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Politik

"Holocaust durch Kugeln"

Fabian von der Mark
28. August 2019

In der Ukraine wurden zwischen 1941 und 1944 über eine Million Juden von Deutschen erschossen. Die Bundesregierung will das Kapitel stärker ins Bewusstsein rufen. Höchste Zeit, sagen nicht nur Ukrainer.

Ukraine Masserschießungen von Juden 1941
Bild: picture-alliance/akg-images/H. Langenheim

Es sind Orte des Grauens, von denen in Deutschland viele noch nie gehört haben. Sie heißen Samhorodok, Ljubar, oder Plyskiw. An jedem dieser Orte wurden damals mehr als 500 Juden von Wehrmacht, SS oder deutscher Polizei hingerichtet. Hunderte solcher Massenerschießungen hat es in der Ukraine gegeben. "Der Holocaust durch Kugeln verdient in unserem Gedächtnis einen ebensolchen Stellenwert wie die Gaskammern von Auschwitz. Nur, er tut es noch nicht", sagt Uwe Neumärker, Direktor der "Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas".

Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, den "Holocaust durch Kugeln" stärker ins Bewusstsein zu rufen. Außenminister Heiko Maas hat an diesem Mittwoch die Ausstellung "Erinnerung Bewahren" in Berlin eröffnet, und an die ermordeten Juden, Roma, Kriegsgefangenen und psychisch Kranken Menschen erinnert. "Trotz der unfassbaren Dimension dieser Verbrechen wird dieser Teil des Holocaust bis heute, wie wir finden, zu wenig beachtet", so Maas.

Am Rande des Dorfes Kalynivka wurden 32 Roma ermordet, darunter auch Kinder. Insgesamt haben deutsche Besatzer in der Ukraine etwa 12.000 Roma getötetBild: Anna Voitenko

In der Ausstellung sind ukrainische Orte zu sehen, an denen jahrzehntelang nichts an die massenhaften Erschießungen erinnert hat. Nach und nach entstehen jetzt Gedenkorte. Mal eine Steinplatte mit Inschrift, mal eine Sitzgruppe - Orte der Erinnerung und "Symbole unserer Verantwortung, unserer Taten", wie Uwe Neumärker sagt. Seine Stiftung gestaltet die Denkmäler gemeinsam mit ukrainischen Partnern.

Blumen und Karotten auf einem Massengrab

Anna Voitenko dokumentiert die Arbeit an den neuen Gedenkstätten mit ihrer Kamera. Die ukrainische Fotografin hat die Umgestaltung von Landschaften in Denkmäler erlebt. "Manchmal sah es da schön aus. Blühende Wiesen und Felder, und dann erfährt man, was da passiert ist." Die Gespräche mit Angehörigen von Opfern seien oft traumatisch gewesen. "Manchmal haben am Ende alle geweint", so Voitenko im Gespräch mit der DW.

Einmal stand sie mit einem ukrainischen Juden an einem schön bewachsenen Hügel. Dann haben die beiden gesehen, dass es sich um einen Haufen aus Knochen und Schädeln handelte. Der Mann habe zu ihr gesagt: "Das hätte ich sein können." Dass nun Denkmäler entstehen, findet Voitenko wichtig: "Sonst wohnen die Leute auf einem Grab, ohne zu wissen, was da passiert ist und pflanzen da Karotten an."

Die Denkmäler und die Ausstellung sind für den ukrainischen Botschafter in Deutschland ein Projekt, dass "das ukrainische Volk ausdrücklich unterstützt", so Andrei Melnyk. Der Botschafter weiß, dass fast jede ukrainische Familie vom Holocaust betroffen war: "Jeder dritte jüdische Mitbürger, der vom dritten Reich ausgerottet wurde, hat auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gelebt". Weil das in Deutschland kaum jemand wisse, sieht Melnyk "dringenden Handlungsbedarf".

Schüler sollen vom Holocaust in der Ukraine erfahren

Der Botschafter erzählt von seinem Sohn, der auf einem deutschen Gymnasium war, aber nichts über die ukrainischen Opfer der Nazi-Zeit gelernt hat, was ihn "enttäuscht und ratlos" gemacht habe. Auch in Deutschland würde er gerne ein Denkmal für die ermordeten Ukrainer sehen, so wie es aktuell auch für polnische Opfer diskutiert wird. Außerdem müssten die deutschen Lehrpläne geändert werden, bittet Melnyk den deutschen Außenminister.

Als ersten Schritt unterstützt das Auswärtige Amt mit knapp zwei Millionen Euro das Projekt "Erinnerung Bewahren" mit den neuen Denkmälern, unterstützt Bildungsprogramme und weitere historische Forschungen. Heiko Maas findet das Gedenken an die deutsche Geschichte in Zeiten zunehmenden Antisemitismus und erstarkender Rechtspopulisten wichtiger denn je. Die Ausstellung, die zunächst im Auswärtigen Amt zu sehen ist, soll danach weiterziehen - damit möglichst viele vom Holocaust in der Ukraine erfahren. 

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