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Politik

Christian Schmidt: Ich setze auf die junge Generation!

30. Juli 2021

Am 1. August tritt der deutsche Politiker Christian Schmidt das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina an. Er will das Land näher an die EU heranführen und den Braindrain der jungen Leute stoppen.

Christian Schmidt
Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien und HerzegowinaBild: DW

Christian Schmidt: Ein Verhältnis auf Augenhöhe

11:05

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DW: Herr Schmidt, am 1. August treten Sie das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina in Sarajevo an, in einer Zeit, in der es dem Land vielleicht schlechter denn je geht, die jungen Leute das Land verlassen, die politische Situation schwierig ist und das Amt in den letzten Jahren durch Ihre Vorgänger sehr geschwächt wurde. Was setzen Sie dem entgegen? 

Ich denke, wir müssen drei Punkte klar machen. Zuerst als Vorwarnung: Ich komme als Politiker, nicht als Diplomat. Da mag mancher Satz nicht ganz diplomatisch abgeschliffen sein, sondern deutlich, was ich erwarte. Wir müssten zum Ersten klar machen: Die in den letzten Jahren verfolgte Idee, Gebietsverschiebungen wären eine Form der Lösung oder Beruhigung von potentiellen Konflikten im Westbalkan, ist nicht tragfähig. Man tauscht immer nur eine Minderheit durch eine andere Minderheit aus. Deswegen bleibt die territoriale Integrität der Staaten im Westbalkan unabdingbar. Das Zweite ist die Frage: Wie kann die Funktionalität des Staates in einem Land, das so groß ist wie Niedersachsen, weniger Einwohner hat als Berlin, aber über 137 Ministerien verfügt - wie kann da besseres Regieren erreicht werden? Wo kann man ermutigen? Wo muss man auch vereinfachen? Und das Dritte: Wenn es zutrifft - die Zahlen liegen mir soweit vor - dass 70 Prozent der jungen Menschen aus Bosnien-Herzegowina lieber woanders hingehen, um ihre Zukunft zu suchen, dann ist das nicht gut. Wir müssen den Blick auf die junge Generation setzen, die EU, der Hohe Repräsentant und alle miteinander. Denn nur auf die ergrauten Herren zu setzen, das wird nicht ausreichen. Ich setze auf die junge Generation!

Bewohner Sarajevos bringen sich vor Heckenschützen in Sicherheit (18.12.1994)Bild: picture-alliance/ dpa

Nun sind Ihnen schon eigentlich zum Antritt in gewisser Weise die Hände gebunden. Der Start ist erschwert dadurch, dass Russland die Legitimität Ihrer Ernennung in Frage stellt. Auch Milorad Dodik von der Republika Srpska stellt die Zusammenarbeit zumindest erst einmal nicht in Aussicht. Wie wollen Sie diese Kräfte einbinden? Oder wie wollen Sie sich diesen Widerständen widersetzen, damit Ihr Amt nicht gleich zum Scheitern verurteilt ist?

Ich bin Politiker seit 30 Jahren - und mit Widersprüchen und mit Opposition oder anderen Meinungen gewohnt, zu arbeiten und umzugehen. Und da würde ich mal sagen: Bei allen, die da versuchen, sich jetzt zu positionieren, vielleicht auch ihr Mütchen kühlen wollen - ich bin relativ erfahren und hab schon manches erlebt! Und das wird sicher auch dazu führen, dass ich den Willen, einen Beitrag zu leisten für Bosnien-Herzegowina nicht aufgebe, sondern dass das für mich eher eine Aufforderung ist, mit allen zu reden. 

Die jüngste Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Russland ist am 23.07.2021 im Weltsicherheitsrat mit einem Antrag gegen das Amt des HR gescheitert - Anm. d. Red.) bedeutet eine Stärkung der Position des Hohen Repräsentanten und seiner Kompetenzen. Das gibt mir eine gute Grundlage, nach meinem Amtsantritt mein Verständnis der Aufgabe des Hohen Repräsentanten auf der Grundlage der Kompetenzen, die mir die internationale Gemeinschaft übertragen hat, umzusetzen.

Ich werde aber nie die Rolle spielen, dass ich für jemandes Interesse da bin. Ich muss für alle gleichermaßen da sein. Das gilt auch für die Serben. Auch die Serben haben Schicksale in dieser Region zu ertragen, zu erleben gehabt, die schlimm waren. Und manches ist deswegen auch nicht einseitig zu sehen. Alle Themen und alle Ethnien, das heißt diejenigen, die eben nicht Kroaten, nicht Bosniaken, nicht Serben sind, z.B. die jüdisch sind oder andere Richtungen - um die muss ich mich auch kümmern. Und deswegen - Gelassenheit all denen, die jetzt da unterwegs sind.

Russland und China haben im Weltsicherheitsrat angekündigt, weiterhin die Befugnisse des Hohen Repräsentanten schwächen zu wollen und eventuell im nächsten Jahr das Amt auslaufen zu lassen. Wie wollen Sie dem entgegenwirken? 

Bei allem Respekt, das kann nicht einmal der Weltsicherheitsrat, das können nur die Signatar-Staaten des Dayton-Friedensvertrags. Die Kraft, die ich schöpfe, kommt nicht nur aus der gemeinsamen europäischen Ausrichtung, sondern daraus, dass die Vereinigten Staaten von Amerika wieder zurück sind und mit einem Commitment für den Westbalkan aufwarten können. Ich schätze die Arbeit von Präsident Biden schon seit Jahren, fast seit Jahrzehnten, in dieser langen Zeit, in der wir uns kennen… Und dann denke ich, dass wir doch eine ganz gute Ausgangsposition haben. Auch, dass ich dem Sicherheitsrat berichten kann und dass er eher die Arbeit dann beendet, wenn sie nicht mehr notwendig ist, beispielsweise, wenn Bosnien-Herzegowina Mitglied der Europäischen Union ist.

Dayton, 21.11.1995: Die Präsidenten Serbiens, Bosniens und Kroatiens (v. l.: Slobodan Milosevic, Alija Izetbegovic und Franjo Tudjman) mit US-Außenminister Warren ChristopherBild: picture-alliance/dpa/J. Ruthroff

Sie haben aber als Hoher Repräsentant auch die berühmten "Bonn Powers", mit denen Sie auch durchgreifen können, wenn es darum geht, nationalistische Äußerungen und andere Vorgehensweisen, die dem Dayton-Abkommen zuwiderlaufen, einzufordern. Wird es dazu kommen?

Wartet mal ab und seht! Ich will nur eines ganz klar sagen: Ich habe dieses Land seit 1992 begleitet. Nicht dort lebend, aber sehr häufig da seiend, in schwierigen Zeiten und jetzt auch in doch dankenswerterweise friedlichen Zeiten. Und ich komme aus einem Land, das gelernt hat, auch mit den Verfehlungen der Vorgängergenerationen umzugehen. Und ich kann nur jedem den guten Rat geben, wenn er tagsüber früh in den Spiegel schauen möchte, dann reicht es nicht, von sich selbst wegzuschauen und zu tun, als ob nichts gewesen wäre. Sondern man muss diese Dinge ansprechen! Und dann wird man sehen, wo die Möglichkeiten und auch die Verpflichtungen des Hohen Repräsentanten sind, diesem Denken auch ein Stück Bahn zu geben.

Sie sprechen das Thema Vergangenheit an. Ein großes Thema ist natürlich der Völkermord und - im Moment gerade aktuell - das vom scheidenden Hohen Repräsentanten Valentin Inzko durchgesetzte Gesetz gegen Genozidleugnung. Gerade aus Deutschland kennen wir ja die Debatte und haben dafür auch eine klare Lösung gefunden. Wie stehen Sie dazu?

Wenn ich die Richtlinie der Europäischen Union richtig lese, dann fordert die Europäische Union genau solch eine Gesetzgebung, die übrigens Ethnie-neutral ist. Da geht es nicht darum, war einer Kroate oder war einer Serbe, sondern hat er etwas getan, was schuldträchtig ist. Wenn ich das sehe, dann wird sowieso auf dem Weg nach Europa - nicht nur vom Hohen Repräsentanten - diese Frage auch wieder gestellt. Die kann man nicht vom Tisch wegwischen. Dann wollen wir mal sehen, wohin sich das entwickelt. Mir liegt nur eines: Auch wenn man meint, man könne allein mit solch einem Gesetz die Gesellschaft verändern, dann geht man falsch. Man muss viel mehr auch in der Information, auch in der Betrachtung der ethnischen Narrative herangehen, und da sehe ich als Verbündeten in der Arbeit die junge Generation, die gegenwärtig indoktriniert wird - zum Teil in einer nicht akzeptablen Art und Weise.

Sie sind der zweite deutsche Hohe Repräsentant. Spricht das für ein verstärktes deutsches Engagement in Bosnien-Herzegowina? Bringen Sie auch weitere deutsche Unterstützung, deutsches Engagement mit, das über Ihre Person hinausgeht?

Dezidiert! Ich werde nicht nur mit einem gewissen Stab und mit Sachverständigen auch aus unserem Lande dabei sein. Ich denke, auch die Bundesregierung wird sich verstärkt engagieren. Man darf das durchaus in einer gewissen politischen Verbindung zum Berlin-Prozess sehen. Die Bundeskanzlerin, die mich ja für dieses Amt, wenn ich sagen darf, geworben hat, hat die klare Vorstellung, dass wir mit konkreten Maßnahmen - seien es die europäische regionale Wirtschaftskooperation oder andere Fragen - die Region voranbringen müssen. Und das Signal soll sein: Wir sind da! Wir unterstützen euch! Wir sehen für euch Mit-Europäer genauso die Verantwortung, die ihr auch für uns seht. 

Westbalkan-Konferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin (28.08.2014)Bild: John Macdougall/dpa/picture alliance

Ich darf bei der Gelegenheit sagen, ich fand es außerordentlich nobel und respektabel, dass die Regierung der Föderation (Anm. d. Red.: die mehrheitlich von Bosniaken und Kroaten bevölkerte Entität Bosnien-Herzegowina) der Bundesrepublik Deutschland Unterstützung bei den katastrophalen Folgen der Flutkatastrophe angeboten hat. Es ist nicht ein paternalistisches Verhältnis, sondern es ist ein Verhältnis auf Augenhöhe, das wir erreichen wollen. Dafür sind die Deutschen bekannt, dass sie sich in diese Richtung ausrichten. Und ich bin der Kanzlerin sehr dankbar und hoffe, dass der Berlin-Prozess auch fortgeführt wird, denn da ist auch noch einiges zu arbeiten!

Wenn Sie am Ende Ihres Mandats zurückblicken, was möchten Sie erreicht haben? 

Ich möchte, dass der Braindrain (aufhört), dass die gut ausgebildeten jungen Leute eine Möglichkeit sehen, nicht einmal vom Finanziellen her, sondern von den Lebens- und Rahmenbedingungen, dass sie sich dort entwickeln können. Dass Bosnien-Herzegowina das, was manchmal als Nachteil gesehen wird, die ethnische Unterschiedlichkeit, hier zum Vorteil gerät. Und dass sie ökonomisch vorankommt, wissenschaftlich und kulturell. Wenn wir da ein Stück dazu beigetragen haben, wenn man sagen kann - jetzt ist es so, dass Ownership so verstanden und gehandelt wird, und nicht, dass für manche Ownership heißt, in die eigenen Taschen zu sehen, sondern die Belange des Staates und der Bürgerinnen und Bürger, dann wäre ich zufrieden. 

Herzlichen Dank!

Der Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen für Bosnien und Herzegowina ist für die Überwachung des Friedensabkommens von Dayton verantwortlich. Christian Schmidt, CSU, ehem. Bundesagrarminister (2014-2018), seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestags, ist der zweite deutsche Politiker, der das Amt antritt. 2006-2007 hatte Christian Schwarz-Schilling, CDU, ehem. Bundespostminister, das Amt inne.

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