1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Tabu Homosexualität im Profisport

Enrique Anarte
4. Juli 2020

Das Coming-out eines Basketballers hat in Chile für Schlagzeilen gesorgt. Er gehört nicht nur in Lateinamerika zu den wenigen Profisportlern, die sich trauen, offen homosexuell zu leben.

Daniel Arcos bei einem Basketballmatch des Clubs Deportes Castro
Bild: Club Deportes Castro

In seiner Erinnerung hielt er schon immer einen Basketball in seinen Händen, erzählt Daniel Arcos. Inzwischen spielt der 26-Jährige beim Club Deportes Castro in Chiles Erster Basketball-Liga. Und jetzt gilt Arcos auch als Gradmesser für die Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-Personen und Intersexuellen (LGBT) in der Welt des Profisports in Lateinamerika.

Wenn das Coming-out eines Profisportlers eine große Nachricht ist, dann auch deswegen, weil es nur sehr wenige Athleten wagen, in der Öffentlichkeit über ihre Homosexualität oder ihre geschlechtliche Identität zu sprechen. Arcos sagt, die Corona-Pandemie habe ihm die Zeit gegeben, über sein Coming-out nachzudenken und letztendlich diesen Entschluss zu fassen.

"Warum tue ich es nicht jetzt, solange ich noch gesund bin? Warum zeige ich mich nicht, wie ich bin?", fragte sich der junge Mann. "An meiner sportlichen Leistung wird sich nichts ändern - und ich könnte den Weg für viele andere nach mir im Profisport ein wenig öffnen."

Zweifel an sportlichen Fähigkeiten?

Ramón Gómez vom chilenischen Schwulen- und Lesbenverband MOVILH ist der Ansicht, die Reaktionen auf das Coming-out des Basketballers seien "im Allgemeinen recht positiv" gewesen. Der Fall zeige, was für einen "tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel das Land in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt hat".

Erstligaspieler Arcos: "Warum zeige ich mich nicht, wie ich bin?"Bild: Club Deportes Castro

Die Leute von MOVILH, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, arbeiten auch mit Sportmanagern im Kampf gegen Diskriminierung zusammen. "Die Vereine haben den Schlüssel in der Hand, um gegen Diskriminierung vorzugehen, aber sie haben bisher zu wenig unternommen", meint der chilenische Aktivist.

Viele Profisportler würde es nicht wagen, über ihre Homo- oder Bisexualität zu sprechen, weil sie "befürchten, als zweitklassige Sportler eingestuft zu werden, und Zweifel an ihren sportlichen Fähigkeiten aufkommen", so Gómez. Chile habe ein Antidiskriminierungsgesetz, das in der Theorie sexuelle Minderheiten schütze, aber im Allgemeinen besäßen die Sportvereine keine Regeln, um dies in der Praxis umzusetzen. Erschwerend komme hinzu, so Gómez, dass es "in Chile keine volle Gleichberechtigung gibt". Das Land habe die Ehe für alle bisher nicht legalisiert.

Kampagne #Doppelpass in Deutschland

Chile ist kein Sonderfall. Denn weltweit gibt es bislang nur wenige offenhomosexuelle Profisportler. Selbst in Ländern mit höherer gesellschaftlicher Akzeptanz für sexuelle Vielfalt, wie Spanien oder Deutschland, wagt es kaum ein Athlet, aus diesem Grund an die Öffentlichkeit zu gehen. Ängste, die offensichtlich begründet sind: Laut einer europaweiten Studie von Forschern der Universität Köln zeigt sich die gesellschaftliche Ausgrenzung in Form von herabsetzenden Äußerungen und Benachteiligungen.

Hobbykicker Näßler: "Sei keine Schwuchtel"Bild: Weigangphotography

In Deutschland startete Benjamin Näßler, amtierender "Mr. Gay Germany", vor einigen Monaten die Kampagne #Doppelpass zur Bekämpfung von Homophobie und Transphobie im Sport. "Ich war in einer Sportmannschaft und weiß, wie schwer es ist, wenn man 17 Jahre alt ist", sagt Hobbykicker Näßler. "Bemerkungen wie 'sei keine Schwuchtel' oder 'was für ein schwuler Pass' prägen sich in die Psyche eines jungen Menschen ein."

Trans-Frau im Profifußball

Juan Pablo Morino, Sportsekretär des argentinischen LGBT-Verbandes, befasst sich vor allem mit dem Thema Ma­chis­mo im Sport, der insbesondere im Fußball noch weit verbreitet ist. Im Fußball sei es die Standardbeleidigung, einen Spieler als "Mädchen" oder "Tunte" zu verhöhnen. Dies gelte nicht nur für den Umgang im Team, sondern auch für die Rufe der Fans von der Tribüne.

Doch es gibt auch einen Wandel zu verzeichnen. Mara Gómez ist seit Kurzem die erste Trans-Spielerin im Kader einer argentinischen Erstliga-Mannschaft. Ebenfalls in Argentinien machte der Basketball-Profi Sebastián Vega im vergangenen März seine Homosexualität öffentlich.

"In der mexikanischen Liga gibt es mehrere Schwule. Wir wissen es, aber sie können sich nicht outen", sagt Ivan Lara vom nationalen LGBT-Sportverband Mexikos. Er betont, wie wichtig es sei, dass die Vereine ihre Fans erziehen, "denn schließlich sind sie Unternehmen mit einer sozialen Verantwortung.

Mit Bildung, Aufklärung und politischen Maßnahmen, darin sind sich die Befragten einig, werden eines Tages die Türen des Profisports für LGBT-Menschen offen stehen. Eines Tages werde ein Coming-out keinen Nachrichtenwert mehr haben. "Sport ist ein Menschenrecht, sagt die UNESCO", macht der mexikanische Aktivist Lara deutlich. "Wir fordern dieses Recht auch für unsere Community."