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Holt die Tapie-Affäre IWF-Chefin Lagarde ein?

12. Dezember 2016

IWF-Chefin Christine Lagarde steht ab heute in Frankreich vor Gericht, weil sie als Ministerin fahrlässig gehandelt haben soll. Wird der Prozess zu einem Präzedenzfall? Aus Paris Lisa Louis.

Christine Lagarde
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Abd

IWF-Chefin Christine Lagarde vor Gericht

01:42

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In Frankreich fängt heute der Prozess gegen Christine Lagarde an. Die ehemalige Finanzministerin und aktuelle Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird beschuldigt, dem Staat durch Unachtsamkeit Millionenverluste beschert zu haben. Ein Prozess, der einen Präzedenzfall für französische Politiker schaffen könnte.

Im Kern geht es um die sogenannte Tapie-Crédit Lyonnais-Affäre. Lagarde soll fahrlässig gehandelt haben, weil sie die Sache 2008 als damalige Finanzministerin vor ein Schiedsgericht gebracht und gegen dessen Entscheidung keinen Einspruch erhoben hat. Die Schiedsrichter hatten dem Geschäftsmann Bernard Tapie nämlich rund 400 Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen - aus öffentlichen Geldern. Lagarde könnte zu einer Strafe von bis zu einem Jahr Gefängnis und einer Zahlung von 15.000 Euro verurteilt werden.

Eine schier endlose Justizsaga

Angefangen hat das Ganze 1993. Tapie ist damals Minister für städtische Angelegenheiten und soll seine Beteiligung am Sportunternehmen Adidas verkaufen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Die staatliche Bank Crédit Lyonnais veräußert das Unternehmen in seinem Auftrag zum Preis von etwa 472 Millionen Euro. Ein Jahr später erzielt die Bank über eine Vertragsklausel zusätzliche 400 Millionen Euro. Von diesem Geld sieht Tapie keinen Cent. Er erhebt Klage.

Unternehmer und ehemaliger Minister Bernard TapieBild: Getty Images/AFP/E. Feferberg

Die Justiz spricht ihm nach Jahren über 100 Millionen Euro Schadensersatz zu. Doch ein Revisionsgericht annulliert das Urteil. Tapie schlägt daraufhin ein Schiedsgericht vor. Dass Lagarde darauf eingeht, ist ungewöhnlich - vor allem in einer Sache, die schon von der regulären Justiz behandelt wurde, und bei der es um öffentliche Gelder geht.

Der Verdacht des Betrugs und der Veruntreuung von Geldern

Hinzu kommt, dass die französische Justiz die Schiedsentscheidung inzwischen rückgängig gemacht hat. Tapie soll das Geld zurückzahlen. Denn nur scheinbar sei das Gericht unabhängig gewesen. Einer der Schiedsrichter stand Tapie verdächtig nahe. Der Richter und Tapie sowie vier weitere Personen sind des organisierten Betrugs, der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder der Mitschuld daran beschuldigt. Dieser Prozess wird kommenden März eröffnet.

Von dem vermuteten Betrug soll Lagarde zwar nichts gewusst haben. Dennoch wirft ihr der sogenannte Gerichtshof der Republik vor, sich schlecht vorbereitet und informiert zu haben. Sie habe mehrere Hinweise der Agentur, die Beteiligungen des französischen Staates managt, missachtet. Die hatte nämlich von einer Schiedsentscheidung abgeraten. Die Begründungen der IWF-Chefin für ihre Entscheidung nennt der Gerichtshof gar "hanebüchen".

"Sie hat gehandelt wie ein Unternehmer"

Den Vorwurf der Fahrlässigkeit weist ein Mitglied von Lagardes Team beim Internationalen Währungsfonds vehement zurück. "Jeder Unternehmenschef hätte die gleiche Entscheidung getroffen", so der Mitarbeiter. "Diese Justizaffäre hatte sich schon fast 20 Jahre hingezogen und Gerichtskosten von mehr als 30 Millionen Euro verursacht - das musste endlich ein Ende nehmen." Zudem habe sogar der Staatsanwalt dem Gerichtshof der Republik davon abgeraten, das Verfahren zu eröffnen. 

IWF gibt Lagarde RückendeckungBild: picture-alliance/dpa/J. Lo Scalzo

Während das Team Lagarde so vor einer Hexenjagd warnt, fürchten andere das Gegenteil - nämlich, dass das Urteil zu milde ausfallen könnte. Das liegt vor allem an der ungewöhnlichen Institution selbst, dem Gerichtshof der Republik. Den hat man 1993 gegründet, um über Minister zu urteilen, die Gesetzesverstöße begehen, während sie im Amt sind. Zusammengesetzt ist das Richterpanel aus zwölf Parlamentariern - sechs aus der Nationalversammlung und sechs aus dem Senat - und aus drei Richtern oder Staatsanwälten. Bisher hat der Gerichtshof erst über vier Fälle entschieden. Besonders streng waren die Urteile nicht, so die Meinung vieler Juristen.

Besondere Empathie für die Politikerkollegen?

"Natürlich kommen die Parlamentarier aus dem gesamten politischen Spektrum und sollen so unabhängig in ihren Entscheidungen sein", sagt Eric Alt, Jurist und Vizepräsident des Vereins Anticor, der sich gegen Korruption stark macht. "Aber als Politiker haben sie nun mal besondere Empathie für ihre Politikerkollegen und sind eher nachsichtig mit ihnen." Er plädiert dafür, dass sich auch Politiker für alle Vergehen vor der regulären Justiz verantworten müssen.

Céline Parisot, Generalsekretärin von Frankreichs größter Justizgewerkschaft Union Syndicale des Magistrats, sieht das zwar ähnlich. Jedoch habe dieser Prozess auch sein Gutes: Er zeige, dass ein gewisser Wille da sei, französische Politiker zur Verantwortung zu ziehen. Und das sei nicht selbstverständlich in Frankreich. "Bei uns verurteilt man sehr wenige Politiker dazu, dass sie sich nicht mehr wählen lassen können - das ist ein echtes Problem", sagt sie. "Man geht davon aus, dass die Wähler die Politiker sanktionieren müssen und nicht die Justiz. Doch das funktioniert selten - viele verurteilte Politiker wählt man trotzdem wieder."

Ein möglicher Präzedenzfall

Doch Bruno Dondero, Juraprofessor an der Universität Paris 1 Panthéon Sorbonne, ist nicht davon überzeugt, dass der Prozess Frankreich nach vorne bringen wird. Vor allem die Anklage der Fahrlässigkeit sei heikel. "Sich auf diesen Paragraphen zu berufen, ist wie ein glitschiger Abhang und könnte einen Präzedenzfall schaffen", sagt er. "Schließlich würde das bedeuten, dass jeder Minister nun für unbeabsichtigte Folgen seiner Amtshandlungen juristisch belangt werden könnte. Dann traut sich ja kein Minister mehr, irgendeine politische Entscheidung zu treffen!" Zudem sei es doch ratsam, den Ausgang des Prozesses gegen Tapie und seine eventuellen Mittäter abzuwarten. Denn nur, wenn die Veruntreuung der öffentlichen Gelder bewiesen sei, gebe es ja eine rechtliche Grundlage, Lagarde dafür zu belangen, dass sie durch Fahrlässigkeit diese Veruntreuung ermöglicht habe.

IWF-Chefin Lagarde gibt sich indes betont zuversichtlich. "Wir hoffen alle, dass sie mit einer Flasche Champagner zurückkommt und diese Affäre dann ein für allemal erledigt ist", sagt ihr Mitarbeiter. Der IWF hat ihr Mandat übrigens diesen Sommer verlängert - für weitere fünf Jahre.

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