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Politik

Holland in Not: noch keine Regierung

13. Juni 2017

Schon zum zweiten Mal sind die Vierparteien-Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden gescheitert. Streitpunkt ist die Migrationspolitik, das heißeste Eisen im Wahlkampf.

Populismus in den Niederlanden Den Haag
Bild: DW/T.Lageman

Hätten sich die vier Parteiführer jetzt auf eine Koalition geeinigt, wäre alles völlig normal gewesen. Im Schnitt dauern niederländische Koalitionsverhandlungen drei Monate. Auch die Zahl der Koalitionäre ist nicht ungewöhnlich: Bei einem Parlament mit einer stark zersplitterten Parteienlandschaft und ohne Zugangsbeschränkung wie einer Fünfprozenthürde braucht man meist drei, vier Partner, um eine Regierungsmehrheit zusammenzubekommen. 

Die Niederlande waren lange sogar europäische Rekordhalter in der Disziplin der Dauer-Koalitionsverhandlungen. 1977 brauchte man satte 208 Tage - bis Belgien Holland den Rang ablief: Nach der Wahl 2010 waren die Brüsseler Politiker 541 Tage mit sich selbst beschäftigt. Wirklich vermisst hat kaum jemand die neue belgische Zentralregierung in den gut anderthalb Jahren. Die alte blieb einfach kommissarisch im Amt, und durch den komplizierten Staatsaufbau und den Sprachenstreit sind die Belgier ohnehin schwierige Kompromissfindungsprozesse gewohnt.

Der junge Grünenchef Jesse Klaver ist ein Star und wird oft mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau verglichenBild: picture-alliance/ANP/R. Van Lonkhuijsen

Mehr Einwanderer? Für die Grünen kein Problem

In den Niederlanden waren es nach der Wahl am 15. März vier Parteien, deren Chefs versucht haben, sich auf ein gemeinsames Programm zu einigen: Da ist die rechtsliberale VVD des bisherigen Ministerpräsidenten Mark Rutte, die sozialliberale D66, die christdemokratische CDA und die Partei GrünLinks. Zwar ist Ruttes VVD mit einigem Abstand stärkste Kraft, doch mit einem Stimmenanteil von 21 Prozent keineswegs alles dominierend. Die anderen drei Verhandlungspartner liegen mit Stimmenanteilen zwischen neun (GrünLinks) und zwölf Prozent (D66 und CDA) dicht beieinander. Auch ideologisch sind die Gräben nicht unüberbrückbar - mit einer Ausnahme: der Einwanderungspolitik. Und daran sind beide Verhandlungsrunden gescheitert. Herman Tjeenk Willink, der Vermittler bei den Sondierungsverhandlungen, nannte als entscheidenden Punkt, dass die Grünen nicht bereit gewesen seien, durch Abkommen der EU mit nordafrikanischen Ländern Migranten von vornherein von Europa fernzuhalten. König Willem-Alexander habe er informiert, dass eine Regierung der vier Parteien nicht möglich sei.

Die Zahl der Muslime in den Niederlanden löst bei vielen Menschen Ängste ausBild: picture-alliance/ANP/R. Vos

Im Wahlkampf hatten Grünenchef Jesse Klaver und Ministerpräsident Mark Rutte bereits heftig über das Türkei-Abkommen gestritten. Klaver hatte dabei gesagt: "Das ist der große Unterschied zwischen uns Grünen und den Rechtsliberalen. Ich bin nicht stolz darauf, dass 90 Prozent weniger syrische Flüchtlinge nach Europa kommen. Sie müssen in der Türkei um ihr Leben fürchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir uns geschworen, niemals mehr Menschen im Stich zu lassen." Rutte darauf: "Mit anderen Worten: Wenn es nach Ihnen geht, haben wir hier zehntausende zusätzliche Flüchtlinge! Dazu ist die niederländische Gesellschaft außerstande, die Spannungen sind schon groß genug." Dieser Schlagabtausch, obwohl vor der Wahl geführt, fasst genau zusammen, warum die Koalitionsverhandlungen gescheitert sind.

Geert Wilders unmoralisches Angebot

Wollte es sich Rutte einfach machen, könnte er auf das Angebot des Rechtspopulisten Geert Wilders von der Partei für die Freiheit eingehen und eine Minderheitsregierung von Wilders tolerieren lassen. Bereits nach der gescheiterten ersten Verhandlungsrunde rief Wilders Rutte im Parlament zu: "Jede andere Möglichkeit bereitet Ihnen dieselben Probleme, Herr Rutte! Nur mit uns können Sie eine strengere Einwanderungspolitik durchsetzen. Hier sitzen 20 Abgeordnete meiner Partei. Winken Sie Ihnen ruhig zu! Da sitzen sie, gewählt von 1,5 Millionen Wählern. Die müssen Sie endlich ernst nehmen, Herr Rutte, sonst geht wieder alles schief!" Rutte erinnerte aber öffentlich an den ersten Versuch einer von Wilders tolerierten Minderheitsregierung, die Wilders 2012 nach zwei Jahren mitten in der Wirtschaftskrise platzen ließ: "Wenn es schwer wird, darf ein Politiker nicht weglaufen, auch das braucht es für ein gutes Kabinett - und diesen Test haben Sie nicht bestanden, Herr Wilders. Bei Ihnen gehen die Parteiinteressen über die des Landes."

Geert Wilders (l.) lockt Mark Rutte: "Nur mit uns können Sie eine strengere Einwanderungspolitik durchsetzen"Bild: picture alliance/dpa/Y.Herman

Zunächst will Rutte weiterverhandeln, auch mit Klaver. Die Atmosphäre ist offenbar trotz aller Meinungsunterschiede gut. Klaver hatte seinen Parteimitgliedern von Anfang an die Anweisung auf den Weg gegeben, "kein schlechtes Wort über die anderen" zu verlieren. Auch Rutte gibt sich bisher gelassen: "So etwas nennt man Verhandeln! Wir sind ein Land der Koalitionen, schon seit Jahrhunderten machen wir uns auf diesem Gebiet einen Namen. Zwischen Parteien gibt es immer große Unterschiede. Aber in diesem Falle ging es um SEHR große Unterschiede." Um den niederländischen Verhandlungsrekord von 208 Tagen zu brechen, hat er noch viel Zeit, vom belgischen ganz zu schweigen. Aber das dürfte nicht Ruttes Maßstab sein.

 

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