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"Homs ist das nächste Ziel des IS"

Peter Hille21. Mai 2015

Nach der Eroberung Palmyras kontrolliert die IS-Miliz rund die Hälfte Syriens. Die Zeit arbeitet weiter für die Islamisten, sagt der Nahost-Experte Michael Lüders im DW-Interview. Auch Damaskus und Bagdad sind in Gefahr.

IS Syrien Kämpfer Islamischer Staat Rakka
Bild: picture-alliance/AP Photo/Raqqa Media Center

DW: Herr Lüders, ist die Eroberung Palmyras ein entscheidender Sieg für die Islamisten oder nur neues Futter für ihre Propagandamaschine?

Michael Lüders: Nein, das ist durchaus ein wichtiger Sieg für den "Islamischen Staat". Denn die Stadt Tadmur bei den historischen Ruinen von Palmyra ist die erste Stadt unter Kontrolle der Assad-Armee, die der IS erobert hat. Das ist also eine psychologische Niederlage für das Regime.

Die Oasenstadt Palmyra ist bekannt für antike Tempel und Kulturschätze. Ist auch das ein Grund, weshalb der IS dort einmarschiert ist?

Natürlich weiß auch der IS um die Rolle dieser historischen Stätte als Kulturerbe der Menschheit. Es steht zu befürchten, dass der IS alles, was nicht niet- und nagelfest ist, verkaufen wird. Und vieles spricht dafür, dass diese antike Anlage, die mehr als 2000 Jahre überstanden hat, gesprengt werden könnte. Das entspräche der bisherigen Logik des "Islamischen Staates". Alles, was aus der Zeit vor der islamischen Religionsstiftung stammt, gilt diesen Kämpfern und Ideologen als unislamisch und vernichtungswürdig.

Der Nahost-Experte Michael Lüders

Und welche strategische Bedeutung hat die 70.000-Einwohner-Stadt am Rande der antiken Stätten für den IS?

Man muss sich die Geographie vor Augen führen: Von Tadmur oder Palmyra aus sind es nur noch 150 Kilometer bis Homs. Homs ist geostrategisch eine sehr wichtige Stadt, dort treffen sich alle Nord-Süd und Ost-West-Verbindungen Syriens. Um Homs ist in der Vergangenheit stark gekämpft worden. Zwischen den Städten Palmyra und Homs befinden sich zudem zahlreiche Erdöl- und Erdgasfelder. Deshalb dürfte Homs das nächste Ziel des IS sein. Wenn das gelingt, wird es für das Assad-Regime brenzlig.

Im benachbarten Irak hat der IS schon am Wochenende die Provinzhauptstadt Ramadi eingenommen. Wochenlang war zu hören, der IS sei geschwächt. War das falsch?

Ja, das war eine völlig überzeichnete Darstellung vor allem der westlichen Geheimdienste. Die CIA, aber auch der Bundesnachrichtendienst haben nach der Rückeroberung Tikrits durch die irakische Armee und schiitische Millizen die Devise ausgegeben, der Islamische Staat stünde mit dem Rücken zur Wand. Diese Analyse war aber wohl eher Wunschdenken. Tatsächlich befindet sich der Islamische Staat im Moment wieder in einer Phase großen Selbstbewusstseins. Er hat begriffen, dass er den amerikanischen Luftangriffen entgehen kann, wenn er in sehr kleinen Einheiten vorrückt und nicht mehr im Konvoi.

Die antiken Stätten von Palmyra sind bedroht, darunter ein Baal-Tempel aus dem 1. Jahrhundert vor Christus.Bild: picture-alliance/dpa/Scholz

Die irakische Armee vermeldet zumindest gewisse Erfolge durch die Luftschläge: Der selbst ernannte IS-Kalif Al-Baghdadi soll bei einem US-Luftangriff im Frühjahr schwer verletzt worden sein. Sein Stellvertreter Al-Afri soll aus der Luft getötet worden sein. Glauben Sie diesen Erfolgsmeldungen?

Solche Meldungen gab es immer wieder. Aber man kann als Außenstehender nicht seriös beurteilen, ob das stimmt oder ob das Kriegspropaganda ist.

Wenn Palmyra für den IS eine wichtige Etappe auf dem Weg nach Damaskus ist, welche Bedeutung hat dann Ramadi für die irakische Hauptstadt Bagdad?

Ramadi liegt nur noch 100 Kilometer entfernt von Bagdad. Das ist fast so, als würde man Postdam kontrollieren und hätte Berlin zum Ziel. Es ist die letzte größere Stadt vor Bagdad vom Westen her betrachtet. Und der IS wird natürlich versuchen, Bagdad ins Visier zu nehmen. Der IS kann, wenn er weiter vorrückt, den Flughafen der Stadt beschießen. Das wäre eine psychologische Niederlage für das Regime. Aber er wird Bagdad unmöglich einnehmen können. Der IS ist eine rein sunnitisch-extremistische Gruppierung und kann sich nur in Gebieten bewegen, die von Sunniten mehrheitlich bewohnt werden.

Was muss man den Sunniten bieten, die momentan den IS als kleineres Übel gegenüber der irakischen Regierung ansehen?

Das ist die entscheidende Frage. Denn letztendlich kann der "Islamische Staat" militärisch nicht besiegt werden. Man kann ihn nur zurückdrängen, ihn in die Schranken verweisen, solange er so gut verwurzelt ist in der eigenen sunnitischen Bevölkerung des Iraks. Es kann einen Sieg über den IS nur geben, wenn die gemäßigten Sunniten im Irak sich erheben gegen ihre Verderber aus den Kreisen des "Islamischen Staates". Das werden sie aber nur tun, wenn die Regierung in Bagdad, die ausschließlich eine schiitische Interessenpolitik betreibt, auf die Sunniten zugeht. Es gab zwar in den letzten Monaten sehr viele Lippenbekenntnisse in diese Richtung, aber geschehen ist nichts. Die Sunniten sind von der Ressourcenverteilung im Irak fast vollständig abgeschnitten und das erklärt, warum sie den IS unterstützen. Nicht zu vergessen, dass die militärische Führung des IS nicht aus bärtigen Islamisten besteht, sondern aus Anhängern des ehemaligen Saddam-Regimes, aus Militärs und Geheimdienstlern, die genau wissen, wie man Krieg führt. Sie wissen, dass die Amerikaner und andere einen Bodenkrieg nicht gewinnen können. Insofern arbeitet die Zeit erst einmal für den "Islamischen Staat".

Wie wird zumindest der weitere Vormarsch des IS, auch in Syrien, zu stoppen sein? Mit einem Pakt des Westens mit Assad?

Baschar al-Assad und sein Regime sind zweifelsohne Verbrecher. Aber Baschar al Assad ist auch der letzte, der mit seinen militärischen Kräften in der Lage ist, zumindest in Syrien dem IS noch Einhalt zu gebieten. Der Westen muss sich entscheiden: will er, wie in der Vergangenheit propagiert, den Sturz Assads? Dann schafft man ein Machtvakuum in Damaskus, das entweder vom IS oder von der Nusra-Front, dem syrischen Zweig Al Kaidas gefüllt wird. Da das in den westlichen Hauptstädten sicherlich niemand will, gibt es eigentlich nur die Alternative, sich mit Assad ins Benehmen zu setzen, ihn militärisch zu unterstützen. Das bedeutet, dass man die eigene Politik der letzten Jahre über den Haufen wirft.

Aus Ramadi sind zahlreiche Menschen vor dem IS geflohen.Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Mizban

Gilt das auch für die Zusammenarbeit mit Teheran?

Da hat sich schon viel getan. De facto duldet Washington alles, was Teheran unternimmt, vor allem die Ausbildung schiitischer Milizen im Kampf gegen den IS im Irak. In Syrien sieht das etwas anders aus, da gibt es keine schiitischen Milizen wie im Irak, da besorgt die Hisbollah aus dem Libanon das Kämpfen. Aber es gibt führende iranische Offiziere, die in Teilen die syrische Armee befehligen. Das weiß man natürlich auch in Washington und duldet es still schweigend, wohlwissend, dass dies die bessere Alternative ist zur Einnahme von Damaskus durch den IS.

Der studierte Islamwissenschaftler und Politologe Dr. Michael Lüders ist Publizist, Politik- und Wirtschaftsberater, Roman- und Sachbuchautor.

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