1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Hongkonger Buchhändler: "Warum soll ich gehen?"

Sven Weniger
8. Dezember 2016

Knapp 20 Jahre nach der Rückgabe Hongkongs an China wird der Spielraum für Freiheit und Autonomie enger. Das spürt auch Buchhändler Daniel Lee. Im DW-Interview erklärt er, warum er trotzdem nicht auswandert.

Daniel Lee Hongkong
Bild: DW/M.Marek/S.Weniger

DW: Daniel, wir sitzen hier in Ihrem Buchladen in Mong Kok. Dessen Schwerpunkt nennen Sie: Hongkong-Studien, also alles, was mit Politik, Gesellschaft und Geschichte der Stadt zu tun hat. Ist das riskant?

Daniel Lee: Es gibt keine Liste verbotener Bücher. Man darf alles lesen, was man will. Das Internet ist unzensiert. Alle wichtigen Seiten sind aufrufbar: Facebook, Google und ähnliche, die in Festlandchina nicht verfügbar sind. Hongkong ist von der großen "Chinesischen Firewall" ausgenommen. Aber die Dinge werden schwieriger. Wir sehen, dass Buchhändler verhaftet werden, nicht durch die Behörden in Hongkong, sondern durch die CCP, die Kommunistische Partei Chinas. Das geschieht auf sehr obskuren Wegen. Es heißt dann, Leute seien "zurück nach China" gegangen. Aber das ist eben nicht auf normalem Weg geschehen. Da ist natürlich etwas oberfaul.

Fühlen Sie persönlich irgendwelche Repressionen? So wie Lam Wing-Kee, Lee Bo und andere, die zur Einreise nach Festlandchina gezwungen wurden?

Ich fühle viel weniger Bedrohung. Nach meinem Verständnis wurden diese Männer verhaftet bzw. gekidnappt, weil sie nicht nur Bücher verkaufen, sondern auch Verleger sind. Sie bringen Bücher über chinesische Politik heraus, über Auseinandersetzungen innerhalb der Partei. Das sind sehr sensible Themen. Wenn Leute wie Lam Wing-Kee oder Lee Bo solche Bücher verlegen, dann gehen sie damit ein höheres Risiko ein.

Leidet die Freiheit des Wortes, seitdem Hongkong an China zurückgegeben wurde?

Plötzlich verschwunden: Kritische Verleger, wie Lee BoBild: picture-alliance/dpa/J. Favre

Man kann nicht sagen, dass wir einen abrupten, offensichtlichen Umschwung spüren. Im Prinzip kann hier jeder sagen, was er will. Wir genießen Redefreiheit. Die Veränderungen sind subtiler. Zum Beispiel sind die meisten unserer Zeitungen inzwischen von Investoren aus Festlandchina aufgekauft worden. Das Gleiche gilt für RTHK, die wichtigste Radio- und TV-Station. Sie alle üben nun eine Art Selbstzensur aus. Sie behandeln heikle Themen weniger, befassen sich bei Berichten über Demonstrationen weniger mit den Gründen dafür und berichten stattdessen vor allem über die Ausschreitungen. So ist es für die Leute schwerer zu erfahren, warum etwas passiert. Die Berichterstattung bleibt oberflächlich. In den großen Buchhandelsketten, die ebenfalls in der Hand von Festlandchinesen sind, stehen kritische Bücher in dunklen Regalecken. Ich halte das alles für eine subtile Form der Selbstzensur.

Mit der gestiegenen Zahl von Festlandchinesen, die nach Hongkong kommen, und deren Sprache Mandarin – gerät Kantonesisch in Gefahr, die Sprache, die hier in Hongkong gesprochen wird?

Viele Leute haben das Gefühl, Kantonesisch sei in Gefahr. Doch davon sind wir noch entfernt. Andererseits wird Mandarin inzwischen in den Schulen besonders gefördert. Dabei wurde seit jeher in der Schule Chinesisch in seiner kantonesischen Sprachvariante unterrichtet. TV-Kanäle wechseln zu Mandarin und den vereinfachten Schriftzeichen des kommunistischen China, die hier nicht üblich waren.

Steht damit auch die Hongkonger Identität auf dem Spiel?

Interessanterweise war das früher kein Thema. Lange gab es gar keine Hongkonger Identität. In den 1960er, 1970er-Jahren gab es nur wenige Leute, die sich als Hongkonger bezeichneten. Erst exakt nach der Übergabe 1997 an Festlandchina begann die Erkenntnis einer eigenen Identität zu wachsen. Mehr und mehr werden sich die Menschen nun bewusst, dass sie aus Hongkong stammen, dass ihre Kultur eine andere ist als die auf dem Festland. Das ist natürlich interessant, da die CCP das sicher nicht gerne sieht.

Sie sagten, Sie seien auch in der sozialen Bewegung engagiert. Aus der ging 2014 die "Regenschirm-Bewegung" hervor, eine Pro-Demokratie-Bewegung mit Demonstrationen, die bis heute andauern. Parlamentariern, die daraus hervorgingen und im September 2016 in den Legislativrat, die gesetzgebende Versammlung Hongkongs, gewählt wurden, wurde die Zulassung verweigert. Denken Sie, dass der Grundsatz: Ein Land, zwei Systeme, wie er im sogenannten "Basic Law" festgeschrieben ist, für Hongkong noch gilt?

Demonstration in Hongkong wird gewaltsam aufgelöstBild: Getty Images/C. McGrath

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass dieser Grundsatz hier und jetzt mausetot ist. Seit den beiden neugewählten Parlamentariern der Partei "Youngspiration", die für die Unabhängigkeit Hongkongs eintritt, von der CCP die Qualifikation entzogen wurde, in den Legislativrat einzuziehen. Und das, obwohl beide vom Volk gewählt wurden, von mehr als 100.000 Bürgern. Das bedeutet, das Peking nun entscheidet und dem Hongkonger Obersten Gerichtshof in rechtlichen Streitfragen kein endgültiges Entscheidungsrecht mehr eingeräumt wird. Die Unabhängigkeit unserer Gerichtsbarkeit ist damit vorbei.

Inwieweit wird Hongkong zukünftig auf seiner Teilautonomie bestehen können - auf seinem Status als liberale, unabhängige Zone innerhalb der Volksrepublik China?

Unsere Zukunft sieht sehr düster aus. Es wird uns sehr schwer fallen, unsere relative politische Unabhängigkeit zu erhalten, solange wir Teil Chinas sind. Von dort wird auf vielen Wegen versucht, Einfluss auf uns auszuüben. Es wird versucht, über den Kauf von Firmen in unsere Wirtschaft einzugreifen, in die Medienlandschaft. Also ja, in den letzten zwei Jahren sind die Aussichten für uns deutlich düsterer geworden, paradoxer Weise vor allem seit der sehr erfolgreichen "Regenschirm-Bewegung".

Wie viele Hongkonger haben auch Sie einen zweiten, 'ausländischen' Pass. Gibt der Ihnen eine gewisse Sicherheit?

Nun, ich könnte tatsächlich auswandern. Wir sind es hier in Hongkong ja gewohnt wegzugehen. Erst kamen die Leute vom Festland hierher, um den Turbulenzen der chinesischen Geschichte zu entgehen. Dann sind Leute weggezogen, als klar war, dass die Rückgabe an China geschehen würde. Eine halbe bis eine Million Hongkonger lebt in Übersee, in Kanada, in Großbritannien. Aber es sind auch welche zurückgekommen, meine Familie zum Beispiel. Doch wenn nötig, wird sie auch wieder wegziehen. Aber glücklich bin ich darüber nicht. Ich denke immer noch, Hongkong ist mein Platz, meine Heimat. Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht und verstehe eigentlich nicht, warum ich weggehen muss. Ich weiß nicht, warum ich diesen Ort aufzugeben habe. Das ergibt für mich keinen Sinn. Warum soll ich gehen, warum gehen nicht die?

Das Interview führten Michael Marek und Sven Weniger.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen