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Gesellschaft

Homosexualität, eine katholische Krux

22. Oktober 2020

Der Papst setzt sich für die Rechte Homosexueller ein und führt gleichzeitig die Diskriminierung innerhalb der Kirche fort. Warum Homosexualität für die katholische Kirche weiterhin ein Tabu bleibt. Eine Analyse.

Symbolbild Katholische Kirche Homosexuelle Plakat Polen
Bild: AFP/Getty Images/M. Viatteau

Es geschah auf dem Rückflug von Rio nach Rom. Nach einem rauschenden Weltjugendtag im Juli 2013 an der Copacabana wandte sich Papst Franziskus an die Journalisten im Flugzeug und fragte sie: "Wer bin ich, dass ich über Homosexuelle urteile?".

Sieben Jahre später legt er nun nach. In dem neuen Dokumentarfilm "Francesco"sagt der Papst: "Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben. Sie sind Kinder Gottes und haben das Recht auf eine Familie." Niemand dürfe aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung ausgegrenzt werden.

Homo-Ehe, nein danke

Niemand? Auch katholische Priester und Gläubige nicht? Fest steht: Das Verhältnis der katholischen Kirche zu Homosexualität ist geprägt von Widersprüchen und Doppelmoral.

Denn derselbe Franziskus, der sich für gesetzliche Lebenspartnerschaften Homosexueller ausspricht, lehnt die Homo-Ehe ab. Und derselbe Franziskus, der Ausgrenzung aufgrund sexueller Ausrichtung kritisiert, spricht homosexuellen Priestern das Recht auf einen Platz im Priesterseminar ab.

In seiner Widersprüchlichkeit zur Homosexualität ist sich der Papst treu gebliebenBild: Vatican Media/Reuters

Immerhin: In seiner Widersprüchlichkeit ist sich der Papst treu geblieben. Schon als Erzbischof von Buenos Aires (1998 bis 2013) setzte er sich für gesetzliche Lebenspartnerschaften Homosexueller ein. Allerdings in erster Linie, um weitreichendere Gleichstellungen wie eben die Homo-Ehe zu verhindern.

Die Strategie misslang: Am 5. Mai 2010 befürwortete das argentinische Parlament die landesweite Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Viele andere Länder folgten dem Beispiel, Deutschland am 1. Oktober 2017 (siehe Karte).

Kein Platz im Priesterseminar

Im Gegensatz zur rechtlichen Gleichstellung ist und bleibt Homosexualität innerhalb der katholischen Kirche ein Tabu. 2015 entließ Franziskus einen polnischen Priester im Vatikan nach seinem spektakulären Coming-Out.

In dem 2018 veröffentlichten Interviewbuch "Die Kraft der Berufung" des spanischen Herz-Marien-Missionars Fernando Prado stellt der Papst klar: "Im geweihten und im priesterlichen Leben hat diese Art der Zuneigung keinen Platz. Menschen mit "diesen Neigungen" sollten nicht in religiöse Orden und Priesterseminare aufgenommen werden."

Warten auf den Segen vor dem Traualtar

Auch homosexuelle Laien werden in der katholischen Kirche ausgegrenzt. Das Zentralkomitee der Katholiken, Vertretung der katholischen Laien in Deutschland, fordert seit Jahren, dass gleichgeschlechtlichen Paaren "die Wirkmächtigkeit von Segensritualen nicht vorenthalten wird."

"Wir setzen uns dafür ein, dass in naher Zukunft ein offizieller Ritus für die Segnung homosexueller Paare erarbeitet wird," lautet die offizielle ZdK-Forderung. Vielleicht ist die Hoffnung ja nicht unbegründet.

Der Mannheimer Pfarrer Theo Hipp sieht in dem neuen Vorstoß von Papst Franziskus zumindest einen weiteren Versuch, die schwierige Debatte über Homosexualität in der Kirche wiederzubeleben.

"Franziskus würde jedem Pfarrer und Seelsorger ins Stammbuch schreiben, dass er für ein lebenswürdiges Leben und für Rechtssicherheit von Homosexuellen eintreten muss", ist er überzeugt. Diese Haltung werde eine kirchliche und eine politische Auswirkung haben.

Konservative Weltkirche

Hipp muss es wissen. Er bereitet die zahlreichen Priester aus Polen, Brasilien, Indien, Tansania und anderen Ländern, die aufgrund des Priestermangels in der katholischen Kirche nach Deutschland kommen, auf ihren Gemeindealltag in Deutschland vor.

Knapp die Hälfte der weltweit 1,3 Milliarden Katholiken lebt auf dem amerikanischen Kontinent, insbesondere in Lateinamerika. In Europa bekennen sich rund 20 Prozent der Bevölkerung zum katholischen Glauben.

Doch während in Europa die Zahl der Katholiken kontinuierlich abnimmt, verzeichnen Asien und Afrika laut vatikanischem Pressedienst Fides starke Zuwachsraten. In Afrika liegt der Anteil mittlerweile bei rund 18 Prozent.

"Afrikanische Katholiken gehen an die Decke"  

Doch genau in diesen Wachstumsregionen lösen Franziskus' jüngste Äußerungen alles andere als Begeisterung  aus. "Afrikanische Katholiken oder Christen im Nahost gehen an die Decke, wenn man sagt, man muss gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der Ehe gleichstellen", sagt Pfarrer Hipp. Er weiß: "Wenn es um Veränderungen in der Weltkirche geht, sitzen die beim Papst mit am Tisch."

Trotz der Fundamentalopposition von Dogmatikern im Vatikan und konservativen Würdenträgern insbesondere in Asien und Afrika hält Hipp beim Thema Homosexualität eine weitere innerkirchliche Debatte für notwendig.

Tiefe Verletzungen

"Das wird zu einem Klärungsprozess führen, der manchem klar macht, dass wir in der Kirche auch wirklich Unmenschlichkeiten mit unserer Dogmatik produzieren", meint er. "Es ist gut, dass wir keine politische Macht  haben."

Diese tiefen Verletzungen kann Katholik Alexander Vogt bezeugen. "Wir haben uns gefreut, aber wir haben auch lange auf diese Worte gewartet," sagt der Vorsitzende der Interessenvertretung von Lesben und Schwulen in den Unionsparteien CDU und CSU (LSU) im DW-Gespräch.

"Ich warte darauf, dass der Papst uns gegenüber ein paar Worte des Bedauerns ausspricht. Denn die Lehren der katholischen Kirche haben in der Vergangenheit bei homosexuellen Gläubigen viel Leid und Schmerz ausgelöst."

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