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Politik

Hongkong 20 Jahre unter Peking

Hans Spross
29. Juni 2017

Immer noch herrschen in Hongkong, im Gegensatz zum Festland Versammlungs-, Presse-, Meinungsfreiheit. Aber viele Bewohner sind mit dem politischen Stillstand und der Einmischung Pekings unzufrieden.

Hongkong Proteste gegen Besuch von Chinas Staatschef Xi Jinping
Bild: Reuters/Tyrone Siu

Einen Tag vor der feierlichen Rückkehr Hongkongs nach China am 1. Juli 1997 stellte der renommierte niederländische Asien-Kenner Ian Buruma in einem Essay in der FAZ einen Vergleich zwischen dem "offiziellen Patriotismus" des Festlandes und dem "demokratischen Patriotismus" Hongkongs an. Er schloss mit folgendem Gedankenspiel: "Auf den ersten Blick haben die offiziellen Patrioten alle Macht auf ihrer Seite. Auf lange Sicht jedoch könnte sich der Reiz der Freiheit als stärker erweisen. Wenn es dahin käme, wird die Rückgabe von Hongkong an China der gefährlichste Tribut gewesen sein, der einem chinesischen Potentaten je zuteil wurde."

Auch andere Autoren und Publikationen hielten es vor 20 Jahren für denkbar, dass Hongkong politischen Einfluss auf das Festland ausüben könnte: "What if Hongkong takes over China?" fragte damals der britische "Economist". "China kann, will und muss von Hongkong lernen und ist insofern eher Schüler als Lehrmeister", schrieb auch der deutsche Sinologe Thomas Heberer.

Hongkong will seine Identität und Freiheiten gegenüber boomenden Technologie-Städten wie Shenzhen (Foto) wahrenBild: picture-alliance/Imaginechina/Ri Xi

Gewichte zugunsten des Festlands verschoben

Von solchen optimistischen Einschätzungen ist nach 20 Jahren nichts geblieben. Die Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung haben sich eindeutig zu Gunsten des Festlands geklärt. China hat es unter Xi Jinping verstanden, wirtschaftliche Liberalisierung, Wachstum und Einparteienherrschaft scheinbar harmonisch zu integrieren. Hongkong bringt demgegenüber als alternatives Gesellschaftsmodell zuwenig auf die Waagschale, auch weil es wirtschaftlich weitaus weniger wichtig als noch vor 20 Jahren für das Festland ist. Gleichzeitig akzeptiert Peking keinerlei Infragestellung seiner Souveränität über die Sonderverwaltungsregion.

Es verstärkt vielmehr seine Kontrolle über die Angelegenheiten der Stadt und nimmt die Konfrontation mit den demokratischen Kräften in Kauf - eine Entwicklung, deren Ausgang ungewiss ist. Am Ende könnte eben das eintreten, was die "Lokalisten" und Regenschirm-Protestler so sehr fürchten: Dass Hongkong zu einer chinesischen Millionenstadt unter vielen anderen wird. "Hongkong ist nicht Shenzhen", sagt mit einem gewissen Trotz Victoria Hui, aus Hongkong stammende Amerikanerin und sympathisierende Chronistin der dortigen Demokratiebewegung. "Denn in Hongkong gibt es politische ebenso wie wirtschaftliche Freiheiten."

Gouverneur Chris Patten versuchte noch kurz vor der Übernahme durch China, demokratische Institutionen in Hongkong einzuführen - Peking war nicht amüsiertBild: Reuters/B. Yip

Nicht gehaltene Versprechen

Diese politischen Freiheiten sehen nicht nur Sympathisanten der Regenschirm-Bewegung und noch radikalerer Kritiker Pekings bedroht. "Viele Hongkonger sind äußerst frustriert wegen ihrer geringen Mitsprachemöglichkeit bei der Art und Weise, wie sie regiert werden", stellt der "Economist" in seiner Bilanz der 20 Jahre seit Rückgabe fest.

Seit Beginn der Rückgabeverhandlungen in den 80er Jahren mit Peking hatte London versucht, (bisherige) bürgerliche Rechte und (neue) demokratische Verfahren für die Hongkonger Bevölkerung festzuschreiben. So war in der gemeinsamen chinesisch-britischen Erklärung von 1984 die Rede von einem "hohen Grad an Autonomie" und davon, dass "Hongkong von Hongkongern regiert" würde. Mit diesen Formulierungen wollte Peking die Einwohner Hongkongs beruhigen und verhindern, dass sie angesichts der bevorstehenden Rückkehr unter kommunistische Oberherrschaft massenhaft die Koffer packen würden.

Ähnliche Formulierungen fanden Eingang in das 1990 vom chinesischen Volkskongress verabschiedete "Basic Law", das Grundgesetz für Hongkong. Das unter britischer Herrschaft praktizierte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sollte für 50 Jahre unangetastet bleiben, gemäß der offiziellen Sprachregelungen "Ein Land, zwei Systeme". Auch eine demokratische Weiterentwicklung der Hongkonger Politik zu echten allgemeinen Wahlen für Parlament (Legislativrat) und Verwaltungsspitze (Chief Executive) war aus den Dokumenten herauszulesen, wurde aber von Peking immer wieder hinausgezögert.

Die Entscheidung Pekings von August 2014, eine allgemeine Wahl zwar zuzulassen, aber nur unter vorher ausgewählten Kandidaten, führte dann zu den Massenprotesten und Sitzstreiks, die Hongkongs Alltagsleben von September bis Dezember teilweise lahmlegten.

Protestmärsche hat es in Hongkong immer wieder gegeben, aber die Straßenproteste und -Blockaden im Herbst und Winter 2014 waren die bisher heftigste Konfrontation mit den Behörden Bild: picture-alliance/dpa

Verstärkte Einmischung Pekings

Die Hand Pekings macht sich aber nicht nur in der Blockade bei der Wahl des Hongkonger Regierungschefs bemerkbar. Die Entführungen von unliebsamen Buchhändlern und Verlegern aufs Festland und deren erzwungene Geständnisse im Winter 2015/16 stellten eine besonders krasse Einmischung Pekings in Hongkongs Autonomie dar. Im Februar dieses Jahres passierte das Gleiche mit dem in Peking offenbar in Ungnade gefallenen Milliardär Xiao Jianhua.

Auch die Rechtsanwälte Hongkongs sahen sich schon einige Male genötigt, mit Demonstrationen auf die Unabhängigkeit der Justiz zu pochen. Zuletzt im November 2016, als Peking einer Entscheidung des obersten Gerichts in Hongkong zuvorkam. Es ging um die Zulassung oder Nicht-Zulassung zweier gewählter neuer Mitglieder im Legislativrat, die der Unabhängigkeitsbewegung angehören und sich weigerten, den Amtseid in der vorgegebenen Form  abzulegen.  Der Beschluss aus Peking machte eine gerichtliche Entscheidung Hongkongs überflüssig. Aus Sicht der pro-demokratischen Anwälte ein gefährlicher Präzedenzfall für Anmaßung von Kompetenzen durch Peking.

Schließlich ist auch die vielgelobte Pressefreiheit, neben der unabhängigen Justiz eine weitere Säule der bürgerlichen Freiheiten in Hongkong, nicht unangefochten. Es gibt Einflussnahme und Druck auf Journalisten insbesondere chinesischsprachiger Medien, weniger über chinakritische Positionen zu berichten. Das angesehenen Blatt "Ming Pao" versuche zwar, professionell zu erscheinen und Meinungsvielfalt zu bieten, sagt Victoria Hui: "Auch ich konnte dort bislang meine Kommentare veröffentlichen, neuerdings aber großflächig eingerahmt von einem Artikel direkt aus dem Büro der Pekinger Vertretung in Hongkong!"

Schweigemarsch Hongkonger Rechtsanwälte aus Protest gegen die "Liebe-zum-Vaterland"-Direktive, die Peking 2014 an die Hongkonger Justiz adressierteBild: Reuters

Pekinger Verbindungsbüro als Parallelregierung

Überhaupt hat sich das erwähnte Verbindungsbüro ("Liaison Office") laut "Economist" in den vergangenen Jahren immer stärker in den Vordergrund gedrängt, so dass manche darin schon eine Art Parallelregierung sehen. Die Zeitschrift zitiert Anson Chan, die unter dem letzten Gouverneur Chris Patten wie auch unter dem ersten CE, Tung Chee-hwa, als Chefin des öffentlichen Dienstes fungierte, dass sie während ganzer vier Jahre kein einziges Mal mit dem Liaison Office zu tun gehabt habe. Diese Zurückhaltung ist vorbei, das Büro tritt als Investor im Mediensektor und Finanzier auf, schickt seine Vertreter prominent auf die Bühne bei öffentlichen Veranstaltungen und setzte sich im Auswahlgremium offen für Carrie Lam, Pekings Kandidatin für den Posten des nächsten CE ein.

Victoria Hui sagt, dass das Modell "Ein Land, zwei Systeme" auch deshalb nicht funktioniere, weil Peking Hongkong durch den handverlesenen Chief Executive und das Verbindungsbüro regiere. "Hongkong braucht einen CE, der sowohl gegenüber Peking als auch gegenüber der Bevölkerung von Hongkong rechenschaftspflichtig ist."

Hongkongs Führung begeht den chinesischen Nationalfeiertag 1.10. Links der Leiter des Pekinger Verbindungsbüros, Zhang Xiaoming, rechts die nächste Regierungschefin Carrie LamBild: Reuters/Bobby Yip

Chief Executive als Stimme der Hongkonger Bevölkerung?

Zu den Feierlichkeiten am 1.7.2017 wird Xi Jinping als erster chinesischer Präsident in Hongkong erwartet. Gleichzeitig wird die Karrierebeamtin Carrie Lam als neuer CE vereidigt. Im BBC-Interview sagte sie: "Sollte es Sorgen wegen unbegründeter Einmischung in Hongkongs Angelegenheiten geben, für die ein hoher Grad an Autonomie gilt, dann muss der Chief Executive diese Stimmung aufgreifen und sich stellvertretend für die Bevölkerung zu Wort melden." Eine bemerkenswerte Aussage, an die die Hongkonger ihre oberste Repräsentantin sicher noch erinnern werden.

 

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