1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Eine Überlebende schenkt uns ihre Erinnerungen

31. Januar 2018

"Hass ist ein Gift", sagt Anita Lasker-Wallfisch. Sie hat Auschwitz überlebt und sprach im Bundestag beim Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Erstmals war die AfD dabei. Und klatschte oft. Aber nicht immer.

Berlin Holocaust Gedenkstunde im Bundestag | Anita Lasker-Wallfisch
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Holocaust-Gedenken im Bundestag

03:05

This browser does not support the video element.

Deutschland, sagt Anita Lasker-Wallfisch, habe sich "nach dem Krieg exemplarisch" verhalten: "Nichts wurde geleugnet." Die weißhaarige alte Dame ist aus England nach Berlin gekommen, um im Bundestag bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus zum politischen Deutschland zu sprechen. Als Jugendliche überlebte sie Auschwitz und Bergen-Belsen, die Gräuel des Nationalsozialismus. Und nun berichtet sie. Die 92-Jährige liest ihre Rede nicht einfach vor, sie erzählt.

Da ist die Kindheit in Breslau, da sind die wachsenden Schwierigkeiten, die Schikanen gegen Juden. Aber, sagt sie, Vater Alfons Lasker dachte, es werde schon nicht so schlimm. Jahre später starben die Eltern bei den Massenmorden der Nationalsozialisten. Anita und ihre Schwester Renate kamen nach Auschwitz. "In vielen Fällen warf man Menschen bei lebendigem Leib in den brennenden Ofen. Auch das habe ich gesehen. Wenn man nicht direkt bei der Ankunft in die Gaskammer umkam, überlebte man in Auschwitz sowieso nicht lange." Die beiden Mädchen kamen knapp mit dem Leben davon. Anita Lasker-Wallfisch rettete ihre Musik. Sie spielte Cello im Mädchen-Orchester des Lagers.

Bundespräsident Frank-Walter Steimeier geleitete Anita Lasker-Wallfisch in den PlenarsaalBild: Reuters/H. Hanschke

Innehalten im politischen Betrieb

Es ist eine anrührende, bewegende Rede. Lasker-Wallfisch wollte nach dem Holocaust eigentlich nie mehr deutschen Boden betreten. Und entschied sich dann anders. Am Arm von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt sie langsamen Schrittes in den Plenarsaal. Und berichtet in ihrer Muttersprache.

Seit 1996 gibt es den "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus", den der damalige Bundespräsident Roman Herzog auf den 27. Januar festlegte, den Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Es ist stets ein Moment des Innehaltens im politischen Betrieb. Halbmast auf dem Reichstag, ruhige Atmosphäre im Saal.

Lasker-Wallfisch

01:29

This browser does not support the video element.

Beim nun 23. Gedenken des Bundestages ist doch manches anders. Seit der Bundestagswahl im Herbst sitzt die rechtspopulistische AfD im Parlament. In der Partei sind auch Verharmloser des Holocaust, denen das Erinnern an den nationalsozialistischen Massenmord irgendwie reicht. Auch deren Abgeordnete sitzen nun - fast vollzählig - im Plenarsaal. Bundespräsident Steinmeier, zuvor vom Staatsbesuch im Libanon gelandet, geleitet am Arm Lasker-Wallfisch in den Saal und sitzt dann mit seiner Frau auf den Stühlen vor der ersten Reihe. Auch jene, die über die künftige große Koalition streiten und verhandeln, sind da. Hinten, im Lager der Union, leuchtet das Blau von knapp 25 leeren Stühlen.

Wolfgang Schäuble prangert Fremdenhass an

Zu Beginn des Gedenkens spricht Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Eine gute Viertelstunde lang. "An Auschwitz scheitert jede Gewissheit", sagt er mehrfach. Und äußert sich gegen Ende seiner Ausführungen auch zur neuen Fremdenfeindlichkeit in Deutschland: "Jeden Tag werden Menschen bei uns angegriffen, weil sie anders aussehen und anders sprechen, weil sie fremd erscheinen und Fremde bleiben sollen. Die große Mehrheit in unserem Land ist nicht ausländerfeindlich, schon gar nicht gewalttätig." Aber Grund zur Beunruhigung sei da.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beklagte Angriffe auf Flüchtlinge und "Menschen, die fremd erscheinen"Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Schäuble warnt vor jenen, die spalten wollten: "Wer vom Volk spricht und nur einen bestimmten Teil meint", grenze aus. Gut zehn Male unterbricht ihn der Beifall der Abgeordneten. Fast immer klatscht auch die AfD. Aber bei dieser Passage klatscht niemand aus dem Lager der "Alternative für Deutschland".

"Diese menschliche Geste"

Die gleiche Szene später, als Lasker-Wallfisch auf das Thema Flüchtlinge kommt und an die Not so vieler erinnert, die aus Nazi-Deutschland nicht rauskamen: "Für uns haben sich die Grenzen damals hermetisch geschlossen und nicht, wie hier, geöffnet dank dieser unglaublich generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde." Da klatschen alle Fraktionen - außer der AfD.

Die Holocaust Gedenkstunde im BundestagBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Und doch gilt auch an diesem Mittwoch: Die Reden zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus sind Einschnitte in die Routinearbeit des Parlaments, sorgen für Momente der Ergriffenheit. Es sind sehr bewegende, persönliche Zeugnisse. Das Zeugnis jedes einzelnen Redners, jeder Rednerin gibt den Millionen Opfern ein konkretes Gesicht. Das Warschauer Ghetto, Konzentrations- und Vernichtungslager wie Bergen-Belsen, Ottmuth, Buchenwald, Theresienstadt, Auschwitz kamen seit 1996 zur Sprache.

"Hass ist ganz einfach ein Gift. Und letzten Endes vergiftet man sich selbst", sagt Lasker-Wallfisch in den letzten Sätzen ihrer Rede. Sie meint es für damals, sie meint es für heute. Am Ende ihrer Rede sagt sie nur: "Thank you". Da erheben sich alle Abgeordneten, erheben sich - mit einem Moment Verzögerung - auch die Abgeordneten der AfD. Und alle, auch die Zuhörer auf den Besuchertribünen, klatschen minutenlang für eine große Rede. Als sie auf den Stock gestützt aus dem Plenarsaal geht, braucht die 92-Jährige keinen helfenden Arm mehr.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen