Nach der Eskalation der Spannungen zwischen dem Iran und den USA wird die Pressefreiheit weitgehend eingeschränkt. Kritische Journalisten und Verlage werden systematisch verfolgt, vom Amts wegen.
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"Ich weiß, dass viele Journalisten in den letzten Wochen von den Sicherheitsbehörden vorgeladen wurden", sagt Amir Hossein Miresmaili im Gespräch mit der DW, "die Botschaft der Behörden: Passt auf eure Äußerungen in den sozialen Netzwerken auf!"
Miresmaili war ein aktiver Journalist. Er schrieb für die staatliche Wirtschaftszeitung "Jahan Sanaat", arbeitete investigativ und twitterte. Der Kurznachrichtendienst Twitter ist im Iran zwar wie Facebook gesperrt, aber über das virtuelle private Netzwerk (VPN) ist der Dienst bei der jungen Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von rund 30 Jahren sehr beliebt.
Dass er mit seinen Tweets Probleme bekommen kann, weiß er seit April 2018. Ein schiitischer Imam fühlte sich durch seine Äußerung beleidigt. Die Folge: knapp vier Wochen Haft. Aber er tut es wieder.
"Verletzung der religiösen Gefühle"
Im Juli 2018 bringt Miresmaili einen Skandal bei der staatlichen Wohltätigkeitsorganisation ans Tagelicht. Diese hatte laut seiner Recherche Spendengelder für Notleidende im Iran an Palästinenser in Gaza geschickt, während 50 Prozent der Bevölkerung im Lande unter der Armutsgrenze leben.
Weniger Tage später erfolgt die Festnahme. Nur auf Kaution kommt Miresmaili wieder frei. Ein Gericht verurteilt ihn wegen "Verletzung der religiösen Gefühle" zu zehn Jahre Haft. Doch bevor das Urteil vollzogen werden kann, flüchtet er in die benachbarte Türkei.
Im Mai 2018 Jahr hatte US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufgekündigt und eine "Kampagne maximalen Drucks" gestartet. Die Folgen der Sanktionen spüren auch die Menschen: hohe Arbeitslosigkeit, steigende Preise. "Wer das thematisiert, lebt gefährlich", sagt Miresmaili.
Spionageabwehr der Mullahs
Im Iran droht Spionen die Todesstrafe. Am vergangenen Samstag wurde ein mutmaßlicher US-Spion gehängt. Viele Todesurteile und Hinrichtungen im Lande sind politisch motiviert.
Bild: FARS
Zerschlagung eines "Spionagenetzwerks"
Nur wenige Tage nachdem der Iran die Zerschlagung eines "neuen Spionagenetzwerks" mit Verbindungen zum US-Auslandsgeheimdienst CIA gemeldet hatte, wurde die Hinrichtung eines Spions im Gefängnis Rajai Shahr (Bild) bestätigt. Seyyed Jamal Haji Zavareh war nach offiziellen Meldungen ein pensionierter Mitarbeiter der Luft- und Raumfahrtabteilung im Teheraner Verteidigungsministerium.
Bild: hra-news.org
Seit September 2017 in Haft
Menschenrechtsaktivisten berichten hingegen, dass der 47-jährige Zavareh Mitarbeiter der Luftwaffe der iranischen Revolutionsgarde (Bild) gewesen sei. Er soll bereits im September 2017 verhaftet und lange Zeit schwer gefoltert worden sein.
Bild: Imago/ZUMA Press
Mossad ist aktiv
Federführend bei der Spionageabwehr ist die Revolutionsgarde (Sepah). Diese hat aber offenbar mit Verrätern in den eigenen Reihen zu kämpfen. Im Mai 2018 präsentierte Israels Premier Netanjahu (Bild) Details über das iranische Atomprogramm. Zuvor gelang es dem israelischen Geheimdienst Mossad, mehr als 55.000 Seiten geheimdienstliche Dokumente in Teheran zu entwenden.
Bild: Reuters/A. Cohen
Aktion mit Insiderwissen
Die Mossad-Agenten sollen mit speziellen Schneidbrennern mehrere Schließfächer in einer Lagerhalle geöffnet haben. Ohne Insiderwissen wäre die Ortung der Dokumente nicht möglich gewesen. Bis heute wurde der Fall nicht aufgeklärt. Auf der UN-Vollversammlung 2018 nutzte Netanjahu (Bild) diese Informationen.
Bild: Getty Images/AFP/T. A. Clary
Umweltaktivisten als Sündenbock
Die Revolutionsgarde verhaftete dagegen acht Umweltaktivisten (Bild), die im Umfeld der Lagerhalle in der Wüste gesehen worden sein sollen. Wegen Spionage sitzen sie seit Jahren in Untersuchungshaft. Doch die iranische Regierung sagt, dass die Beweise fehlen. Das Ermittlungsverfahren konnte nicht eingeleitet werden.
Undercover für USA und Israel
Die vermeintlichen Beweise gegen Kourosh Ahmadi (Bild) genügten der Regierung offensichtlich. 2013 wurde Ahmadi mit seinem Komplizen Mohammad Heydari hingerichtet. Es wurde berichtet, dass Kourosh Ahmadi der CIA Informationen zur Verfügung gestellt haben soll. Heydari hätte dagegen "Dokumente über die Sicherheitsfragen und Staatsgeheimnisse" an israelische Mossad-Agenten weitergegeben.
Bild: Youtube
Zusammenarbeit mit Mossad
Auch Ali Ashtari (Bild) soll Insiderwissen gehabt haben. Der Geschäftsmann hatte Zugang zu Sicherheitskreisen in der Revolutionsgarde. Der 43-Jährige verkaufte Kommunikations- und Sicherheitsausrüstung an die Revolutionsgarde. Nachdem er nach Auffassung des Gerichts drei Jahre lang mit dem Mossad zusammengearbeitet hatte, wurde er 2008 wegen Spionage hingerichtet.
Bild: FARS
Auch Atomforscher soll spioniert haben
Zugang zu "vertraulichen Informationen" soll auch Shahram Amiri (4. v. l.) gehabt haben. Der iranische Atomforscher wurde wegen Spionage für die USA im August 2016 hingerichtet. Der Iran wirft den USA vor, den Atomphysiker auf einer Pilgerreise entführt zu haben. Die CIA hätte ihn abgeworben. Die USA stritten das jedoch ab. Weitere Einzelheiten dazu gibt es nicht.
Bild: AP
Freilassung aus Mangel an Beweisen
Gegen Nizar Zakka (Bild) wurden nie Beweise über die vermeintliche Spionage für den Erzfeind USA vorgelegt. Der US-Libanese wurde 2015 nach der Teilnahme an einer politischen Veranstaltung in Teheran verhaftet. Die schiitische Hisbollah in Libanon stellte einen Antrag auf Freilassung, dem der Iran im Juni 2019 zugestimmt hat.
Bild: picture-alliance/H. Malla
Geste an Washington?
Die schiitische Miliz Hisbollah (Bild) gilt als Verbündete der iranischen Revolutionsgarde. Der Internetaktivist Zakka betrieb eine nichtkommerzielle Organisation und beriet auch die Regierung in Washington. Seine Freilassung in einer Zeit steigender Spannungen zwischen dem Iran und den USA wurde von der Presse als Geste an Washington gedeutet.
Bild: picture-alliance/AA
Journalist als Geisel
Auch die Festnahme von Jason Rezaian, dem amerikanisch-iranischen Korrespondenten der "Washington Post", war offenbar politisch motiviert. Wegen "Spionage" saß er seit 2014 für 18 Monate im Gefängnis. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Atomverhandlungen wurde er im Januar 2016 freigelassen. Später hat Rezaian den Iran verklagt. Er sei als Geisel gehalten und psychologisch gefoltert worden.
Bild: Reuters/Zoeann Murphy/The Washington Post
"Umsturz des Regimes" durch Ausbildung
Die 41-jährige Nazanin Zaghari-Ratcliffe, Mitarbeiterin der englischen Journalistenstiftung von Thomson Reuters, wurde 2016 bei einer Reise im Iran verhaftet. Die Justiz glaubt, Zaghari-Ratcliffe habe durch die Journalistenausbildung einen Umsturz der Regierung geplant. Sie selbst bestreitet das. Da Gericht verurteilte sie zu fünf Jahren Haft.
Bild: Iran-Emrooz/HRANA
Mahnwache in London
Ihr Ehemann Richard Ratcliffe, ein britischer Staatsbürger, sagte im DW-Interview, die Revolutionsgarde hätte ihm regelmäßig Signale übermittelt, die klar zeigen, dass das Urteil gegen seine Frau politischer Natur sei. Ratcliffe ist vor zwei Wochen in Hungerstreik getreten und hält regelmäßig Mahnwache vor der iranischen Botschaft in London.
Bild: Imago Images/ZUMA Press/D. Haria
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Einschüchterung
Das Schicksal von Miresmaili teilen viele Journalisten im Iran. Marzieh Amiri zum Beispiel sitzt in der Abteilung 209 des berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Hier werden "Staatsfeinde" des Irans inhaftiert. Am 1. Mai 2019 wurde die Journalistin vor dem Parlamentsgebäude auf einer Maikundgebung festgenommen, über die sie für die reformorientierte Zeitung "Shargh", das größte Blatt der Reformbewegung, berichten wollte. Die Vorwürfe gegen sie sind nicht bekannt. Ihre Journalistenkollegen wollen mit der DW nicht über den Fall sprechen.
Auch Zeitungsverlage sind in ihrer Existenz bedroht, falls sie politisch nicht auf Linie sind. Schnell werden sie von der konservativen Justiz oder den Sicherheitsbehörden geschlossen, so wie das liberale Magazin "Seda" der neuen Reformpartei Etehad- e Mellat. Deren Generalsekretär Ali Shakouri-Rad forderte in einem Leitartikel, dass die oberste Priorität der Reformer die Vermeidung eines Krieges sein müsse. Er hatte außerdem vorgeschlagen, direkt mit den USA zu verhandeln. Auf der Titelseite zeigte "Seda" einen US-Flugzeugträgerverband mit der Überschrift "Am Scheideweg zwischen Krieg und Frieden". Das war den Wächtern eindeutig zu viel.
"Menschen wollen Frieden und Sicherheit"
"Die autoritäre Herrschaft im Iran soll begreifen, dass die Mehrheit der Iraner in Frieden und Sicherheit leben will", sagt Parvin Fahimi im Gespräch mit der DW. Vor zehn Jahren verlor Fahimi ihren 19-jährigen Sohn, der auf einer Demonstration der "Grünen Bewegung" gegen die umstrittene Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad von der Polizei erschossen wurde. Fahimi selbst engagiert sich seitdem publizistisch und schreibt für die oppositionelle Webseite "Kalameh".
"Dieser enorme Druck durch die USA gibt den Machthabern den Anlass, jede kritische Stimme im Iran zu unterdrücken", sagt Fahimi. "Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalisten", schreibt die Organisation "Reporter ohne Grenzen". Die Medien werden im Iran staatlich kontrolliert, das Internet umfassend zensiert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen 2019 steht der Iran auf Platz 170 von 180 Ländern.